Die Deutschen werden älter und bleiben länger gesund. Im Jahre 2020 werden 20 Prozent der Berliner 65 und älter sein, heute sind es lediglich 16 Prozent. Das Durchschnittsalter der Berliner erhöht sich dann von 41 auf 43,6 Jahre. Der Anteil der Erwerbstätigen an den „jungen Alten“ steigt – und damit auch ihre Wirtschaftskraft. Das bedingt auch neue Wohnformen.
„Mit 66 ist noch lang nicht Schluss“, sang Udo Jürgens 1978. Damals war allerdings noch nicht von der „Verlängerung der Lebensarbeitszeit“ bis 67 und einem „flexiblen Renteneintrittsalter“ die Rede, und wesentlich mehr Ältere als heute gingen vorzeitig in den Ruhestand. Heute ist die Lebenserwartung höher, die Menschen sind länger gesund, und der „ausgeflippte Alte“, von dem Udo Jürgens sang, ist eine heiß umworbene Zielgruppe der Werbestrategen. Trotz schlechter Wirtschaftslage stieg der Anteil der Erwerbspersonen bei den 60- bis 65-Jährigen von 21 Prozent im Jahre 1991 auf fast 29 Prozent im Jahr 2004. Die Konsumquote dieser Altersgruppe, das heißt der Anteil der Konsumausgaben am verfügbaren Einkommen, liegt bei 80 Prozent – nur noch übertroffen von den 65- bis 75-Jährigen mit 84 Prozent. Der Anteil der älteren Erwerbstätigen (45 bis 65 Jahre) wird in Berlin bis 2020 um weitere 4,9 Prozent steigen. Reisebüros, Computerschulen, Messen, Kaufhäuser für Senioren – längst hat die Wirtschaft die Menschen „in den besten Jahren“ als kaufkräftige Zielgruppe entdeckt. Wer das Geld hat, will sich schließlich auch etwas leisten.
Die Rentenbezieher konterkarieren allerdings den Trend – sie haben immer weniger im Portmonee. Der Wirtschaftsforscher Meinhard Miegel rechnet damit, dass die Rentner 2007 im Vergleich zu 2003 über 8 Prozent weniger Kaufkraft verfügen werden. Nach Berechnungen der „Volkssolidarität“ hat ein Durchschnittsrentner in den letzten drei Jahren einen Einkommensverlust von fast 50 Euro pro Monat hinnehmen müssen. Bereits heute gelten in Ostdeutschland circa 12 Prozent der Älteren als „einkommensarm“. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen plant jetzt nur noch ein Drittel der Älteren, mit spätestens 60 Jahren aus dem Erwerbsleben auszuscheiden – 1996 war es noch die Hälfte.
Erfahrung ist eine unverzichtbare Ressource
Nach dem „Zweiten Alterssurvey“, vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) mit Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellt, brauchen die Deutschen „ein neues Bild des Alters und einen neuen Umgang mit älteren Menschen“. Denn der Altersquotient, also die Zahl der Personen über 65 Jahre je 100 Einwohner im Alter zwischen 20 und 65 Jahren, wird nach den Prognosen der Demographen bundesweit von heute 28 Personen bis 2010 auf 33 Personen steigen. 2020 beträgt er bereits 36 Personen, 2040 dann sogar 53.
Renate Schmidt, Bundesministerin der rot-grünen Koalition: „Ältere Menschen verfügen über große Ressourcen und Potenziale, die unverzichtbar für unsere Gesellschaft sind. Und sie wollen gar nicht aufs Altenteil, sondern ihre Fähigkeiten und Erfahrungen im Beruf, in der Politik und in der Gesellschaft einbringen. Der Alterssurvey belegt, dass Senioren und Seniorinnen für uns alle unverzichtbar sind. Ob in der Familie, wo sie Kinder und Enkel unterstützen, im Beruf, wo ihre Erfahrung und Routine wichtig sind, oder im Ehrenamt, ohne das viele wichtige Aufgaben nicht bewältigt werden könnten: Die ältere Generation ist unverzichtbar.“ Die Unternehmen sehen das nicht immer so. Zwar schätzen sie ihre älteren Arbeitnehmer als Wissens- und Erfahrungsträger, halten aber eine Qualifizierung der über 50-Jährigen zumeist nicht für erforderlich. Trotzdem: Über 80 Prozent der 40- bis 85-Jährigen sind laut Alterssurvey mit ihrem Leben zufrieden, jeder dritte Befragte war sogar mit seinem Leben „voll zufrieden“.
„Seniorenhaushalte, das heißt Haushalte mit einem Haushaltsvorstand im Alter von 65 und mehr Jahren, sind derzeit und längerfristig das am deutlichsten wachsende Segment aller Haushaltstypen“, stellt der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen in seinen neuesten „Wohnungswirtschaftlichen Daten und Trends 2005/2006“ fest. Zwischen 2000 und 2020 prognostiziert der GdW allein für den Haushaltstyp „Rentnerehepaar“ einen Zuwachs von mehr als 50 Prozent. Für „zunehmend anspruchsvollere und kaufkräftige Kunden“ (GdW) muss auch die Wohnungswirtschaft qualitativ hochwertige, differenzierte Angebote bereitstellen.
Nicht gefragt: Seniorenheime
Diese konzentrieren sich bisher allerdings auf Seniorenwohngemeinschaften, Alten- beziehungsweise Pflegeheime und Seniorenresidenzen (MieterMagazin 6+7/05, Seite 24 bis 26: „Der Trend zur späten Wohngemeinschaft“). Diese Wohnformen entsprechen jedoch in der Regel nicht den Wünschen der heute älteren Menschen. Nur maximal 10 Prozent von ihnen wollen solcherart ihren Lebensabend verbringen.
Selbst bestimmtes Wohnen als Alternative zum Heimaufenthalt ist gefragter als je zuvor. Circa 80 Prozent der Deutschen wünschen sich, solange wie möglich in der eigenen Wohnung zu leben. Der vertraute Kiez mit seiner Infrastruktur, die Freunde in der Nachbarschaft, die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, der Parkplatz oder die Garage in der Nähe sind ihnen wichtig. Zugleich ist jedoch auch mit einer verstärkten Mobilität älterer Haushalte zu rechnen, wenn sich das Wohnumfeld zu Ungunsten älterer Mieter verändert oder die Wohnung nicht mehr den Anforderungen entspricht. Hinzu kommt, dass der Betrieb von Heimen sowohl dem Staat als auch den Senioren teurer zu stehen kommt als andere Wohnformen.
Die Vermieter müssen sich darauf einstellen, Wohnungen schnell und unkompliziert altengerecht umzurüsten, wenn die Gesundheit der „jungen Alten“ eines Tages beeinträchtigt ist. Die Wohnungen der Kaiser-Wilhelm- und Augusta-Stiftung in Lichterfelde und Wedding wurden zum Beispiel mit einem 24-Stunden-Notrufsystem ausgerüstet. Alle Ein-, Eineinhalb- und Zweizimmerwohnungen bilden hier eine abgeschlossene Einheit mit Küche und Bad. Für die Betreuung stehen im Bedarfsfall Altenpfleger zur Verfügung.
Eine beliebte Wohnform für ältere Menschen sind Hausgemeinschaften beziehungsweise so genannte Mehrgenerationenhäuser. Das Konzept ist nicht neu: Mehrere Generationen, die unter einem Dach leben und sich gegenseitig helfen, gab es bereits zu Zeiten der Großfamilie. Heute tragen jüngere Mieter (oder Genossenschaftsmitglieder) den Älteren die Einkaufstüten in die Wohnung, und die „Aushilfsoma“ kümmert sich dafür stundenweise um den Nachwuchs in der Nachbarschaft. So setzt zum Beispiel das Projekt „De olen Smugglers“/“Die Tarpens“ der Fluwog-Nordmark eG in Hamburg-Langenhorn auf Nachbarschaftshilfe, ergänzt durch professionelle Hilfe „on demand“.
Wohnungsgenossenschaften sind besonders prädestiniert, altengerechte Wohnqualität zu organisieren. Das garantierte lebenslange Wohnrecht für Mitglieder bietet die gerade von den Älteren gewünschte Sicherheit. Kündigungen sind – außer bei schwerwiegenden Pflichtverstößen – ausgeschlossen. Genossenschaftsanteile gehören zum geschützten Vermögen und werden beim Bezug von ALG II nicht angetastet.
Den Erfordernissen angepasste neue Konzepte dürfen sich allerdings nicht auf die Wohnung beschränken, sondern müssen auch altengerechte Quartiere zum Ziel haben – bis hin zu veränderten Prioritäten in der Stadtentwicklung und bei der Förderung. Altengerechte Wohnanlagen sollten zum Beispiel gepflegte Außenflächen, Café, Gymnastikraum, Kneipp-Bad, Party- und Bastelräume und Bibliothek bieten.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 12/05
Die Altersgruppe der über 65-Jährigen wird größer, kaufkräftiger und anspruchsvoller
alle Fotos: Paul Glaser
Computerkurs für Senioren: Die Wirtschaft hat die Rentner als finanzkräftige Zielgruppe entdeckt
Die favorisierte Wohnform: in den eigenen vier Wänden
Adressen
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Ernst-Bloch-Straße 34, 12619 Berlin,
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Arbeitskreis Berliner Senioren (ABS)
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Telefon 41922134,
telefonische Sprechzeit: Dienstag 14 bis 16 Uhr,
Fax 54982748,
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www.senioren-berlin.de
Koordinierungsstelle „Rund ums Alter“
Telefon für alle Berliner Bezirke:
Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr:
Tel. 0180 595 00 59
www.rund-ums-alter.de
Das Alter in Zahlen
Die Zahl der älteren Bürger (ab 65 Jahre) wird in Berlin bis zum Jahr 2020 um fast 28 Prozent zunehmen. 675.000 Menschen, die 65 Jahre und älter sind, werden dann in der Stadt leben – heute sind es lediglich 528.000. Besonders hoch wird der Anstieg bei den Personen im Alter von 75 und darüber sein. Ihre Zahl wird um 53 Prozent von 223.000 (6,6 Prozent der Gesamtbevölkerung) auf 341.000 Personen (10,1 Prozent) ansteigen.
rb
Quelle: Statistisches Landesamt Berlin
10.10.2024