Der Soziale Wohnungsbau ist in Berlin in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Vor allem war er extrem teuer. Die Folgen der aufgeblähten Baukosten belasten den Berliner Haushalt heute noch schwer – auch nach dem abrupten Ausstieg. Die Sozialmieter in den Häusern, für die keine Anschlussförderung mehr gewährt wurde, sitzen auf einer tickenden Zeitbombe, die ihnen tagtäglich mit irrsinnig hohen Mietforderungen um die Ohren fliegen kann. Und auch in den übrigen Sozialwohnungsbeständen sind die Mieten oft schon so hoch, dass sie für Geringverdiener, Arbeitslose oder Rentner nicht mehr zu bezahlen sind. „Nichts läuft hier richtig“, lautete denn auch der treffende Titel einer kürzlich veranstalteten Mieterkonferenz über die Probleme des Sozialen Wohnungsbaus in Berlin.
Die aberwitzig hohen Baukosten im damaligen West-Berlin lassen sich nicht allein dadurch erklären, dass wegen der Insellage Baugrundstücke knapp und die Beschaffung von Baumaterial aufwendig war. Weil nahezu alle Beteiligten ein Interesse an hohen Kosten hatten, wurden diese künstlich aufgebläht. Der Soziale Wohnungsbau wurde zu großen Teilen von Immobilienfonds getragen, die Geld von vorwiegend westdeutschen Anlegern einsammelten. Je teurer der Bau wurde, desto höhere Steuerabschreibungen konnten die Anleger vornehmen. Projektentwickler, Architekten und Bauunternehmer freuten sich über hohe Umsätze und Gewinne, und der Senat konnte sich mit Erfolgsmeldungen über massenhaft getätigte Investitionen brüsten. Den Mietern konnten die Baukosten egal sein, schließlich mussten sie nicht die daraus resultierende Kostenmiete zahlen, sondern die festgelegte, niedrigere Sozialmiete. Die enormen Kosten hat die öffentliche Hand getragen – zu Mauerzeiten war das zum größten Teil der Bund, der für West-Berlin aus politischen Gründen den Zahlmeister spielte. Die Wohnungsbaukreditanstalt (später IBB) hatte zwar darauf zu achten, dass das Gebot der Wirtschaftlichkeit eingehalten wurde, doch eine effiziente Kontrolle fand nicht statt. Der Berliner Mieterverein kritisierte das Geschäft mit dem Sozialen Wohnungsbau schon früh als „verfassungswidriges Vermögens-Umverteilungsinstrument“, so der damalige BMV-Geschäftsführer Hartmann Vetter im Vorwort zum 1982 erschienenen „Abschreibungs-Dschungelbuch“. Das komplizierte Fördersystem hat der BMV seinerzeit auch in einer Ton-Dia-Show allgemeinverständlich dargestellt.
In den 80er und 90er Jahren lagen die Kostenmieten regelmäßig zwischen 12 und 18 DM pro Quadratmeter nettokalt und erreichten vereinzelt sogar 21 DM. Die Bewilligungsmiete betrug hingegen beispielsweise für 1994 je nach Wohnlage 3,83 bis 4,35 DM. Diese riesige Differenz trägt nun die Berliner Landeskasse, um den Anlegern ihre zugesicherte Rendite zu ermöglichen und die Mieten für die Berliner bezahlbar zu halten. Alles in allem muss Berlin heute jährlich rund 400 Millionen Euro für den Sozialen Wohnungsbau ausgeben.
Ist die Förderung abgelaufen, beginnt die Rückzahlphase, in der die Eigentümer die öffentlichen Darlehen tilgen. Derzeit nimmt die Stadt jährlich etwa 100 Millionen Euro durch diese Rückzahlungen ein. Die Mieteinnahmen der Eigentümer aus den Sozialwohnungen fließen bei diesem Prozess direkt in die Tilgung. Das bedeutet: Hohe Sozialmieten lassen die Rückzahlungen schneller in die klamme Landeskasse fließen. Jahr für Jahr hebt der Senat zum 1. April die Sozialmieten um 13 Cent pro Quadratmeter an.
Am Kottbusser Tor in Kreuzberg zahlen die Mieter beispielsweise schon bis zu 6 Euro nettokalt. Dazu kommen noch sehr hohe Betriebskosten. Das Jobcenter übernimmt für Hartz-IV-Betroffene hier nur eine Nettokaltmiete von 4,91 Euro. Viele Mieter müssen deshalb schon die Hälfte ihres Einkommens für die Wohnung ausgeben. Ihrem sozialen Anspruch werden die Wohnungen schon lange nicht mehr gerecht. Die Mieterinitiative Kotti & Co macht daher seit Mai 2012 mit einem Protestcamp am Kottbusser Tor auf die Lage aufmerksam und hat außerdem im November die Konferenz „Nichts läuft hier richtig“ zusammen mit dem Bündnis Sozialmieter.de organisiert. „Wir brauchen Sofortmaßnahmen, um die Verdrängung zu stoppen“, sagt Kotti & Co-Sprecherin Ulrike Hamann. Sie fordert eine Senkung der Miete auf 4 Euro pro Quadratmeter und eine Übernahme der realen Wohnkosten durch die Jobcenter, bis eine nachhaltige Lösung für den Sozialen Wohnungsbau gefunden ist. „Wir können und werden nicht umziehen“, so Hamann.
Kurz vor Weihnachten reagierte Senator Michael Müller und kündigte an, in den Großsiedlungen des Sozialen Wohnungsbaus Kappungsgrenzen einzuführen. Für rund 35 000 Wohnungen sollen die Sozialmieten bis Ende 2014 bei 5,50 Euro pro Quadratmeter, von 2015 bis 2017 bei 5,70 Euro gekappt werden. Die Begrenzung wird Berlin jährlich 38 Millionen Euro kosten. Für die Mieter am Kottbusser Tor ist das nur ein Teilerfolg. „Um unsere Verdrängung aus der Innenstadt zu verhindern, reichen diese Maßnahmen leider nicht aus“, erklärt Kotti & Co. „Die Kappungsgrenze ist zu hoch“, kritisiert auch Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV). Unverständlich ist zudem, warum für die übrigen 115.000 Sozialmieter-Haushalte darüber liegende Mieten als sozialverträglich gelten sollen.
Noch kritischer, gar verzweifelt ist die Lage der Mieter, die in Häusern ohne Anschlussförderung wohnen. „Die Menschen sitzen auf einer tickenden Zeitbombe“, sagt Sebastian Jung von der Initiative Sozialmieter.de. In seiner Haushaltsnot hat der rot-rote Senat 2003 die Anschlussförderung gestrichen. Zuvor war es üblich, dass Sozialwohnungen im Anschluss an die 15-jährige Grundförderung noch einmal 15 Jahre lang eine Nachförderung erhielten. Allen 28.000 Sozialwohnungen, die ab 1988 fertiggestellt wurden, ist diese Anschlussförderung verweigert worden. „Der Ausstieg aus einem widersinnigen Fördersystem, dessen Ende wir schon vor 20 Jahren gefordert hatten, war überfällig, weil es weder sozial- noch finanzpolitisch sinnvoll ist“, erklärte seinerzeit der Berliner Mieterverein.
Allerdings hat der Senat beim Ausstieg jede Absicherung der Sozialmieter vergessen. Die Sozialmiete durfte fortan mit einem Schlag auf die Kostenmiete angehoben werden. Seit 2009 nutzen Vermieter dies, um mit extrem hohen Mietforderungen die Sozialmieter zum Auszug zu zwingen. „Das Land Berlin hat für eine Situation gesorgt, die bundesweit einmalig ist: Sämtliche Mieterschutzrechte sind faktisch außer Kraft gesetzt“, erklärt Sebastian Jung. Nach dem Rausdrängen der Mieter werden die Wohnungen saniert und zu deutlich über den Sozialmieten liegenden Preisen vermietet, als leere Eigentumswohnungen profitabel verkauft oder als Ferienwohnungen zweckentfremdet.
Die betroffenen Mieter hatte der Senat völlig im Regen stehen lassen, bis er 2011 mit einem halbherzigen und untauglichen „Wohnraumgesetz“ versuchte, aus der Misere herauszukommen. Bei einem Eigentümerwechsel nach Inkrafttreten des Gesetzes gilt nicht mehr die Kostenmiete, sondern die ortsübliche Vergleichsmiete nach dem Mietspiegel. Diese liegt freilich in den entsprechenden Baualtersklassen schon nicht mehr im sozialverträglichen Bereich. Für die Mieter der vielen Häuser, deren Besitzer schon vorher gewechselt haben – oft sind die Eigentümer nach der Streichung der Anschlussförderung in die Insolvenz gegangen -, bringt das Gesetz nur ein Trostpflaster: Sie bekommen einen etwas längeren Mietausgleich und ein wenig mehr Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen.
Schließlich beschleunigt das Wohnraumgesetz weiter den Ausstieg aus dem Sozialen Wohnungsbau: Mit einem Nachlass von 15 Prozent auf ihre Schulden sollen die Eigentümer zu einer vorzeitigen Rückzahlung der Förderdarlehen bewegt werden. Als zusätzliche Belohnung wird die Hälfte der Wohnungen der betreffenden Anlage von der Belegungsbindung freigestellt. Die mit Milliardensummen erkauften Sozialbindungen werden also verramscht.
„Trotz enorm hohen Fördermitteleinsatzes ist der Soziale Wohnungsbau heute alles andere als sozial“, bemängelt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. „Das ist der eigentliche Skandal. Denn selbst mit Milliarden Euro an Steuermitteln wird der Gemeinwohlzweck, die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums auch für einkommensschwache Haushalte, nicht erreicht.“ Eine Lösung der Mietenproblematik im Sozialen Wohnungsbau könne nur mit einem Verzicht der Eigentümer und Banken gelingen, so Wild. „Mit Hilfe einer staatlich festgelegten Richtsatzmiete, die im Durchschnitt derzeit unter 5 Euro pro Quadratmeter monatlich liegen müsste, käme man aus der preistreibenden Kostenmiete heraus“, erläutert Wild. Für einen solchen grundlegenden Kurswechsel wären auch nur im Einzelfall weitere Fördermittel nötig.
Filz und Schmiere in West-Berlin
Die skandalöse Kostenaufblähung im Sozialen Wohnungsbau wurde durch die enge Verflechtung der West-Berliner Immobilien- und Bauwirtschaft mit der Politik begünstigt. West-Berlin war reich an Bauskandalen. Nach der Garski-Affäre, die 1980 den sozial-liberalen Senat des Regierenden Bürgermeisters Dietrich Stobbe zum Rücktritt zwang, zeigte vor allem der 1985 aufgeflogene Antes-Skandal den Berliner Filz auf. Der Charlottenburger Baustadtrat Wolfgang Antes (CDU) hatte für Baugenehmigungen Schmiergelder von mindestens 600.000 DM angenommen.
„Wir sind auf so ziemlich alles, was das Strafgesetzbuch hergibt, gestoßen – außer der Vorbereitung eines Angriffskriegs“, erklärte der damalige Chefermittler. Antes war kein Einzelfall. 1987 wurde der frühere Wilmersdorfer Baustadtrat Jörg Herrmann (CDU) ebenfalls wegen Korruption verurteilt. Dabei kam heraus, dass es für Bauunternehmer offenbar gang und gäbe war, Entscheidungsträgern Bargeld in fünf- bis sechsstelliger Höhe zu übergeben. „Janz Berlin is eene Schmiere“ war ein gängiger Slogan.
Dass die Netzwerke auch noch funktionierten, als West-Berlin nach dem Mauerfall keine geschlossene Gesellschaft mehr war, zeigte der Bankenskandal, bei dem unter anderem Klaus-Rüdiger Landowsky (CDU) Parteifreunden Kredite für Immobilienkäufe zuschusterte und die Bankgesellschaft Berlin Immobilienfonds mit garantierter Rendite für einen ausgesuchten Insider-Kreis aufgelegt hatte. Am Bankenskandal scheiterte 2001 die CDU-SPD-Koalition.
Das Schrumpfen in Zahlen
Der Soziale Wohnungsbau hatte in Berlin beträchtliche Ausmaße: Zwischen 1952 und 1997 sind in der Stadt insgesamt 429.000 Wohnungen im Sozialen Wohnungsbau errichtet worden. Darunter befinden sich 17.000 Sozialwohnungen, die nach 1990 im Ostteil der Stadt gebaut worden sind. Weil die Sozialbindung befristet ist, zählen längst nicht mehr alle diese Wohnungen zum Sozialen Wohnungsbau. Der Bestand geht seit Jahren rapide zurück: 1993 hatte Berlin noch 370.000 Sozialwohnungen, das waren 21 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Im Jahr 2001 waren es noch 264.000, bis 2011 sank die Zahl auf 152.000. Das sind gerade noch acht Prozent aller Wohnungen. Tendenz: weiter stark fallend. Von den heutigen Sozialwohnungen gehören 37.000 den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und 9300 verschiedenen Genossenschaften.
MieterMagazin 1+2/13
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Buchtipp: Micha Ulsen & Susanne Claassen: Das Abschreibungs-Dschungelbuch. Geschäfte mit dem Wohnungsbau, LitPol Verlag, Berlin 1982, 166 Seiten, antiquarisch erhältlich
Mieterinitiative Kotti & Co:
kottiundco.net
Berliner Bündnis sozialmieter.de:
www.sozialmieter.de
Wohnraumgesetz Berlin:
www.stadtentwicklung.
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wohnraumgesetz
28.12.2017