Leitsatz:
Unvermögen im Sinne von § 893 ZPO liegt nicht bereits vor, wenn der Vermieter seine rechtliche Möglichkeit, über die Mietwohnung zu verfügen, durch Weitervermietung ganz oder teilweise verliert. Insbesondere kann der Vermieter verpflichtet sein, sich aus dem Rechtsverhältnis mit dem Dritten durch Zahlung einer Abfindung zu lösen zu versuchen.
AG Lichtenberg, Beschluss vom 30.7.02 – 10 C 1013/01 –
Mitgeteilt von RA Jörg Grützmacher
Urteilstext
Aus den Gründen:
I. Der Gläubiger war Mieter, die Schuldnerin Vermieterin einer im Hause M.-Straße Berlin im 4. Obergeschoss rechts gelegenen Wohnung. Nachdem die Wohnung in Abwesenheit des Gläubigers am 9.7.2001 im Zuge eines Polizeieinsatzes mit einem neuen Schloss versehen worden war, kündigte die Schuldnerin das Mietverhältnis mit Schreiben vom 9. und 21.7.2001 wegen wiederholter unerlaubter Untervermietung fristlos. Die ihr von der Polizei ausgehändigten Wohnungsschlüssel behielt die Schuldnerin ein. Am 27.7.2001 verschaffte sich der Gläubiger, der seit 1996 mit Hauptwohnsitz in der D.-Straße, Berlin, gemeldet und dort auch postalisch erreichbar ist, durch Austauschen der Schlösser Zutritt zu der Wohnung in der M.-Straße. In Reaktion hierauf ließ die Schuldnerin am 3.8. 2001 erneut die Schlösser zu der Wohnung austauschen und in der Wohnung verbliebene Einrichtungsgegenstände des Gläubigers entfernen.
Am 2.11.2001 hat der Gläubiger den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Schuldnerin mit dem Begehren beantragt, der Schuldnerin aufzugeben, die Wohnung in der M.-Straße an ihn herauszugeben. Das Amtsgericht Lichtenberg hat diesen Antrag mit Beschluss vom 5.11.2001 zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers hin hat das Landgericht Berlin den Beschluss des Amtsgerichts Lichtenberg unter dem 15.11.2001 aufgehoben und der Schuldnerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, die Wohnung in der M.-Straße in Berlin an den Gläubiger herauszugeben, indem sie ihm sämtliche Schlüssel übergibt. Dieser Beschluss ist der Schuldnerin von Amts wegen am 19.11.2001 und im Parteibetrieb auf Veranlassung des Gläubigers am 30.11. 2001 zugestellt worden. Gegen den Beschluss des Landgerichts vom 19.11.2001 hat die Schuldnerin unter dem 10.1.2001 Widerspruch erhoben. Auf den Widerspruch der Schuldnerin hat das Amtsgericht Lichtenberg mit Urteil vom 6.2.2002 den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Auf die Berufung des Gläubigers hin hat das Landgericht Berlin das Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg mit Urteil vom 4.4.2002 abgeändert und die Schuldnerin und Verfügungsbeklagte verurteilt, die Wohnung in der M.-Straße, rechter Seitenflügel, 4. OG, rechts, in Berlin, bestehend aus einem Zimmer, Küche, Bad, Toilette und Keller an den Gläubiger und Verfügungskläger herauszugeben, indem sie sämtliche Schlüssel herausgibt und an den Verfügungskläger übergibt. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf das Urteil des Landgerichts Berlin Bezug genommen.
Zwischenzeitlich hatte die Schuldnerin die Wohnung mit Mietvertrag vom 14.2.2002 an Herr N. vermietet, der die Wohnung auch bezogen hat. Die Wohnungsschlüssel händigte die Schuldnerin sämtlich dem neuen Mieter aus. Mit Schreiben vom 24.4.2002 forderte der Gläubiger die Schuldnerin mit Fristsetzung zum 28.4.2002 vergeblich auf, die Wohnung an ihn herauszugeben.
Der Gläubiger behauptet, er habe nach wie vor seinen Lebensmittelpunkt und seine persönliche Habe in der Wohnung in der M.-Straße und ist der Ansicht, dass die Schuldnerin im Wege des Zwangsgeldverfahrens nach § 888 ZPO zur Erfüllung der Verpflichtung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 4.4.2002 anzuhalten sei. Er beantragt, gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld in Höhe von 15000 Euro festzusetzen.
Die Schuldnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Sie behauptet, zur Erfüllung der Verpflichtung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin nicht mehr in der Lage zu sein. Der neue Mieter sei nicht bereit, die Wohnung seinerseits an die Schuldnerin herauszugeben. Die Schuldnerin ist der Ansicht, dass die Herausgabeverpflichtung hinsichtlich der Wohnung allenfalls nach § 885 ZPO und hinsichtlich der Schlüssel nach § 883 ZPO zu vollstrecken sei.
II. Der Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die Schuldnerin ist nach § 888 ZPO gerechtfertigt.
1. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Einleitung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 4.4.2002 liegen vor. Der Klägerin ist unter dem 8.5. 2002 eine vollstreckbare Ausfertigung des gegen die Schuldnerin gerichteten Titels, der der Schuldnerin am 23.4.2002 zugestellt worden ist, erteilt worden. Auch die besonderen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen für die Vollstreckung aus einer einstweiligen Verfügung, die ein an den Schuldner gerichtetes Gebot enthält, liegen vor, §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO. Denn der Gläubiger hat der Schuldnerin den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 15.11.2001 unter dem 30.11.2001 im Parteibetrieb zugestellt. Das die einstweilige Verfügung ohne Änderungen bestätigende Urteil setzt keine neue Vollziehungsfrist in Lauf (LG Kassel in WM 1993, 418).
2. Mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 4.4.2001 ist die Schuldnerin verpflichtet worden, die Wohnung in der M.-Straße in Berlin an den Gläubiger herauszugeben und ihm durch Übergabe sämtlicher zur Wohnung gehörender Schlüssel Zutritt zu dieser Wohnung zu verschaffen. Die Schuldnerin ist mithin in erster Linie verpflichtet, dem Gläubiger unmittelbaren Besitz an der Wohnung zu verschaffen. Da sie zuletzt die Schlösser zu der streitbefangenen Wohnung austauschen ließ, hat sie dem Gläubiger im Zuge der Erfüllung ihrer Herausgabeverpflichtung die Schlüssel zu der streitbefangenen Wohnung zu übergeben. Dieser Verpflichtung ist die Schuldnerin bisher nicht freiwillig nachgekommen.
3. Der titulierte Herausgabeanspruch des Gläubigers ist im vorliegenden Fall als Anspruch auf Vornahme einer unvertretbaren Handlung nach § 888 ZPO zu vollstrecken. Eine Vollstreckung des Herausgabeanspruches betreffend die Wohnung nach § 885 ZPO scheidet vorliegend aus, da sich die Schuldnerin nicht im Besitz der Wohnung befindet.Die Wohnung ist unstreitig seit Mitte Februar 2002 an einen neuen Mieter vermietet und wird von diesem bewohnt. Die Schlüssel zu der Wohnung hat die Schuldnerin ebenfalls unstreitig dem neuen Mieter überlassen, so dass dieser allein Gewahrsamsinhaber ist. Gegen diesen richtet sich der vorliegende Titel nicht. Auch hinsichtlich der Wohnungsschlüssel scheidet eine Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO aus, da sich die Schuldnerin derzeit nicht im Besitz der Schlüssel befindet.
Da die Schuldnerin die streitgegenständliche Wohnung einem Dritten überlassen hat, demgegenüber sie auf Grund eines Mietvertrages zur Gebrauchsgewährung verpflichtet ist, hängt die Erfüllung ihrer Verpflichtung zur Zugangsgewährung und Besitzeinräumung gegenüber dem Gläubiger nunmehr einzig von ihren Bemühungen ab, sich den Besitz an Schlüsseln und Wohnung von dem Dritten wieder zu verschaffen. Da nur sie mit dem Dritten mietvertraglich verbunden ist, handelt es sich hierbei um eine höchstpersönliche Schuld. Die Schuldnerin kann daher durch Verhängung eines Zwangsgeldes nach § 888 ZPO dazu angehalten werden, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, das Leistungshindernis zu beseitigen (Zöller-Stöber, 21. Aufl. 1999, Rdnr. 2 zu § 888 ZPO; OLG Frankfurt in OLGR 1997, 34 f ; LG Berlin (67) in WM 1995, 123).
4. Entgegen der Ansicht der Schuldnerin ist der Gläubiger nach dem bisher Vorgetragenen auch nicht auf die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches nach § 893 ZPO in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften des Bürgerlichen Rechts zu verweisen. Zwar darf keine Zwangsmaßnahme in Form eines Zwangsgeldes oder der Zwangshaft gegen einen Schuldner festgesetzt werden, wenn feststeht, dass die Erfüllung unmöglich ist oder ernsthafte Zweifel an der Erfüllbarkeit der titulierten Forderung bestehen (KG Berlin in KGR 1998, 122-124). Dies wäre indes nur dann der Fall, wenn der Schuldnerin die ursprünglich vorhandene Möglichkeit, die geschuldete Leistung (Übergabe der Schlüssel und Herausgabe der Wohnung) zu erbringen, endgültig verloren gegangen wäre. Unvermögen im Sinne von § 893 ZPO liegt nicht bereits vor, wenn der Schuldner seine rechtliche Möglichkeit, über die Mietwohnung zu verfügen durch Weitervermietung ganz oder teilweise verliert. Der Schuldner muss vielmehr darlegen, dass er alles Zumutbare unternommen hat, um die Mitwirkung des Dritten, dem er sich vertraglich verpflichtet hat, an der Erfüllung des Anspruches des Gläubigers herbeizuführen (OLG Frankfurt in OLGR 1997, 34 f.; Thomas/Putzo, 24. Aufl. 2002, Rdnr.7 zu § 888 ZPO). Es obliegt zunächst dem Schuldner, substantiiert und nachprüfbar dazu vorzutragen, aus welchen Gründen ihm die Leistung unmöglich sein soll (KG Berlin in KGR 1998, 1222-124).
Dem hat die Schuldnerin vorliegend nicht Genüge getan. Zwar hat sie unwidersprochen vorgetragen, dass der neue Mieter mit Rücksicht auf Investitionen, die er bereits in der Wohnung vorgenommen hat, trotz mehrfacher Bitten und Aufforderungen nicht bereit gewesen ist, die Wohnung an sie herauszugeben. Dazu, wann und zu welchen Bedingungen sie im Einzelnen mit dem neuen Mieter über eine Aufhebung des Mietvertrages verhandelt haben will, verhält sich der Vortrag der Schuldnerin jedoch nicht. Der Schuldnerin ist ferner zuzumuten, dem neuen Mieter unter Inaussichtstellung einer Abstandszahlung ein Angebot zur einvernehmlichen Vertragsauflösung zu unterbreiten (Kinne/Schach, Miet- und Mietprozessrecht, 3. Aufl. 2002, Rdnr. 188 Teil II und LG Berlin (67) in WM 1995, 123). Dass auch dies bereits geschehen ist, lässt sich dem Vortrag der Schuldnerin nicht entnehmen.
5. Der Gläubiger ist vorliegend unbeschadet des Umstandes, dass er noch eine andere Wohnung zur Verfügung haben mag, auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben mit der Geltendmachung seiner Rechte aus dem Titel ausgeschlossen. Denn die Schuldnerin hat ihre uneingeschränkte Verfügungsmacht über die Wohnung selbst zu einem Zeitpunkt aufgegeben, als der Rechtsstreit über die Herausgabe der Wohnung an den Gläubiger noch nicht rechtskräftig entschieden war und sie angesichts der Entscheidung des Landgerichts Berlin im Beschlussverfahren mit einer Aufhebung des Urteils den Antrag des Gläubigers zurückweisenden Entscheidung des Amtsgerichts Lichtenberg immerhin rechnen musste.
6. Die Höhe des Zwangsgeldes ist vom Gericht nach billigem Ermessen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festzusetzen, wobei das Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung des Anspruchs ebenso wie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und dessen Bereitschaft, das durch den Titel ausgesprochene Gebot zu befolgen und an der Durchsetzung des Anspruchs des Gläubigers mitzuwirken, zu berücksichtigen sind. Der Wert der Hauptsache ist ein geeigneter Anhaltspunkt für die angemessene Höhe des Zwangsgeldes (Thomas/Putzo, 24. Aufl. 2002, Rdnr. 12 zu § 888 ZPO). Hiernach war das Zwangsgeld ausgehend vom Jahreswert der für die streitbefangene Wohnung derzeit erzielten Miete mit 2500,- Euro zu bemessen. Mit der Festsetzung des Zwangsgeldes ist gemäß § 888 Abs. 1 S. 1 1. Alt. ZPO stets zugleich Ersatzzwangshaft für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit des Zwangsgeldes festzusetzen (Thomas/Putzo, 24. Aufl. 2002, Rdnr. 12 zu § 888 ZPO). …
Anmerkung der Redaktion:
ebenso LG Berlin v. 27.6.1994 – 67 T 60/94 -, WM 95, 123; GE 95, 111
16.03.2013