Leitsatz:
Ein schwerbehinderter Mieter kann einen Anspruch auf Installation einer Video-Kamera im Treppenhaus haben, wenn ausgeschlossen ist, dass eine Aufzeichnung der Aufnahmen erfolgt.
AG Köpenick, Urteil vom 13.11.02 – 7 C 211/02 –
Mitgeteilt von RA Burkhard Draeger
Urteilstext
Aus dem Tatbestand:
Der Kläger verlangt als Mieter von Wohnraum von der Beklagten als Vermieterin die Genehmigung einer baulichen Veränderung.
Der Kläger mietete mit schriftlichem Vertrag vom 16.1.1990 eine Wohnung in dem Haus … in Berlin-Treptow, deren Eigentümerin mittlerweile die Beklagte ist.
1989 erlitt der Kläger ein Schädelhirntrauma mit der Folge von Lähmungserscheinungen sowie einer Bewegungseinschränkung des gesamten Körpers und Doppelsichtigkeit. Nach Besserung der Bewegungseinschränkung erkrankte er 1993 an Multipler Sklerose mit der Folge geringer körperlicher Stabilität, Beweglichkeit und Reaktionsfähigkeit. Das Versorgungsamt hat mit Bescheid vom 12.4.2002 einen Grad der Behinderung von 100 festgestellt und eine außergewöhnliche Gehbehinderung, die Notwendigkeit ständiger Begleitung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und eine Telebusberechtigung zuerkannt. Der Kläger ist gegenüber körperlichen Angriffen schutzlos. Er beabsichtigt zur Vermeidung des im ungünstigsten Falle fünf Meter langen Gehweges zur Wohnungstür, die mit einem Spion ausgestattet ist, und zur Entmutigung böswillig gesinnter Besucher die Installation einer Videokamera, wie aus dem Antrag ersichtlich. Einen Monitor will der Kläger dann in seinem Wohnzimmer aufstellen.
Er behauptet, die Schließanlage der ohne Gegensprechanlage ausgestatteten Hauseingangstür sei häufig defekt, in unregelmäßigen Abständen kämen Werber, Türdrücker und Vertreter an seine Tür.
Der Kläger beantragt, wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet das Ausmaß der Gehbehinderung und behauptet, das Haus sei mit einer funktionierenden Schließ- und Gegensprechanlage ausgestattet. Im Übrigen sei zum 1.11.2002 ein Eigentumswechsel erfolgt, der neue Eigentümer plane umfangreiche Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen.
Sie ist bereit, die Verlegung der Gegensprechanlage in das Wohnzimmer des Klägers zu genehmigen. …
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Genehmigung der baulichen Veränderung gemäß § 554 a BGB.
Der Genehmigung einer baulichen Veränderung des Mietgegenstandes durch den Mieter bedarf es, wenn die Veränderungen endgültig oder lediglich schwer behebbar sind, nachteilige Auswirkungen auf den Mietgegenstand zu erwarten sind, eine Beeinträchtigung des Gesamteindrucks des Gebäudes stattfindet oder Gefährdungen, Belästigungen beziehungsweise Störungen Dritter auftreten.
Lediglich hinsichtlich des letztgenannten Interessenkreises ist die beabsichtigte Maßnahme erheblich. Der Klägerin obliegen als Vermieterin Fürsorgepflichten gegenüber ihren anderen Mietern, möglichen Mietinteressenten und gegenüber den von ihr beauftragten Handwerkern sowie anderen Dienstleistern. Deshalb ist die Montage einer Videokamera durch den Mieter gegen den Willen der Vermieterin grundsätzlich unzulässig, da dadurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht Dritter beeinträchtigt wird. Die Personen fühlen sich regelmäßig in einer solchen Situation befangen und zwar auch dann, wenn eine Aufzeichnung nicht stattfindet. Dieses betrifft Besucher der Mieterin im vierten Stock, Wohnungssuchende für die leer stehenden Wohnungen, Postzusteller, Handwerker und Reinigungskräfte, die einmal wöchentlich das Treppenhaus reinigen und alle anderen Personen, die dort verkehren. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Eingriff in den Rechtskreis dieser Personen nicht intensiver ist als der bei dem Besuch verschiedener Kaufhäuser, Bürogebäude, Parkhäuser, sogar öffentlicher Plätze und so weiter, die mittlerweile mit Überwachungskameras ausgestattet sind.
Das Bestehen einer Genehmigungspflicht für die beabsichtigte Maßnahme indiziert deren regelmäßige Unzulässigkeit, mithin das Fehlen eines Anspruchs auf Erteilung einer Genehmigung. Ein derartiger Anspruch kann allerdings gemäß § 554 a BGB angenommen werden, wenn nicht die widersprechenden Interessen der Vermieterin die Interessen des Mieters an der Genehmigung der Maßnahme überwiegen, Abs. 1 Satz 2. Die Regelung bezieht sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch auf die hier streitgegenständliche Maßnahme, denn diese soll die behindertengerechte Nutzung der Wohnung ermöglichen; Regelungsgegenstand ist nicht lediglich die Schaffung eines behindertengerechten Zugangs.
Der Kläger hat dargelegt und bewiesen, dass die Maßnahme für die Nutzung der Mietsache durch ihn zwingend erforderlich ist. Hierbei ist der Begriff der Erforderlichkeit nicht in einem naturgesetzlichen, sondern normativen Sinne, also unter Berücksichtigung von Zumutbarkeitserwägungen, zu verstehen. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Kläger unter einer extremen Gehbehinderung leidet, auf Grund derer er zunächst einige Zeit und Anstrengung aufzuwenden hat, um aus der Sitzposition in einen stabilen Stand zu gelangen. Zur Überzeugung des Gerichts steht auch auf Grund der sachverständigen Stellungnahme sowie den persönlichen Eindrücken aus der mündlichen Verhandlung vom 28.8.2002 fest, dass der Kläger sehr unsicher und langsam geht. Der sachverständigen Stellungnahme ist weiter zu entnehmen, dass diese Art der Fortbewegung auf circa 20 Meter begrenzt ist. Diese Umstände verdeutlichen, welcher Zeit- und Kraftaufwand erforderlich ist, damit der Kläger von seinem Wohnzimmer aus zur Tür gelangt, um dort mit seiner Sehbehinderung durch den Türspion den Bereich vor seiner Wohnungstür erfassen zu können. Es wird in gleichem Maße deutlich, welche Anstrengungen sich der Kläger bei unerwünschtem Besuch ersparen könnte. Die mit dem beabsichtigten Einbau verbundene Erleichterung wird den Kläger in seinem Sicherheitsgefühl spürbar bestärken und seine Teilhabe am sozialen Leben etwas weniger anstrengend gestalten.
Dieser Zweck ist auch nicht mit wenig beeinträchtigenden Maßnahmen zu erreichen, insbesondere ist die von der Beklagten angebotene Genehmigung der Verlegung der Betätigung der Gegensprech-Klingel-Anlage in das Wohnzimmer hierfür nicht hinreichend. Es ist als bekannt und deshalb nicht beweisbedürftig vorauszusetzen, dass Werber, „Drücker“ und Vertreter sich einmalig Zugang zu einem Mietshaus verschaffen und sodann unmittelbar vor den Wohnungstüren erscheinen können. Zudem entspricht es regelmäßigen Verhältnissen, dass gerade in der warmen Jahreszeit Hauseingangstüren nicht immer verschlossen sind. Im Übrigen wird die visuelle Wahrnehmung regelmäßig als am zuverlässigsten für die Einschätzung einer Person empfunden.
Widersprechende Interessen der Beklagten überwiegen demgegenüber nicht. Es ist unstreitig, dass der dritte Stock derzeit nicht von weiteren Mietparteien genutzt wird und die im vierten Stock einzig wohnhafte Mieterin Einwendungen gegen die geplante Kamerainstallation nicht erhebt. Beeinträchtigungen wären derzeit lediglich Besucher, Handwerker, Lieferanten und Mietinteressenten ausgesetzt. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts der lediglich kurzfristig und wenig intensiv betroffenen Kreise ist aus Sicht der schützenswerten Interessen der Beklagten allerdings von geringerem Gewicht als die Erleichterung der Lebensgestaltung des Klägers. Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass die Abwägung der betroffenen Interessen selbstverständlich nicht der hinsichtlich der Installation einer Kameraattrappe entspricht, bei deren Verwendung sich eine Mehrzahl der oben genannten Personen wegen der täuschenden Ähnlichkeit genauso beobachtet fühlen wie von einer echten Kamera, ohne dass sich allerdings bei dem Kläger der Zugewinn an Lebensqualität einstellen könnte. …
11.03.2013