Offenbar müssen doch mehr Hartz-IV-Empfänger als zunächst angenommen wegen zu hoher Mieten ihre Wohnung verlassen. Das besagt zumindest eine Studie aus Kreuzberg. Beim Berliner Mieterverein hat man zudem ausgerechnet, dass gerade Sozialwohnungen oft zu teuer sind für Arbeitslose.
In Berlin gilt derzeit – im Gegensatz zu vielen anderen Kommunen – eine Schonfrist. Erst ab 2006 wird bei den Empfängern von Arbeitslosengeld II (ALG II) die Miethöhe überprüft. Noch bis Jahresende werden die Kosten der Wohnung einschließlich Heizkosten grundsätzlich übernommen.
Wer dagegen eine neue Wohnung anmieten will, muss die von der Senatsverwaltung für Soziales beschlossenen Richtwerte schon jetzt einhalten (zwischen 360 Euro warm für einen Einpersonenhaushalt und 705 Euro für fünf Personen).
Sozialwohnungen sind zu teuer
Und das ist nicht einfach. So kann sich ein Zweipersonenhaushalt künftig nicht einmal eine 60 Quadratmeter große Sozialwohnung leisten. Die würde nämlich 462 Euro warm kosten (wenn man eine Kappungsgrenze von 5,50 Euro sowie durchschnittliche Nebenkosten von 2,20 Euro zu Grunde legt). Nach den in Berlin geltenden Kriterien zur Angemessenheit der Wohnkosten werden aber maximal 444 Euro übernommen. Für einen Dreipersonenhaushalt wäre eine 80 Quadratmeter große Sozialwohnung mit 616 Euro eindeutig zu teuer. Das Amt übernimmt nur 542 Euro.
Ein Ausweichen auf den freien Wohnungsmarkt hilft auch nicht immer weiter. Laut Mietspiegel sind beispielsweise für eine 70 Quadratmeter große Altbauwohnung in einfacher Wohnlage 467 Euro warm zu berappen – zu teuer für einen Zweipersonenhaushalt.
„Wir brauchen für Berlin endlich Zahlen darüber, wie viele Haushalte betroffen sind“, meint Sybill Klotz, Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. Ihre Fraktion hat den Senat daher aufgefordert, einen Bericht über die Höhe der Mieten von ALG-II-Bezieher zu erstellen.
Eine kürzlich vorgelegte Studie des Stadtforschungsinstituts Topos kommt zu dramatischen Zahlen. Etwa ein Drittel der untersuchten Hartz-IV-Haushalte in Kreuzberg zahlt Mieten, die über den von der Senatsverwaltung für Soziales festgelegten Höchstgrenzen liegen. Nur ein Teil davon (40 Prozent) hat eine überdurchschnittlich große Wohnung angemietet. Hochgerechnet auf ganz Berlin droht daher 50000 bis 70000 Betroffenen der zwangsweise Umzug. Der Umfang der durch Hartz IV ausgelösten Umzüge sei somit bei weitem höher als bisher von der Senatsverwaltung angenommen.
Dort bezweifelt man jedoch die Aussagekraft der Studie. „Sie ist nicht repräsentativ, außerdem wurden die Ausnahmeregelungen nicht berücksichtigt“, sagt die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Soziales, Roswitha Steinbrenner. In der Tat gelten in Berlin zahlreiche Ausnahmeregelungen, zum Beispiel für allein Erziehende. Hier wird eine zehnprozentige Überschreitung der Richtwerte toleriert. „Auch wenn man das mit einbezieht, liegen 25 bis 30 Prozent über den geltenden Obergrenzen“, meint dagegen Gude.
Bei der Vergabe belegungsgebundener Wohnungen in Sanierungsgebieten kommt es bereits zu Problemen. „Uns haben viele Vermieter mitgeteilt, nicht an Hartz-IV-Empfänger vermieten zu wollen“, berichtet Werner Oehlert von der Mieterberatungsgesellschaft ASUM in Friedrichshain. Oft sei die für Hartz-IV-Empfänger maximal zulässige Miete bis an den Rand ausgeschöpft. „Die Vermieter fragen sich dann natürlich, wer nach der nächsten Mieterhöhung die Miete bezahlen wird“, so Oehlert.
Viele Detailfragen sind derzeit ungeklärt. Überhöhte Betriebskostenabrechnungen sollen, so heißt es ausdrücklich in den Ausführungsvorschriften, durch externe Fachleute überprüft werden. Eine konkrete Vereinbarung existiert jedoch noch nicht. Bleibt abzuwarten, ob sich das Chaos bis Anfang nächsten Jahres lichtet – wenn es für viele Mieter ernst wird.
Birgit Leiß
MieterMagazin 8/05
Hängepartie: Viele Hartz-IV-Empfänger wissen nicht, ob sie nächstes Jahr umziehen müssen
Foto: Kerstin Zillmer
Hier gibt es kostenlose Beratung zu Hartz IV:
IG Metall,
Tel. 25387-142 oder -192,
Arbeitslosenverband Berlin:
Tel. 97605197,
www.berliner-alv.de,
Arbeiterwohlfahrt:
Tel. 25389218,
www.awoberlin.de
Auch die meisten Bezirksämter bieten eine Beratung an.
Beim Berliner Mieterverein gibt es ein aktualisiertes Infoblatt zum Thema, das auch die Ausführungsvorschriften des Berliner Senats enthält. Erhältlich bei der Geschäftsstelle oder im Internet
www.berliner- mieterverein.de
Ausnahmefälle
Folgende Personengruppen dürfen die festgelegten angemessenen Wohnkosten um 10 Prozent überschreiten: Schwangere, allein Erziehende, über 60-Jährige, Familien mit kleinen Kindern sowie Menschen mit mindestens 15-jähriger Wohndauer. Maßnahmen zur Senkung der Wohnkosten (durch Untervermietung oder Umzug in eine billigere Wohnung) werden in der Regel nicht verlangt von Schwerkranken und Behinderten, über 60-Jährigen nach längerer Wohndauer und allein Erziehenden mit zwei oder mehr Kindern.
bl
24.02.2018