Kaum zu glauben aber wahr: Eine Zwangsräumung ohne Vollstreckungstitel und Gerichtsvollzieher ist in Berlin möglich. So geschehen im Juli 2012 in der Turmstraße 64 in Moabit. Der Verein „Humanitas“ ließ von einem Sicherheitsdienst die an Roma-Familien untervermieteten Wohnungen räumen. Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, der zuständige Präventionsrat und das Jugendamt waren informiert, schritten aber genauso wenig ein wie die vor Ort anwesende Polizei.
Der Verein „Humanitas Kinderhilfe Berlin-Brandenburg“ bediente sich in Berlin einer lukrativen Geschäftsidee: Wohnungen und Häuser wurden angemietet, um sie mit kräftigem Aufschlag an Roma-Familien unterzuvermieten. Seine Gemeinnützigkeit wurde dem Verein für dieses Geschäftsgebaren aberkannt – wohl nicht unbegründet, betrachtet man die Vorgänge in Moabit.
Per Aushang waren die Roma-Familien in der Turmstraße kurzfristig über die bevorstehende Räumung informiert worden. Völlig außer Betracht blieben die mit Humanitas abgeschlossenen Nutzungsvereinbarungen, in denen eine Mietdauer bis zum 31. Oktober 2012 vereinbart war. Eine wirksame Kündigung oder vorzeitige Beendigung der Mietverhältnisse gab es nicht. Bündnis 90/Die Grünen veranstalteten Ende November eine Podiumsdiskussion, um der Frage nachzugehen, wie es zu dieser rechtswidrigen Räumung kommen konnte.
„Kein Einzelfall“, so Daniel Ibraimovic vom AspE e.V., der sich für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und Roma-Familien engagiert. „Von illegalen Zwangsräumungen können viele Roma-Familien berichten. Allerdings gelangen diese Informationen selten an die Öffentlichkeit“. Er beklagt, dass das Problem seit vielen Jahren bekannt ist, aber vom Berliner Senat nicht aufgegriffen wird.
Diskriminierung und Verweigerung von Rechten sind für Roma nicht nur in Deutschland ein Problem. Daher fordert die EU-Kommission Gegenmaßnahmen von den Mitgliedsstaaten. Deutschland leistet dem bislang nicht Folge mit dem Argument, Roma seien in Deutschland auf Grund ihres Zugangs zu Sozialleistungen integriert. Nicht nur die Zwangsräumungen dürften das Gegenteil beweisen.
Zwar hat der Berliner Senat ein Strategiepapier erlassen und eine Lenkungsgruppe eingerichtet, die sich verstärkt um Roma kümmern soll. Susanne Kahlefeld von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bemängelt aber, dass in der Aufgabenbeschreibung der Lenkungsgruppe die Wohnungsproblematik fehlt und die Besetzung der Lenkungsgruppe völlig intransparent ist. „Rechtsstaat funktioniert an entscheidender Stelle offensichtlich nicht“ – mit diesen Worten weist Kahlefeld darauf hin, dass jetzt in Reinickendorf wieder Häuser mit Roma-Familien zur Räumung anstehen. Ob dabei die Rechtsgrundsätze eingehalten werden, ist äußerst fraglich.
Wibke Werner
MieterMagazin 1+2/13
Zwischen politischem Ritual und tagespolitischer Realität liegen für Roma-Familien Welten (Foto: Einweihung des Holocaust-Denkmals für Sinti und Roma im Oktober 2012)
Foto: Dzung Le
Lesetipp zum Thema:
Norbert Mappes-Niediek:
„Arme Roma, böse Zigeuner –
Was an den Vorurteilen über die
Zuwanderer stimmt“,
Links-Verlag. Berlin 2012,
208 Seiten, 16,90 Euro
17.08.2013