Zweimal konnte die Zwangsräumung vergangenes Jahr noch abgewendet werden, doch jetzt wurde sie durchgesetzt: Am 14. Februar setzte eine Gerichtsvollzieherin, begleitet von rund 500 Polizisten, die Familie Gülbol aus der Lausitzer Straße in Kreuzberg vor die Tür. Mehrere Hundert Protestierende, die die „Bürgerinitiative Zwangsräumung“ zusammengerufen hatte, versuchten erfolglos, die Räumung zu blockieren.
Der Räumung gingen jahrelange Gerichtsprozesse zwischen den Gülbols und Hauseigentümer André Franell voraus. Erst hatten sich die Gülbols geweigert, von Franell erhobene Mieterhöhungen zu zahlen. Woraufhin Franell gegen sie klagte und gewann. Dann verpasste die Familie die Frist, innerhalb derer sie ihr Mietkonto ausgleichen musste, weil sie von der Frist nichts wusste. Ihnen wurde gekündigt. Schließlich wehrten sie sich gegen den angedrohten Rauswurf, verloren aber. Da sich die Familie dennoch weigerte, das Haus zu verlassen, in dem der Familienvater, der 46-jährige Ali Gülbol seit 36 Jahren wohnt, wurde eine Zwangsräumung ausgesprochen.
Rund 200 Freunde und Räumungsgegner stellten sich erstmals im Oktober 2012 der Gerichtsvollzieherin in den Weg, als sie die Gülbols vor die Tür setzen wollte. Die fünfköpfige Familie konnte bleiben. Ein zweiter Räumungstermin im Dezember, wurde ausgesetzt. Am 14. Februar nun mussten Gülbols endgültig ausziehen.
Das „Bürgerbündnis Zwangsräumung verhindern“ hatte wochenlang auf diesen Fall aufmerksam gemacht und bekam Unterstützung aus der Politik. „Ich finde es gut, dass sie diese Öffentlichkeitsarbeit machen“, sagt der Sozialstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Knut Mildner-Spindler (Linke). „Das zeigt Wohnungseigentümern, in welcher Situation sich die entsprechenden Mieter befinden.“
Vor der Räumung hatten der Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) wie auch Mildner-Spindler mehrfach versucht, mit dem Eigentümer zu sprechen. Das dann zustande gekommene kurze Telefonat konnte die Sache nicht wenden.
Rund ein Dutzend Gespräche mit Vermietern, die in Friedrichshain und Kreuzberg Zwangsräumungen vollziehen wollten, hat Schulz nach eigenen Angaben in den vergangenen Monaten geführt. „Zwangsräumung ist erst seit einem halben Jahr so richtig ein Thema geworden“, sagt er. Woran das liege? „Die Entscheidungen von Vermietern werden heute nicht mehr als gottgegeben hingenommen.“ In 90 Prozent der Fälle würden klärende Gespräche mit Vermietern erfolgreich verlaufen, sagt der Bezirksbürgermeister.
So auch in den beiden Fällen, die in den vergangenen Monaten öffentlich wurden. Eine Familie aus der Lübbener Straße war von einer Räumung seitens der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft WBM bedroht gewesen, und einem älteren Ehepaar aus der Admiralstraße drohte das gleiche Schicksal durch das Wohnungsunternehmen GSW. Sie durften bleiben, nachdem Schulz und Mildner-Spindler vermittelt hatten. „In beiden Fällen ging es dem Vermieter nicht um Vertreibung“, blickt Mildner-Spindler zurück. Ganz anders sieht er den Fall in der Lausitzer Straße: „Dort wurde vom Vermieter der Konflikt gesucht.“
Wiebke Schönherr
MieterMagazin 3/13
Foto: Peter Homann/
Gegendruck
06.06.2013