Leitsatz:
Ein Mieter kann grundsätzlich darauf vertrauen, dass Schmelzwasser über den Balkonabfluss ordnungsgemäß abläuft und nicht durch das Mauerwerk in die Wohnung eines anderen Mieters eindringt.
LG Detmold vom 13.6.2012 – 10 S 211/11 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging vorliegend um einen Streit unter Mietern. Kläger und Beklagte bewohnten in einem Mietshaus zwei übereinanderliegende Wohnungen mit Balkonen. Die Beklagte bewohnte die Dachgeschosswohnung. Im Winter 2010 kam es zu erheblichen Schneefällen. Dieser sammelte sich auch auf dem Balkon der Beklagten. Die Kläger bemerkten Feuchtigkeitsschäden an der Decke und im Mauerwerk ihrer Wohnung. Sie sprachen bei der Beklagten vor und baten diese, ihren Balkon von Schnee, Eis und Tauwasser zu befreien. Dieses hatte sich auf dem Balkon angesammelt. Der Ablauf für das Wasser war zugefroren.
Die Kläger haben die Meinung vertreten, dass die Beklagte nicht die nötigen Anstrengungen unternommen habe, um das Eindringen des Schmelzwassers in das Mauerwerk zu verhindern und nahmen sie auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 2863,55 Euro in Anspruch. Die Klage hatte vor dem Landgericht keinen Erfolg. Die Kläger hätten – so das Landgericht – gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Absatz 1 BGB.
Es sei für einen Mieter nicht subjektiv vorhersehbar, dass er trotz eines äußerlich technisch einwandfrei wirkenden Bauzustandes des Mietshauses davon ausgehen müsse, dass es die Konstruktion eines der Witterung ständig ausgesetzten Balkons zulasse, dass Schmelzwasser aus angesammeltem Schnee und Eis in das Mauerwerk eindringe und zu Schäden in anderen Mietwohnungen führen könne. Solche bauphysikalischen Erkenntnisse könnten von einem Durchschnittsmieter nicht verlangt werden, selbst wenn es sich um größere Niederschlagsmengen handele. Hier könne sich der Mieter vielmehr darauf verlassen, dass der Balkon so konstruiert sei, dass auch größere Schneemengen auf dem Balkon bei Tauwetter nicht zu Schäden führten.
Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn der Mieter durch die Mitmieter konkrete Hinweise auf eine solche Gefahrensituation erhalten hätte oder der Vermieter entsprechende Hinweise gegeben habe oder in der Hausordnung angeordnet habe, Schnee auf Balkonen zu beseitigen.
Im Ergebnis gegenteilig hatte einige Monate zuvor das Amtsgericht Neukölln entschieden (Urteil vom 5.10. 2011 – 13 C 197/11 -, MM 6/12, Seite 30). Das Amtsgericht Neukölln hielt den Mieter für verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Wasser vom Balkon über eine dort vorgesehene Einrichtung abfließen kann.
Urteilstext
Gründe:
A.
Kläger und Beklagte bewohnen in dem Mietshaus C-str. 5a in E zwei übereinanderliegende Wohnungen mit Balkonen. Die Beklagte bewohnt die Dachgeschosswohnung. Im Winter 2010 kam es zu erheblichen Schneefällen. Dieser sammelte sich auch auf dem Balkon der Beklagten. Die Kläger bemerkten Feuchtigkeitsschäden an der Decke und im Mauerwerk ihrer Wohnung. Sie sprachen bei der Beklagten vor und baten diese ihren Balkon von Schnee, Eis und Tauwasser zu befreien. Dieses hatte sich auf dem Balkon angesammelt. Der Ablauf für das Wasser war zugefroren. Dieser Ablauf befindet sich im Boden des mit Platten belegten Balkons und ist für die Beklagte nicht zugänglich. Nachdem die Kläger die Beklagte auf die Feuchtigkeitseintritte in ihrer Wohnung hingewiesen hatten, wurde der Balkon mit deren tatkräftiger Unterstützung von Schnee und Eis befreit.
Die Kläger haben behauptet, das auf dem Balkon abtauende Wasser habe die Isolierung des Balkons zum Mauerwerk hin überstiegen und sei durch das Außenmauerwerk nach innen in die Wohnung der Kläger eingedrungen. Sie haben die Meinung vertreten, dass die Beklagte nicht die nötigen Anstrengungen unternommen habe, um das Eindringen des Schmelzwassers in das Mauerwerk zu verhindern. Bei einem Blick aus dem Fenster wäre es für sie offensichtlich gewesen, dass der Balkon die Schnee- und Wassermassen nicht hinreichend hätte aufnehmen und abführen können. Die Beklagte sei von ihnen mehrfach gebeten worden, den Balkon vom Schnee zu befreien.
Aus diesem Pflichtversäumnis heraus seien ihnen ein Schaden in Höhe von insgesamt 2.863,55 Euro entstanden. Dieser setzte sich aus Kosten für Tapezieren und Streichen in Höhe von 1.591,78 Euro, Reinigungskosten für Gardinen in Höhe von 189,08 Euro und Auslagerungskosten für Möbel in Höhe 1.082,69 Euro zusammen. Soweit es sich hier um Schadensersatzansprüche der Vermieterin handeln würde, haben sich die Kläger auf eine Anspruchsabtretung berufen.
Die Beklagte hat behauptet, dass die Wasserschäden allenfalls durch Risse im Mauerwerk des Hauses entstanden seien. Dies läge nicht in ihrem Verantwortungsbereich.
Mit Urteil vom 14.11.2011 hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe den Schaden nicht schuldhaft verursacht. Ein Balkon müsse von seiner baulichen Konstruktion her so beschaffen sein, dass auch im Falle starken Regens oder Schneefalls ein Eindringen von Regen oder Schmelzwasser in das umgebende Mauerwerk ausgeschlossen sei. Sei dies bauartbedingt nicht der Fall, sei es Sache des Vermieters auf andere Weise die technischen Vorkehrungen dafür zu treffen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger. Das Amtsgericht habe zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch aus einem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis verneint. Das Gericht stütze sich hierbei zwar auf die Kommentierung bei Palandt. Gerichte seien jedoch nicht an „irgendwelche Kommentatoren“ in „irgendwelchen Kommentaren“ gebunden, sondern an das Gesetz und ihr Gewissen. Das Gericht habe übersehen, dass zwischen den Parteien zu keiner Zeit Streit über die bauliche Beschaffenheit des Balkons bestanden habe. Der Balkon sei nach dem Stand der Technik errichtet und die Abdichtung gegen Feuchtigkeit sei fachgerecht. Die Ursache für den Schaden habe vielmehr darin gelegen, dass die Mieterin den Balkon sehenden Auges habe vereisen lassen mit der Folge, dass das Tauwasser über die seitliche Abdichtung angestiegen und sogar vor der Scheibe der Balkontür gestanden habe. Die Beklagte habe dafür sorgen müssen, dass der Abfluss auf ihrem Balkon nicht durch Laub oder Eis verstopft werde. Außerdem sei es unstreitig, dass die Beklagte von den übrigen Bewohnern des Hauses und insbesondere von den Klägern aufgefordert worden sei, die Schneemassen vom Balkon zu beseitigen, um die Gefahr eines Feuchtigkeitsschadens auszuschließen. Dieser Aufforderung sei die Beklagte bewusst nicht nachgekommen, weil sie den Schnee auf dem Balkon optisch ansprechend gefunden habe. Darüber hinaus seien die Blumentöpfe auf dem Balkon der Beklagten so angeordnet gewesen, dass sich zwischen und hinter ihnen Schnee sammeln und dann zu Eis werden konnte. Dadurch sei eine Barriere entstanden, die ein Abfließen des Wassers verhindert habe.
Die Berufungserwiderung verteidigt das Urteil. Insbesondere sei die Beklagte nicht unstreitig von den übrigen Bewohnern des Hauses und von den Klägern aufgefordert worden, die Schneemassen vom Balkon zu beseitigen. Die Behauptung sei noch nicht einmal in erster Instanz aufgestellt worden. Die Behauptung werde bestritten. Gegen eine Kausalität zwischen der mangelnden Schneebeseitigung und dem Schadenseintritt spreche im Übrigen, dass ein gleiches Ereignis bei keiner anderen Wohnung im Hause eingetreten sei, obwohl bei nahezu sämtlichen Wohnungen über Wochen und Monate die Balkone nicht geräumt worden seien.
B.
Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB aus eigenem oder abgetretenem Recht.
Im Ergebnis hat es das Amtsgericht zu Recht offen gelassen, ob die Feuchtigkeitsschäden ihre Ursache darin hatten, dass der Balkon der Beklagten nicht von Schnee und Eis befreit worden war und dadurch Schmelzwasser in das Mauerwerk eingedrungen ist. Als tatbestandliche Handlung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB käme hier nämlich nur ein Unterlassen in Betracht.
In diesem Zusammenhang braucht die Kammer sich mit der dogmatischen Unterscheidung zwischen der tatbestandlich zu prüfenden Verkehrspflicht bei Unterlassungsdelikten und der im Rahmen des Fahrlässigkeitsverschuldens zu prüfenden verkehrserforderlichen Sorgfaltspflicht nicht näher auseinander zu setzen, da neben einem möglichen objektiven Verkehrspflichtverstoß, der unter Umständen objektiv zu bewerten ist, auch der subjektive Sorgfaltsmaßstab geprüft werden muss.
Dabei ist von einem Verstoß gegen das Sorgfaltsgebot im Sinne eines fahrlässigen Handelns gem. § 276 Abs. 1 S. 2 BGB auszugehen, wenn nach einem objektivierten Beurteilungsmaßstab der Handelnde in seiner konkreten Lage den drohenden rechtswidrigen Erfolg seines Verhaltens voraussehen und ihn vermeiden konnte (BGH NJW-RR 1996, 980). Vor diesem Hintergrund hält es die Kammer nicht für subjektiv vorhersehbar, dass trotz seines äußerlich technisch einwandfrei wirkenden Bauzustandes des Mietshauses ein Mieter davon ausgehen muss, dass es die Konstruktion eines der Witterung ständig ausgesetzten Balkons zulässt, dass Schmelzwasser aus angesammelten Schnee und Eis in das Mauerwerk eindringt und zu Schäden in anderen Mietwohnungen führen kann. Solche bauphysikalischen Erkenntnisse können von einem Durchschnittsmieter nicht verlangt werden, selbst wenn es sich um größere Niederschlagsmengen handelt. Hier kann sich der Mieter vielmehr darauf verlassen, dass der Balkon so konstruiert ist, dass auch größere Schneemengen auf dem Balkon bei Tauwetter nicht zu Schäden führen.
Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Mieter durch die Mitmieter konkrete Hinweise auf eine solche Gefahrensituation erhalten hat oder der Vermieter entsprechende Hinweise gegeben hat oder in der Hausordnung angeordnet hat, Schnee auf Balkonen zu beseitigen.
Der Klägervertreter hat zunächst vorgetragen, dass der Schaden bereits eingetreten gewesen sei, bevor die Kläger die Beklagte auf die mögliche Ursache angesprochen hätten. Hierauf sei der Schnee geräumt worden. Trifft dieser Sachverhalt zu, wäre die Erkenntnis, dass der Schnee auf dem Balkon die Ursache gewesen sein kann für die Begründung eines Schadensersatzanspruchs zu spät gewesen.
In der persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht haben die Kläger erklärt, die Beklagte sei mehrfach gebeten worden den Schnee zu beseitigen. Diesen bestrittenen Vortrag haben sie aber weder näher konkretisiert, noch unter Beweis gestellt.
Mit der Berufungsbegründung wird der Sachverhalt nun noch einmal dahin ergänzt, dass sich die Beklagte trotz Hinweises durch mehrere Mieter bewusst über die Warnung hinweg gesetzt habe. Diese Sachverhaltsvariante ist allerdings bestritten. Sie ist auch neu. Deshalb ist sie in der Berufung nicht mehr zuzulassen, § 531 Abs. 2 ZPO.
Fehlt es aber einer subjektiven Vorhersehbarkeit, scheitert ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB an der Voraussetzung des Verschuldens.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 und 708 Nr. 10 ZPO.
21.12.2016