Barrierefreie, rollstuhlgerechte Wohnungen sollen Menschen mit Behinderungen unabhängiger von fremder Hilfe machen. In der DIN 18025 vom Dezember 1992 sind die Grundlagen hierfür definiert. Auch wenn diese Norm eine reine Empfehlung technischer Art ohne Gesetzescharakter darstellt – auch die Wohnungsbaugesellschaften haben sich daran zu halten, wenn sie Wohnungen als „Rb“ („für Rollstuhlbenutzer geeignet“) deklarieren und vermieten.
Als der schwerstbehinderten Marina W., die seit ihrer Kindheit unter einer spastischen Lähmung leidet, im Frühjahr vergangenen Jahres vom Landesamt für Gesundheit und Soziales eine leer stehende Erdgeschosswohnung in der Koloniestraße in Wedding vermittelt wurde, zögerte sie nicht lange. Da in dieser Gegend weder Gewerbeflächen noch Wohnungen im Erdgeschoss vermietbar sind, hatte die DEGEWO die Wohnung behindertengerecht sanieren lassen und als „Rb-Wohnung“ gemeldet. Noch vor Unterzeichnung des Mietvertrages wies Marina W. allerdings darauf hin, dass nicht alle Forderungen der DIN 18025 erfüllt seien. So ließ sich die Hauseingangstür von ihr nicht manuell öffnen. Die automatische Türöffnungsanlage fällt immer wieder aus, sie kann dann das Haus nicht verlassen. Die von der DEGEWO beauftragte Firma hat keinen Notdienst.
Doch das war nicht alles. Monatelang stritt die Mieterin um eine bereits genehmigte Hochziehhilfe im Schlafzimmer der Wohnung. Da eine Montage an der Zwischendecke nicht möglich ist, muss der Zwischenraum bis zur Massivdecke überbrückt werden. Erst nach einer Klageandrohung durch den Berliner Mieterverein hat sich die DEGEWO jetzt bereit erklärt, die Kosten dafür zu übernehmen. Daniela Bremer von der DEGEWO räumt ein, dass es zu einer „missverständlichen Auslegung der DIN-Norm gekommen ist“.
Die Mieterin rechnet damit, dass sie auch bei zukünftig notwendig werdenden Hilfsmitteln in der Wohnung wieder mit einer Klage drohen muss.
In Berlin wurde die DIN 18025 nicht in die Liste der technischen Baubestimmungen aufgenommen und ist deshalb auch nicht zwingend bauordnungsrechtlich zu berücksichtigen. Die neue DIN 18030 lässt auf sich warten, frühestens im Dezember 2005 ist mit einem zweiten Entwurf zu rechnen – Elke Ludwig vom zuständigen Arbeitsausschuss beim Deutschen Institut für Normung will sich da nicht festlegen, die Arbeiten laufen bereits seit 1997!
Nach wie vor ungeklärt ist, wer die Kontrolle der Einhaltung von Normen und Bestimmungen bei Rb-Wohnungen übernimmt – ein Problem, das weder Marina W. noch die DEGEWO lösen können. Die Mieterin hat sich jetzt erneut an den Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses gewandt, um den Rb-Status ihrer Wohnung und die damit verbundenen Verpflichtungen des Vermieters zu klären. Schließlich braucht sie diese Sicherheit, denn jeder Umzug kostet sie Kraft, die sie nicht besitzt.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 9/05
Kampf mit Barrieren: Mieterin Marina W.
Foto: Christian Muhrbeck
27.04.2013