Leitsätze:
1. Die Anwendung des Berliner Mietspiegels als Beweismittel zur Ermittlung der Vergleichsmiete ist auch für eine Mietwohnung zulässig, die in Schönefeld liegt.
2. Auf Grund des vergleichsweise breiten statistischen Datenmaterials erscheint ein Mietspiegel gegenüber dem Sachverständigengutachten als das grundsätzlich überlegene Beweismittel.
3. Die dem Mieterhöhungsverlangen beigefügte Liste mit Vergleichswohnungen bedarf nicht der Textform.
LG Potsdam, Urteil vom 30.9.04 – 11 S 9/04 –
Mitgeteilt von Matthias Tüxen
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
I.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zustimmung zu einer Mieterhöhung um monatlich Euro 24,90 auf Euro 439,88 (Euro 5,18/qm). Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Mieterhöhungsverlangen sei auf Grund des Vergleichs mit drei von der Klägerin benannten Vergleichswohnungen begründet. Der Berliner Mietspiegel sei nicht heranzuziehen, weil dieser in Schönefeld nicht gelte. Selbst bei Berücksichtigung des Berliner Mietspiegels 2003 ergebe sich, dass der geforderte Mietzins nicht wesentlich über in Berlin geltenden Mieten liege. Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die Klageabweisung begehren.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf die begehrte Zustimmung zu einer Erhöhung des Mietzinses in beantragter Höhe (§ 558 Abs. 1 BGB).
Zwar liegen die formellen Voraussetzungen des Mieterhöhungsverlangens gemäß der §§ 558, 558 a, 558 b BGB vor. Seit der letzten Mieterhöhung sind mehr als 15 Monate vergangen. Die Mieterhöhung beträgt nicht mehr als 20 Prozent in den letzten 3 Jahren. Die Klage ist am 27.3.2002 und somit vor dem Ablauf von 3 Monaten, nachdem der Beklagte bis zum Ablauf des 2. Monats – 31.12.2001 – nach Zugang des Mieterhöhungsverlangens der Mieterhöhung im Oktober 2001 nicht zugestimmt hatte, eingelegt worden. Die Textform ist gewahrt: Zu ihrer Wahrung genügt, dass das Mieterhöhungsverlangen selbst, nicht aber die beigefügte Anlage den Aussteller erkennen lässt (Palandt-Weidenkaff, BGB, 63. Auflage 2004, Rz. 4 zu § 558 a BGB). Zur formellen Begründung des Mieterhöhungsverlangens genügt auch die Benennung von drei Vergleichswohnungen, auch aus dem eigenen Bestand des Vermieters (BVerfG NJW 1993, 2039 ff., zitiert nach Juris). Die Klägerin hat in ihrem Mieterhöhungsverlangen drei Vergleichswohnungen benannt.
Die materielle Begründetheit des Mieterhöhungsverlangens ist jedoch nicht gegeben. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der von ihr geforderte Mietzins nicht über der ortsüblichen Vergleichsmiete i.S.d. § 558 BGB liegt.
Zwar hat die Klägerin jeweils drei Vergleichswohnungen benannt, und der Sachverständige ist auf Grund des Vergleiches mit den benannten Wohnungen zu dem Ergebnis gekommen, dass der geforderte Mietzins der ortsüblichen Vergleichsmiete entspreche. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Benennung von drei Vergleichswohnungen – auch aus dem eigenen Bestand des Vermieters – für die materielle Begründetheit des Mieterhöhungsverlangens ausreicht (BVerfG a.a.O.).
Das Gericht ist aber bei der Wahl des Beweismittels nicht an die vom Vermieter als Beweismittel angeführten Vergleichswohnungen gebunden. Es kann auch andere Beweismittel heranziehen, wenn es dies zur umfassenden Rechtsfindung für notwendig erachtet. Die ortsübliche Vergleichsmiete des § 558 Abs. 2 wird durch das Gericht gemäß § 287 Abs. 2 ZPO geschätzt. Dabei sind alle Beweismittel zugelassen (Sternel, a.a.O., Rz. 743; Palandt, a.a.O., § 558 b Rz. 12).
Bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete für eine Umlandgemeinde (ohne Mietspiegel) ist der Mietspiegel der Stadt mit in die Betrachtung einzubeziehen, wenn es ansonsten zu nicht hinnehmbaren Ungereimtheiten zwischen städtischen und außerstädtischen Wohnungen käme (Urteil des LG Freiburg vom 12.3.2002, Az. 9 S 130/01, zitiert nach Juris).
Vorliegend käme es ohne Miteinbeziehung des Berliner Mietspiegels zu solchen Ungereimtheiten. Bei den Wohnungen im Geltungsbereich des Berliner Mietspiegels und den Wohnungen in Schönefeld handelt es sich um die identische Bauweise innerhalb eines größeren mehrgeschossigen Wohnblocks. Die Grenze zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg führt willkürlich mitten durch das identisch bebaute Gebiet hindurch. Städtebaulich sind die in der Gemeinde Schönefeld gelegenen Wohnungen des Wohnblocks der Stadt Berlin zuzuordnen. Die Einwohner nutzen Einrichtungen der Stadt Berlin – Einkaufsgelegenheiten, Kindertagesstätten, den öffentlichen Nahverkehr – und nicht diejenigen der Gemeinde Schönefeld. Alle sachlichen Merkmale der Wohnungsqualität sind identisch, so dass der Unterschied zwischen der ortsüblichen Vergleichsmiete auf dem Geltungsgebiet des Berliner Mietspiegels und der wesentlich darüber liegenden vom Sachverständigen auf Grund der Vergleichswohnungen ermittelten Miete eine nicht hinnehmbare Ungereimtheit darstellt.
Auf Grund des vergleichsweise breiten statistischen Datenmaterials erscheint ein Mietspiegel gegenüber dem Sachverständigengutachten ferner als das grundsätzlich überlegene Beweismittel (LG Freiburg a.a.O.). Es darf auch der Mietspiegel einer Nachbargemeinde herangezogen werden, wenn für die streitgegenständlichen Wohnungen kein Mietspiegel existiert (OLG Stuttgart NJW 1982, 945; LG Duisburg WM 1991, 502; LG Essen WM 1991, 120; AG Siegburg WM 1992, 628). Dieses ergibt sich aus § 558 Abs. 4 Satz 2 BGB: Ist kein Mietspiegel vorhanden, kann auch ein anderer, insbesondere ein Mietspiegel einer vergleichbaren Gemeinde verwendet werden. Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht darauf an, ob die Gemeinde Schönefeld mit der Stadt Berlin vergleichbar ist. Entscheidend ist, dass die streitgegenständliche Wohnung für die Gemeinde Schönefeld gerade nicht typisch ist, dafür aber – hinsichtlich der für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete entscheidenden Qualitätsmerkmale – identisch mit Wohnungen, für die der Berliner Mietspiegel gilt.
Zwar ist die gesamte, auf beiden Seiten der Landesgrenze liegende Wohnsiedlung als einheitliche Siedlung für die Mitarbeiter des Flughafens Schönefeld gebaut worden und somit im Hinblick auf den in der Gemeinde Schönefeld liegenden Flughafen. Dieses hindert aber das Gericht nicht daran, wegen der für die Gemeinde Schönefeld aber ansonsten untypischen Wohnungsart zur Beurteilung der ortsüblichen Vergleichsmiete den Berliner Mietspiegel mit heranzuziehen.
Das Gutachten des Sachverständigen S. stellt nur eine von mehreren Erkenntnisquellen dar. Zwar hat der Sachverständige überzeugend und nachvollziehbar die Wohnwertmerkmale der streitgegenständlichen Wohnung, ihre Klassifizierung in eine bestimmte Kategorie des Berliner Mietspiegels und die hierzu noch zu addierenden werterhöhenden Zuschläge erläutert. Die Kammer geht auch davon aus, dass die vom Sachverständigen vorgenommene Einordnung der streitgegenständlichen Wohnung in eine bestimmte Kategorie des Berliner Mietspiegels sowie die errechneten Zuschläge zutreffend sind. Jedoch kann die Schlussfolgerung des Sachverständigen, die geforderte Miete liege nur „unwesentlich“ über dem Berliner Mietspiegel 2003, die Kammer nicht überzeugen.
Der Sachverständige ist rechtlich unzutreffend von der Geltung des Berliner Mietspiegels 2003 statt 2000 ausgegangen. Maßgebender Zeitpunkt für die Feststellung der Vergleichsmiete ist der Zugang des Erhöhungsverlangens, nicht das Wirksamwerden gemäß § 558 b Abs. 1 (Palandt a.a.O., Rz. 18 zu § 558 BGB). Zurzeit des Zugangs des Erhöhungsverlangens im Oktober 2001 galt noch der Berliner Mietspiegel 2000. Der Berliner Mietspiegel 2003 galt erst ab 1.1.2002. Der Berliner Mietspiegel 2000 ist – im Gegensatz zum Berliner Mietspiegel 2003 – zwar kein qualifizierter Mietspiegel, dessen Richtigkeit nach dem Gesetz vermutet wird. Dennoch kommt dem Berliner Mietspiegel 2000 ein hoher Beweiswert zu. Auch ein nicht qualifizierter Mietspiegel kann im Rahmen des Freibeweises zur Schätzung der ortsüblichen Vergleichsmiete herangezogen werden. (LG Berlin 62. Zivilkammer, Urteil vom 19.6.2003, Az. 62 S 15/03, zitiert nach Juris). Die auf die streitgegenständliche Wohnung zutreffende ortsübliche Vergleichsmiete beträgt nach der Aussage des Sachverständigen unter Zugrundelegung des Berliner Mietspiegels 2000 Euro 4,42/qm.
Selbst unter Zugrundelegung des Berliner Mietspiegels 2003 überzeugen die Schlussfolgerungen des Sachverständigen auch deshalb nicht, weil er nicht den eigentlichen von ihm selbst ermittelten, auf die Wohnung anzuwendenden Mittelwert aus der Tabelle des Berliner Mietspiegels 2003 zugrundelegt (Euro 4,76/qm), sondern hierauf einen – nicht mit Qualitätsmerkmalen der Wohnungen begründeten – Zuschlag von 20 Prozent berechnet und die – um weitere 8,8 Prozent über diesem erhöhten Betrag liegende – Miete mit dem um 20 Prozent erhöhten Betrag als „nicht wesentlich“ höher bezeichnet. Der Begriff der Wesentlichkeitsgrenze spielt im Rahmen des § 5 WiStG (Mietpreisüberhöhung) eine Rolle, nicht jedoch bei der Ermittlung der ortsüblichen Miete an sich. Für einen abstrakten, mit Qualitätsmerkmalen der Wohnung nicht zusammenhängenden Zuschlag von über 20 Prozent ist keine Grundlage ersichtlich. Gerade diesen Unterschied zwischen der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem Berliner Mietspiegel und der geforderten Miete begründet der Sachverständige nicht. Dieses wäre aber erforderlich gewesen. Liegt die vom Sachverständigen ermittelte ortsübliche Vergleichsmiete deutlich über dem, was sich bei Zugrundelegung des Mietspiegels ergäbe, so muss sich das Gutachten mit dem statistisch überlegenen Mietspiegel auseinandersetzen und die Abweichung sachlich begründen. Fehlt es – wie hier – an einer nachvollziehbaren Begründung, so kann das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung die Daten des Mietspiegels mitberücksichtigen (LG Freiburg a.a.O.). Das Gericht folgt hier dem Sachverständigen, ohne dessen Ausführungen hinsichtlich der „unwesentlichen“ Erhöhung nachzuvollziehen.
Weil selbst der vom Sachverständigen angeführte Mittelwert nach dem Berliner Mietspiegel 2003 (Euro 4,76/qm) unter der von der Klägerin geforderten Miete liegt und die Klägerin keine sachlichen Gründe für eine höhere ortsübliche Vergleichsmiete dargelegt hat, war die Klage abzuweisen.
Die Revision war nicht zuzulassen, denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist weder für die Fortbildung des Rechts noch für die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO. Bei der diesem Fall zugrundeliegenden besonderen Konstellation – das Verlaufen einer Landesgrenze durch ein einheitlich bebautes Wohngebiet, das teilweise im Geltungsgebiet eines Mietspiegels liegt – handelt es sich um einen geschichtlich und geographisch bedingten Sonderfall. …
28.05.2018