Leitsatz:
Zur Frage, ob ein Mieter mit deutscher Staatsbürgerschaft trotz Vorhandenseins eines Kabelfernsehanschlusses einen Anspruch auf Installation einer Parabolantenne mit beruflichen und künstlerischen Belangen begründen kann.
VerfGH Berlin, Beschluss vom 29.8.01 – VerfGH 39/01 –
Urteilstext
Gründe:
I. Die Beschwerdeführerin ist alleinige Mieterin einer Wohnung im 6. Obergeschoss in Berlin, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann bewohnt. Beide sind nach Angaben der Beschwerdeführerin international tätige Künstler, sie selbst mit engem Bezug zum spanischsprachigen Bereich. Auf dem Balkon an der hinteren Außenfassade brachte sie ohne Zustimmung oder Kenntnis des Eigentümers eine Parabolantenne an. Der Eigentümer, der dies im Sommer 1998 bemerkte, forderte sie zur Beseitigung auf. Sein Angebot der Umsetzung der Parabolantenne an den Mast einer Gemeinschaftsantennenanlage auf dem Dach wurde von der Beschwerdeführerin abgelehnt, da nach ihrem Vortrag die Antenne für den Empfang verschiedener Programme auch in unterschiedliche Positionen ausgerichtet werden müsse und dies bei einer Anbringung auf dem Dach nicht möglich sei.
In dem nachfolgenden Rechtsstreit verurteilte das Amtsgericht Schöneberg die Beschwerdeführerin mit Urteil vom 12.11.1999, die Parabolantenne zu entfernen und die dadurch verursachten Schäden durch einen Fachbetrieb beseitigen zu lassen. Es sah die Montage der Parabolantenne ohne vorherige Zustimmung des Vermieters als vertragswidrigen Gebrauch der Mietwohnung an und lehnte einen Anspruch auf Zustimmung zur Installation ab.
Die dagegen eingelegte Berufung der Beschwerdeführerin wurde vom Landgericht Berlin mit Urteil vom 12.12.2000 nur hinsichtlich der Beseitigung durch einen Fachbetrieb als begründet angesehen und im Übrigen zurückgewiesen. Der Vermieter habe einen Anspruch auf Beseitigung der Anlage, da diese ohne Abschluss eines laut § 13 des Mietvertrages erforderlichen Antennenvertrages angebracht worden sei und eine Erlaubnis zur Montage vom Vermieter nicht hätte erteilt werden müssen. Im Rahmen einer Interessenabwägung gemäß Art.5 Abs.1 Satz1 GG und Art. 14 Abs.1 GG müsse berücksichtigt werden, dass in dem Haus die Möglichkeit der BreitbandkabeInutzung bestehe und dem Informationsbedürfnis damit ausreichend Rechnung getragen sei. Damit bestehe für den Vermieter ein sachbezogener Grund, die Montage zu versagen. Die Ausnahmen bei Ausländern zum Empfang von Programmen aus dem Heimatland fänden keine Anwendung, da die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann deutsche Staatsangehörige seien. Das Fortbildungsinteresse und die beruflichen Interessen führten nicht zu einem Anspruch auf Zustimmung des Vermieters. Auch wenn die Parabolantenne nur an der Hinterfassade angebracht sei und der Hinterhof als Firmengrundstück genutzt werde, läge eine, wenn auch nur geringe, optische Beeinträchtigung der Fassade vor. Die pauschale Behauptung der Beschwerdeführerin, die gewünschten Programme seien nur über die streitige Satellitenanlage zu empfangen, sei unsubstantiiert und rechtfertige im Hinblick auf die Programmvielfalt des Breitbandkabels auch nicht zwingend einen Anspruch auf Duldung der Parabolantenne. Hinzu komme, dass die Position des Vermieters für zukünftige Fälle der Zustimmung von Parabolantennen deutlich aufgelöst werde.
Gegen das Urteil des Landgerichts richtet sich die Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeführerin rügt, dass ihr Informationsrecht durch das Urteil ungerechtfertigt eingeschränkt sei, da es nicht beachte, dass Art.14 Abs. 2 VvB weiter reiche als Art.5 Abs.1 Satz1 GG. Im Rahmen der Interessenabwägung sei die Informationsfreiheit der Beschwerdeführerin nicht ausreichend berücksichtigt worden, da in ihrem Fall trotz Möglichkeit des Breitbandkabelanschlusses ein berechtigtes Interesse an der Parabolantenne bestehe, insbesondere da sie aus beruflichen Gründen auf internationalen Kontakt angewiesen sei und dieser nur über die Parabolantenne hergestellt werden könne. Das Landgericht verkenne, dass das Erscheinungsbild des Hauses sich nicht verändere und es auf Grund der einzigartigen Lage der Mietwohnung keine vergleichbaren Fälle im Haus geben könne. Weiterhin rügt die Beschwerdeführerin, dass ein Ausländer hier die Möglichkeit hätte, sich gegenüber dem Vermieter durchzusetzen.
II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Gemäß § 49 Abs.1 VerfGHG kann jedermann Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen subjektiven Rechte verletzt zu sein. Soweit wie hier Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Bundesrecht ist (§§ 535, 536, 242 BGB), besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der Art. 142, 31 GG allein hinsichtlich solcher Grundrechte der Verfassung von Berlin, die inhaltlich nicht im Widerspruch zum Bundesrecht stehen (Beschluss vom 2.12.1993 – VerfGH 89/93 – LVerfGE 1, 169; st. Rspr.)
Die in Art. 14 Abs. 2 VvB garantierte Informationsfreiheit stimmt inhaltlich mit der entsprechenden Gewährleistung in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG überein. Sie ist insoweit auch Maßstab für die landesverfassungsgerichtliche Überprüfung der Anwendung von Bundesrecht durch Entscheidungen der Berliner Gerichte (Beschluss vom 21.2.2000 VerfGH 18/99 – ZMR 2000, 740).
Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 14 Abs. 2 VvB.
Nach Art. 14 Abs. 2 VvB hat jeder das Recht, sich über die Meinung anderer, insbesondere auch anderer Völker, durch Presse oder Nachrichtenmittel aller Art zu unterrichten. Für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen und die demokratische Ordnung ist dies nicht minder wichtig als die Freiheit der Meinungsäußerung und der Meinungsberichterstattung, wobei sich der Vorschrift eine Einschränkung auf bestimmte Arten von Informationen nicht entnehmen lässt. Einen Unterschied zwischen in- und ausländischen Informationsquellen machen weder das Grundgesetz noch die Verfassung von Berlin. Zu den in Art.14 Abs. 2 VvB genannten Nachrichtenmitteln aller Art gehören ebenso wie „zu den allgemein zugänglichen Quellen“ in der – wie dargelegt – inhaltsgleichen Verbürgung des Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG daher auch alle ausländischen Programme, deren Empfang in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist. Soweit der Empfang von technischen Anlagen abhängt, die eine an die Allgemeinheit gerichtete Information erst individuell erschließen, erstreckt sich der Grundrechtsschutz auch auf die Beschaffung und Nutzung solcher Anlagen.
Die Errichtung einer Parabolantenne, die den Empfang von Fernseh- und Rundfunkprogrammen ermöglicht, welche über Satellit ausgestrahlt werden, ist somit grundsätzlich ebenfalls von Art.14 Abs.2 VvB geschützt (Beschluss vom 21.2.2000, a.a.O.; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE, 90, 27).
Bei einem Streit um die Anbringung einer Parabolantenne an Mietwohnungen ist durch die Fachgerichte im Rahmen einer fallbezogenen Interessenabwägung regelmäßig das Informationsinteresse des Mieters an der Nutzung zugänglicher Informationsquellen aus Art.14 Abs. 2 VvB und das in Art. 23 Abs.1 VvB geschützte Eigentumsrecht des Vermieters an der optisch ungeschmälerten Erhaltung des Wohnhauses zu berücksichtigen. Da beide Interessen durch Grundrechte geschützt sind, von denen keines dem anderen generell vorgeht, hängt die Entscheidung davon ab, welche Beeinträchtigung im Rahmen des vom Gesetzgeber abstrakt vorgenommenen und in den vertraglichen Vereinbarungen konkretisierten Interessenausgleichs im konkreten Fall schwerer wiegt (Beschluss vom 21.2. 2000, a.a.O.; vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 90, 27).
Die angegriffene Entscheidung trägt den vorgenannten Voraussetzungen ausreichend Rechnung. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass das Recht auf Informationsfreiheit bei der Auslegung und Anwendung der §§ 535, 536, 242 BGB zu berücksichtigen ist. Es hat zudem die von den Fachgerichten entwickelten Maßstäbe beachtet, nach denen der Interessenkonflikt zwischen Mieter und Vermieter gelöst werden kann. Seine Würdigung, dass der vorhandene Breitbandkabelanschluss ein überwiegendes Interesse des Vermieters an der Verweigerung der Zustimmung zur Installation einer Parabolantenne indiziert, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. für das Bundesrecht: BVerfG, NJW 1993, 1252; OLG Frankfurt, NJW 1992, 2490). Zwar führt der Verweis auf den Kabelanschluss zu einer Beschränkung der Informationsfreiheit des Mieters, da über eine Parabolantenne zusätzliche Satellitenprogramme empfangen werden können, die nicht in das Kabelnetz eingespeist werden. Diese Beschränkung ist aber bei typisierender Betrachtungsweise gerechtfertigt, da der Mieter über den Kabelanschluss sein Interesse, am Medienangebot teilzuhaben, weitgehend realisieren kann, sein Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, also nicht wesentlich beeinträchtigt wird (vgl. für das Bundesrecht: BVerfG, NJW 1993, 1252). Im Regelfall ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn bei dieser Sachlage ein überwiegendes Interesse des Vermieters angenommen wird, Störungen des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses durch Parabolantennen zu vermeiden.
Die Entscheidung des Landgerichts ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil es die Verweigerung der Zustimmung des Vermieters nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen hat. Für das Anbringen einer zusätzlichen Empfangseinrichtung bedurfte es nach dem Mietvertrag der Zustimmung des Vermieters. Da die Beschwerdeführerin die Parabolantenne ohne eine derartige Zustimmung installieren ließ, wurde sie dieser mietvertraglichen Nebenpflicht nicht gerecht. Daraus allein lässt sich zwar nicht ableiten, dass die Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf die Installation einer Parabolantenne bzw. der Vermieter keine Pflicht zur Duldung einer solchen hat. Eine derartige Zustimmung darf nicht rechtsmissbräuchlich verweigert werden. Der das Mietverhältnis beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben verbietet es, dass der Vermieter ohne triftigen Grund Einrichtungen versagt, die dem Mieter das Leben in der Mietwohnung erheblich angenehmer machen, während der Vermieter dadurch nur unerheblich beeinträchtigt und die Mietsache nicht verschlechtert wird (BVerfGE 90, 27; OLG Karlsruhe, NJW 1993, 2815). Dass das Landgericht im vorliegenden Fall einen ausreichend triftigen Grund in der – unstreitig geringen – Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes und in der Abwehr von Wünschen anderer Mieter gesehen hat, ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn es handelt sich um eine Frage der Würdigung des Sachverhalts im Einzelfall, die Aufgabe der dafür allgemein zuständigen Fachgerichte ist und der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof nicht unterliegt (vgl. Beschluss vom 30.6.1992 – VerfGH 9/92 – LVerfGE 1, 7st. Rspr.).
Dies gilt ebenfalls für die Annahme des Landgerichts, dass ein außergewöhnlicher, vom typischen Durchschnittsfall erheblich abweichender Fall nicht anzunehmen ist. Außergewöhnliche Umstände sind auch bei Vorhandensein eines Kabelanschlusses bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (BVerfGE 90, 27). Dass das Landgericht einen in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefall, nämlich den bezüglich ausländischer Mieter, abgelehnt hat, hatte lediglich klarstellenden Charakter. Es hat damit nicht die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Heimat ungleich behandelt (vgl. hierzu: BVerfGE 90,27). Dass auch für die deutsche Beschwerdeführerin die Annahme eines Ausnahmefalls grundsätzlich möglich ist, wird vom Landgericht entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht übersehen, da es ihr gesteigertes berufliches und persönliches Interesse und Informationsbedürfnis und das ihres Ehemannes für andere Kulturen und deren Sprache nicht unberücksichtigt lässt. Bei der Abwägung durfte das Landgericht jedoch die Frage beachten, ob das Informationsbedürfnis nur durch eine Parabolantenne befriedigt werden kann oder ob es auch andere vergleichbare Möglichkeiten der Versorgung gibt. Ob diese Möglichkeiten vergleichbar hinsichtlich der Programmvielfalt und zumutbar hinsichtlich der Finanzierung sind, ist an dieser Stelle nicht zu entscheiden. Die Auffassung des Landgerichts, die Beschwerdeführerin habe ihrer Darlegungspflicht bezüglich der Notwendigkeit gerade einer Parabolantenne nicht genügt, ist nicht zu beanstanden. Zwar hat die Beschwerdeführerin umfänglich die Vielfalt und Leistungsfähigkeit des Satellitenempfangs beschrieben. Eine Darlegung, dass dies nicht anders als mittels der Parabolantenne erreichbar ist (z.B. über Programme mit Decodern oder über Internet), erfolgte jedoch nicht. Zudem hat das Landgericht zulässigerweise berücksichtigt, dass die berufliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin nicht Gegenstand der mietvertraglichen Verhandlungen gewesen war. …
09.06.2018