Seit in Kuba Kauf und Verkauf von Wohnraum legalisiert worden sind, hat sich in Havanna ein beachtlicher Immobilienmarkt entwickelt. Seit Jahren vor sich hin gammelnde Häuser werden in privater Initiative saniert, immer mehr Wohnungen in Ferienapartments für Touristen umgewandelt. Reiche Kubaner sichern sich die schönsten Villen in den Vororten, es werden Preise aufgerufen, die kaum noch hinter Berliner Verhältnissen zurückbleiben.
Der Bungalow mit Pool aus den 50er Jahren im Stadtteil Miramar findet für 350.000 CUCs einen neuen Eigentümer, die ehemalige Villa eines Fabrikanten wird sogar für knapp 500.000 CUCs verkauft. CUC nennt man in Kuba den konvertiblen Peso, allerdings kann er nur im Land gegen den gleichwertigen Dollar getauscht werden. Der Wechselkurs der nationalen Währung zum CUC liegt bei rund 1:25, so dass jemand, der das Durchschnittseinkommen von 400 Peso verdient, über 2000 Jahre arbeiten müsste, um einen Wohnungskauf überhaupt bezahlen zu können.
Schrittweise wird im Land ein neues ökonomisches Modell eingeführt. Im Zuge dessen ist auch die alte Vorschrift, nach der Wohnraum nur getauscht und nicht verkauft werden durfte, abgeschafft worden. Auch der rigide Mieterschutz, der dazu geführt hatte, dass man Wohnraum lieber leer stehen ließ anstatt ihn zu vermieten, ist gelockert worden.
Inzwischen gibt es Geschäfte, in denen Werkzeug, Maschinen und Baumaterial verkauft werden, natürlich nur gegen CUC. Vieles, was es offiziell nicht gibt, wechselt auf dem blühenden Schwarzmarkt den Besitzer. Was auch dort nicht zu ergattern ist, wird mit dem Flugzeug herangeschafft, vorzugsweise aus Panama. So kommt der Liberalisierung des Wohnungssektors die neue Reisefreiheit zugute: Seit Anfang des Jahres bekommen Kubaner, wenn sie für die heimische Wirtschaft nicht unverzichtbar sind, einen Pass und dürfen aus- und wieder einreisen. Davon wird rege Gebrauch gemacht, pro Tag treten geschätzt etwa 50 Personen von Havanna aus die Reise in ein Nachbarland an, um Waren zu kaufen.
Ungereimtheiten des Zweiwährungssystems
Der staatliche Sektor kann nur noch für das Elementare sorgen – nicht nur im Wohnungswesen, wo die Neubautätigkeit und die staatliche Sanierung seit nunmehr über zwei Jahrzehnten nur noch im Kriechgang vorankommen. Gebaut wird derzeit, wenn überhaupt, für Arbeiter in der Exportwirtschaft, für Angehörige des Militärs sowie für verdiente Lehrer und Ärzte, die von ihren Auslandseinsätzen zurückkommen. Deren Wohnungen, bis zu 120 Quadratmeter groß, werden ihnen vom Staat mit günstigen 12.000 Peso in Rechnung gestellt, umgerechnet ein Kaufpreis von knapp 500 CUC. Aber das ist nur eine der vielen Ungereimtheiten des doppelten Währungssystems. Bauvorhaben ziehen sich teilweise über mehr als fünf, sechs Jahre hin oder werden nie beendet.
Für die wachsende Nachfrage ist in Havanna kaum zusätzlicher Wohnraum verfügbar. Daher nimmt auch das Problem der informellen Siedlungen am Stadtrand zu. Die „llegaypon“ (übersetzt: „Komm und stell hin“) genannten Bewohner haben erstmal keine Zuzugsgenehmigung, bekommen also auch keine „libreta“, den staatlichen Bezugsschein für die monatliche Zuteilung, mit der die Kubaner seit 1963 ihren Grundbedarf decken. Und wer keine „libreta“ hat, dem steht auch das staatliche Gesundheitswesen nicht zur Verfügung. Eigentlich kann er noch nicht einmal seine Kinder zur Schule schicken. All das hält aber eine wachsende Zahl von Menschen aus ländlichen Regionen nicht davon ab, ihr Glück in Havanna zu suchen. Und so wachsen die Siedlungen am Rande der Stadt.
Die Verwaltung geht damit auf typisch kubanische Art und Weise um: einer Mischung aus Druck und Fürsorge. Man versucht, den Zuzug zu unterbinden, aber kümmert sich auch um die Probleme der Menschen, die nun einmal dort leben. In den engen Gassen sieht man Schulkinder mit ihren vertrauten Uniformen in den Farben der verschiedenen Schulstufen. „Zwei- bis dreimal die Woche bekommen wir Wasser“, erzählt uns eine Frau in einem „barrio insalubre“, einem „unsauberen Stadtteil“, wie informelle Siedlungen in Kuba heißen. Die Bewohner haben sich ein Netz von Wasserleitungen zusammengebastelt, es zieht sich spinnennetzartig durchs Gebiet. Auch Strom ist da, irgendwo zweigt man ihn von einer öffentlichen Leitung ab.
Auch hier floriert der Handel. Jeder scheint jedem etwas zu verkaufen. Und uns, die wir als offenkundige Ausländer hier herumstöbern, wird mit einer in anderen Ländern unvorstellbaren Freundlichkeit und Offenheit begegnet. Man fühlt sich nicht bedroht, nicht belästigt, kein Argwohn, keine Aggressivität. Dieses Grundgefühl mag in Kuba inzwischen beschädigt sein, aber es gibt es noch. Es hat seine Grundlage in einer sozialen Gleichheit, die eines der Hauptziele der kubanischen Politik seit 1959 gewesen ist. Aber seit der „Sonderperiode“ – offizielle kubanische Sprachregelung für den Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa – ist die Politik der sozialen Gleichheit Geschichte.
Umverteilung im großen Stil
In den 20 Jahren, in denen Kuba versuchte, die existenzielle Krise seines sozialistischen Weges zu meistern, ist auf der Insel ein neuer Geldadel entstanden. Geschätzt 10 Prozent der Kubaner bekommen seit Jahrzehnten „remesas“ – Überweisungen ihrer Verwandten aus dem Ausland, vornehmlich aus Florida. Hinzu kommen die Sportler, die Künstler und all die, die mit beruflichen Tätigkeiten im Ausland Devisen verdienen. Auch die Genossenschaftsbauern, denen der Verkauf von Überschüssen auf freien Bauernmärkten möglich ist, haben beachtliches Kapital angesammelt. Vor allem aber haben seit den 90er Jahren all die, die im Tourismussektor als Vermieter, Restaurantbesitzer, Taxi- und Rikschafahrer tätig waren, teilweise beachtliche Summen anhäufen können.
Mit dem Geld der Neureichen ist nun eine enorme Umverteilung von Reichtümern in Gang gesetzt worden, an deren Ende auch die soziale Landkarte anders aussehen wird. Gleichzeitig kann man in Havanna besichtigen, dass enorme produktive Kräfte freigesetzt werden. Es lohnt sich, wieder in Häuser und Wohnungen zu investieren, überall in der Stadt sieht man kleine Baustellen. In den Erdgeschosszonen, jahrzehntelang mit Brettern vernagelt oder in Behelfswohnungen umgewandelt, werden wieder Restaurants, Geschäfte oder Dienstleistungsbetriebe eröffnet. Jahrelang gehorteter Wohnraum wird vermietet oder verkauft.
Gina R., vor ihrer Pensionierung jahrzehntelang in der Stadterneuerung Havannas tätig, hält den aktuellen Kurs aber für höchst fragwürdig. In der Tat birgt er viele soziale und städtebauliche Risiken. Vielleicht erfolgt in wenigen Monaten auch wieder eine abrupte Kehrtwende. Es wäre nicht das erste Mal.
Reinhardt Aehnelt
MieterMagazin 11/13
alle Fotos: Reinhardt Aehnelt
Die neue ökonomische Liberalisierung lässt viele Baustellen in Kubas Hauptstadt wachsen
Während die öffentlichen Bauvorhaben kaum vorankommen, wachsen am Stadtrand die „informellen“ Siedlungen
Wer mit harter Währung bezahlt, kann in Havanna jetzt Häuser und Wohnungen kaufen
Ende Oktober berichtete die regierungsamtliche kubanische Zeitung „Granma“, dass der Ministerrat des Landes einen Zeitplan für die Abschaffung des doppelten Währungssystems beschlossen hat.
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Die Wohnung privat, das Baumaterial staatlich
Das Hauptproblem des kubanischen Wohnungswesens ist seit Jahrzehnten der schleichende Verfall. In zwei Wohnungsgesetzen war nach der Revolution von 1959 verfügt worden, dass jeder seine Wohnung im Mietkauf erwerben kann. Einmal abgezahlt war das Eigentum zwar eher ein Besitztitel, weil kein Verkauf, sondern nur der Tausch möglich war, er gab aber Schutz vor Kündigung und konnte auch vererbt werden. Die Kehrseite der Medaille: Der Staat war nur noch in 2 Prozent der Wohngebäude für die Instandhaltung verantwortlich, in allen anderen Fällen mussten die neuen Eigentümer für den Erhalt ihrer Häuser selber sorgen. Das war aber so gut wie unmöglich, denn einen Markt für Baumaterialien gab es nicht. Man musste vielmehr auf staatliche Zuteilungen warten, und die blieben in der Regel aus.
rae
28.11.2013