Die Eigentümerin der Plattenbau-Wohnanlage Wilhelmstraße 56-59 in Mitte muss ihre Abrisspläne zurücknehmen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat die Mieter – wenn auch spät – auf eine bestehende erweiterte Kündigungsschutzklausel hingewiesen. Im Abgeordnetenhaus haben sich alle Fraktionen für den Erhalt der 100 Wohnungen ausgesprochen.
Seit Juni 2012 ist die Mieterberatungsgesellschaft „argus“ beauftragt, in einem Sozialplanverfahren die „Mitwirkungsbereitschaft“ der Mieter zum „Freimachungsverfahren der Wohnungen“ in der Wilhelmstraße zu ermitteln. Die Eigentümerin, die „B.Ä.R. Grundstücksgesellschaft“, will die vier Gebäude zwischen Französischer und Behrenstraße abreißen und an ihrer Stelle einen Neubau mit Luxuswohnungen errichten.
Das Sozialplanverfahren wird aufgrund einer Vereinbarung der Senatsverwaltung mit der Eigentümerin durchgeführt. Die Mieter mussten dabei den Eindruck bekommen, dass der Abriss des Hauses unabänderlich sei und es nur noch um die Modalitäten ihres Auszuges ginge. Ihnen wurde nicht gesagt, dass sie tatsächlich keineswegs umziehen müssen. Als die Firma B.Ä.R. die Gebäude im Jahr 2002 von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WBM erwarb, wurde im Kaufvertrag nämlich festgehalten, dass die Mieter nicht wegen „Hinderung einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung“ gekündigt werden dürfen. Solange sie nicht freiwillig ausziehen, kann also nicht abgerissen werden.
Über diese Mieterschutzklausel sind die Mieter allerdings zunächst nicht informiert worden. Dass die Senatsverwaltung dennoch das Sozialplanverfahren eingeleitet hat, ist ein irritierender Vorgang – sitzt doch der Senat im Aufsichtsrat der WBM und soll dort die Einhaltung der geschlossenen Verträge überwachen. Erst nachdem die Existenz der Mieterschutzklausel durchsickerte und es seitens der Bürgerinitiative Wilhelmstraße Protest hagelte, entschuldigte sich die Senatsverwaltung für den fehlenden Hinweis auf den zusätzlichen Kündigungsschutz.
Im November zeigten sich im Bauausschuss des Abgeordnetenhauses alle Parteien einig, dass die Vernichtung der erst 22 Jahre alten Wohnanlage verhindert werden muss. Den Abriss zu verbieten, ist rechtlich schwierig, deshalb hofft die Politik darauf, dass die Bewohner von ihrem Bleiberecht Gebrauch machen werden.
Deren Standhaftigkeit wird aber von der Eigentümerin auf die Probe gestellt. Die 44 verbliebenen Mieter berichten von vernachlässigter Instandhaltung, verdreckten Treppenhäusern, vermüllten Außenanlagen und Lärm – Beeinträchtigungen, die vor allem auf die Hotelnutzung der Gebäude zurückzuführen sind. Hier werden – wie auch in den benachbarten Plattenbauten der B.Ä.R. – seit Jahren Wohnungen im großen Stil als Ferienapartments zweckentfremdet. Die Bürgerinitiative fordert die Beendigung der Hotelnutzung sowie den Rückkauf der gesamten Wohnanlage und die Überführung in eine Genossenschaft.
Jens Sethmann
17.08.2013