Leitsätze:
1. Zur Frage, ob Versottungserscheinungen im Zusammenwirken mit Geruchsbelästigungen zu einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit im Sinne des § 544 BGB führen.
2. Der Mieter verwirkt sein Kündigungsrecht gemäß § 544 BGB, wenn er es nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausübt, nachdem er den die Gesundheit erheblich gefährdenden Mangel bemerkt.
LG Berlin, Urteil vom 1.3.01 – 67 S 574/99 –
Mitgeteilt von RA Ulrich Kernen
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
… Die Kläger können von der Beklagten gemäß § 535 Satz 2 BGB in Verbindung mit dem am 14.1.1986 geschlossenen Mietvertrag über eine Wohnung im Hause B.-straße, Berlin, die Zahlung von Mietzinsrückständen in der Gesamthöhe von 2621,90 DM verlangen. Es handelt sich dabei um einen Teilbetrag von 86,99 DM für den Monat Mai 1998, drei Mietzinsbeträge von jeweils 685,11 DM für die Monate Juni, Juli und August 1998 und einen Teilbetrag von 479,58 DM für den Zeitraum 1. bis 21.9.1998. Die Höhe des monatlichen Mietzinses von 685,11 DM ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte hatte im Monat März 1998 ihre Zahlungen eingestellt. Auf die sich von März 1998 bis zum 21.9.1998 ergebenden Rückstände von 3905,13 DM hatten die Kläger mit Schreiben vom 17.6.1999 das Kautionsguthaben von 1283,23 DM angerechnet.
Die Beklagte kann diesem Anspruch nicht entgegen halten, dass sie mit Schreiben vom 26.3.1998 das Mietverhältnis unter Berufung auf § 544 BGB wegen unzumutbarer Geruchsbelästigungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Versottungserscheinungen in einem Kamin ihrer Wohnung gekündigt habe. Zwar hat der Sachverständige J. in seinem im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens zum Aktenzeichen AG Wedding 3 H 6/98 am 27.7.1998 erstatteten Gutachten die Feststellung getroffen, dass in der Diele vor der Tür zum Wohnzimmer ein Versottungsgeruch zu bemerken gewesen sei, und zwar an der Trennwand der Diele zum Treppenhaus, wo das Mauerwerk im Fußbodenbereich einen starken Versottungsgeruch abgegeben habe. In der geringen Höhe über dem Fußboden sei eine geringe Gelbfärbung des Putzes erkennbar gewesen. Der Geruch an der Wand beziehungsweise im geringen Abstand zu ihr könne wie brenzlig kalter, von einem Schwelfeuer ausgehender Rauch mit dem Geruch von faulen Eiern beschrieben werden. Der rechte Schornstein einer an der Wand in der Diele zum Treppenhaus befindlichen Gruppe von drei Schornsteinen sei versottet gewesen.
Ob diese Versottungserscheinungen im Zusammenwirken mit den Geruchsbelästigungen schon zu einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit im Sinne des § 544 BGB führen, kann dahinstehen. Den Angaben des Sachverständigen zufolge seien Versottungsgerüche bei weitem nicht so gefährlich wie Rauchgase, könnten aber nach seinen Erfahrungen in ähnlich gelagerten Fällen bei andauernder Einatmung zu Kopfschmerzen, vorübergehender Geschmacksveränderung, Brennen in der Nase, Atembeschwerden und Übelkeit führen. Inwieweit diese Feststellungen aus medizinischer Sicht zutreffen, was insbesondere von dem Kläger zu 3. bestritten wird, der von Beruf Arzt ist, braucht nicht entschieden zu werden.
Die fristlose Kündigung ist schon deswegen unbegründet, weil die Beklagte sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist erklärt hat, nachdem sie den Geruch in einem nicht mehr als erträglich zu bezeichnenden Umfang bemerkt hat. Schon in ihrem Kündigungsschreiben vom 26.3.1998 hat sie von „unerträglichen Geruchsbelästigungen seit September 97“ gesprochen. Sie hat zwar in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 17.7.2000 erklärt, dass die Geruchsbelästigungen nicht so stark gewesen seien, dass man sich im Wohnzimmer nicht habe aufhalten können. Die von ihr benannten Zeugen haben allerdings eher das Gegenteil bekundet. Der Zeuge M., der Bruder ihres Freundes, der 1997/1998 häufiger in der Wohnung übernachtet hat, hat ausgesagt, dass es im Wohnzimmer und im Flur nicht auszuhalten gewesen sei. Er sei im Oktober und November 1997 zweimal pro Monat in der Wohnung gewesen und habe in der Küche geschlafen. Auch seit Januar 1998 habe er einmal pro Monat in der Wohnung übernachtet. Die ganze Zeit über habe er keine Unterschiede im Ausmaß der Geruchsbelästigungen festgestellt. Es habe nach Schwefel gerochen. Die Zeugin … hat bekundet, sie sei fast jedes Wochenende in Berlin gewesen. Der Gestank sei immer schlimmer geworden. Im Wohnzimmer habe man es nicht aushalten können. Es habe auch noch weiter gestunken, nachdem die Züge ausgebrannt worden seien. Nach dem Einbau der Heizung sei der Geruch etwas weniger gewesen, danach habe der Geruch aber ziemlich schnell wieder zugenommen. Den Geruch würde sie als stechend, beißend und ätzend bezeichnen. Der Zeuge … hat bekundet, er habe frühestens 1997 den Geruch bemerkt. Am Anfang habe er noch im Wohnzimmer gesessen, vom Jahreswechsel an in der Küche, weil es so schlimm gerochen habe. Den ganzen Zeitraum über habe er sich vier- bis fünfmal in der Wohnung zu Besuchszwecken aufgehalten. Der Geruch sei im Flur und im Wohnzimmer zu bemerken gewesen. Er sei wohl aus dem Wohnzimmer gekommen. Der Zeuge … hat bekundet, er sei einmal im Monat zu Besuch gewesen. Der Geruch habe sich erst entwickelt. Zunächst habe Herr … auf den Geruch hingewiesen, dann habe er ihn selbst bemerkt, schließlich sei es so schlimm gewesen, dass sie nur noch in der Küche gesessen hätten.
Der Aussage des Zeugen … kommt das größte Gewicht zu, weil er sich am häufigsten und jeweils am längsten in der Wohnung aufgehalten hat. Er hat bekundet, dass der Geruch nicht auszuhalten und die Intensität die ganze Zeit über unverändert gewesen sei. Dies ergibt sich auch aus der Aussage der Zeugin H. Danach soll der Geruch nach Einbau der Gasetagenheizung schnell wieder zugenommen haben. Dieser Einbau hat unstreitig in den Monaten September/Oktober 1997 stattgefunden. Dem Vortrag der Kläger zufolge hat sich die Beklagte schon am 1.11.1997 telefonisch wieder über Geruchsbelästigungen beschwert. Dies zeigt zur Genüge, dass spätestens ab November 1997 wieder Verhältnisse gegeben waren, die die Beklagte und die Zeugen als unerträglich schildern. Die Aussagen der Zeugen …, die beide von einer Zunahme der Geruchsbelästigungen berichten, sind demgegenüber weniger ergiebig, weil sie sich zu selten in der Wohnung aufgehalten haben und sie an erheblichen Erinnerungslücken litten.
Der Mieter verwirkt sein Kündigungsrecht gemäß § 544 BGB, wenn er es nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausübt, nachdem er den die Gesundheit erheblich gefährdenden Mangel bemerkt (vgl. LG Berlin, GE 1990, 541). Denn wenn ein Mieter die Kündigung nicht alsbald erklärt, entsteht der Eindruck, dass er die Gesundheitsgefährdung nicht als so schwerwiegend einstuft. Hier haben die Kläger zwar Versuche unternommen, die Geruchsbelästigungen durch Ausbrennen der Schornsteinzüge zu unterbinden. So ist der Schornstein im Wohnzimmer am 3.11.1997 und der Schornstein im Flur am 5.2.1998 ausgebrannt worden. Auch nachdem die Beklagte sich wiederum über Geruchsbelästigungen beschwert hat, haben die Kläger am 18.3.1998 ein Kostenangebot der Firma O.K. eingeholt, das unter anderem ein Abdichten des Schornsteinzuges vorsah. Ferner haben sie dem Bezirksschornsteinfeger erneut den Auftrag zum Ausbrennen erteilt. Als dieser den Auftrag am 25.3.1998 ausführen wollte, hat die Beklagte ihm den Zutritt verweigert, indem sie die zuvor bei der Hauswartsfrau hinterlegten Schlüssel abgeholt hat. Wenn die Geruchsbelästigungen so unerträglich waren, wie die Beklagte sie schildert, dann hätte sie sich zumindest das Recht der fristlosen Kündigung vorbehalten müssen. Zwar wird nicht verkannt, dass ein Mieter, dem ein Kündigungsgrund aus § 544 BGB zur Seite steht, insoweit in einer prekären Lage ist, als er die Kündigung erst dann erklären kann, wenn er sofort in eine andere Wohnung umziehen kann. Der Gefahr der Verwirkung seines Kündigungsrechtes kann er nur entgehen, wenn er sich seine Rechte gegenüber dem Vermieter vorbehält, etwa indem er den Mangel anzeigt und dabei auf sein Kündigungsrecht hinweist.
Ein Kündigungsrecht aus § 544 BGB scheidet ferner dann aus, wenn es sich um einen Mangel handelt, der sich leicht beheben lässt (Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 7.Aufl., § 544 Rdnr. 14). Hier hat zwar zweimaliges Ausbrennen nach Einbau der Gasetagenheizung nicht zur endgültigen Beseitigung der Geruchsbelästigungen geführt. Jedoch hat die Beklagte treuwidrig eine weitergehende Reparaturmaßnahme verhindert, die nach einer Besichtigung der Wohnung am 12.3.1998 in Aussicht genommen war und die unter anderem in einem Abdichten der Schornsteinzüge bestehen sollte. Die Beklagte war nicht berechtigt, diese Maßnahme zu blockieren, um sich einen Grund für eine Kündigung zu erhalten, die sie dann einen Tag nach dem vorgesehenen Beginn der Reparaturarbeiten mit Schreiben vom 26.3.1998 erklärt hat. Sie konnte nicht davon ausgehen, dass dieser Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
Aus den dargestellten Gründen kann die Wirksamkeit der Kündigung auch nicht aus §542 Abs. 1 Satz 2 BGB hergeleitet werden.
Die zuvor mit Schreiben vom 19.2.1998 erklärte Kündigung ist als ordentliche aufzufassen. Sie wirkte auf Grund der Dauer des Mietverhältnisses seit 1986 zum 28.2.1999, §565 Abs. 2 Satz BGB. …
10.05.2017