Leitsatz:
§ 573 c Abs. 4 BGB ist auf Formularklauseln in einem vor dem 1. September 2001 abgeschlossenen Mietvertrag, die hinsichtlich der Kündigungsfristen die damalige gesetzliche Regelung wörtlich oder sinngemäß wiedergeben, nach Art. 229 § 3 Abs. 10 EGBGB nicht anzuwenden.
BGH v. 18.6.2003 – VIII ZR 240/02 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 15 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die mit Spannung erwartete Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Kündigungsfrist bei Altverträgen liegt nunmehr vor. Die ausführliche Begründung des Gerichts legt offen, dass der Gesetzgeber handwerklich unsauber gearbeitet hat. Der Gesetzgeber wollte die häufigen formularvertraglichen Vereinbarungen zu längeren Kündigungsfristen nicht gelten lassen, verstand es aber nicht, diesen Willen in Gesetzesform zu gießen.Das Urteil des BGH vom 18. Juni 2003 – VIII ZR 240/02 – hat folgenden Leitsatz: „§ 573 c Absatz 4 BGB ist auf Formularklauseln in einem vor dem 1. September 2001 abgeschlossenen Mietvertrag, die hinsichtlich der Kündigungsfristen die damalige gesetzliche Regelung wörtlich oder sinngemäß wiedergeben, nach Artikel 229 § 3 Absatz 10 EGBGB nicht anzuwenden.“Übersetzen wir den Leitsatz: § 573 c Absatz 4 BGB sagt, dass man die dreimonatige Kündigungsfrist für den Mieter nicht durch Vertragsvereinbarung verlängern darf. Artikel 229 § 3 Absatz 10 EGBGB macht davon eine Ausnahme für vor dem 1. September 2001 abgeschlossene Mietverträge. Danach darf durch Vertrag durchaus eine längere Kündigungsfrist auch für die Mieter vereinbart werden.Der Rechtsausschuss des Bundestages hatte in den Gesetzesmaterialen den Artikel 229 § 3 Absatz 10 EGBGB dahingehend interpretiert, dass eine Vereinbarung durch Vertrag nicht vorliege, wenn dies „nur“ formularvertraglich geschehen sei (BT-Drucks. 14/5663, Seite 83). Die Verwendung von Formularklauseln zur Kündigungsfrist ist bei Altmietverträgen aber die Regel. Demnach wollte der Gesetzgeber die neue kurze dreimonatige Kündigungsfrist auch für die Masse der Altverträge gelten lassen. Dem tritt nun der BGH entgegen, indem er sorgfältig begründet darlegt, dass dieser Wille des Gesetzgebers nicht in das Gesetz Eingang gefunden habe. Die richtige Anwendung des Gesetzes erlaube es aber, dass in Altverträgen auch durch Formularklausel längere Kündigungsfristen wirksam vereinbart werden konnten.
Im Wesentlichen stützt sich die Begründung des BGH auf vier Argumente:
- Die Formulierung „durch Vertrag vereinbart“ in Artikel 229 § 3 Absatz 10 EGBGB bedeute nach dem Sinnzusammenhang des Gesetzes „durch Mietvertrag vereinbart“. Es sei aber allgemein anerkannt, dass auch Formularklauseln in einem Mietvertrag Gegenstand vertraglicher Vereinbarung sein können. Dies gelte nicht nur, wenn sie von einer gesetzlichen Regelung abweichen, sondern auch dann, wenn sie die bei Vertragsschluss geltende, teilweise dispositive gesetzliche Regelung der Fristen für eine ordentliche Kündigung wörtlich oder sinngemäß wiedergeben und dadurch in den Parteiwillen aufnehmen (vgl. § 307 Abs. 3 BGB).
- Der Auffassung des BGH stünde des Weiteren nicht entgegen, dass der Rechtsausschuss des Bundestages die Übergangsvorschrift in Art. 229 § 3 Abs. 10 EGBGB anders verstanden wissen wollte, als es ihrem Wortlaut und ihrem sachlichen Zusammenhang mit § 573 c Abs. 4 BGB entspricht. Eine Differenzierung zwischen „echten“ und „unechten“ Vereinbarungen im Sinne der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses werde in der Gesetz gewordenen Formulierung nicht vorgenommen. Auch Formularklauseln in Mietverträgen stellten vertragliche Vereinbarungen im Rechtssinn dar und enthielten entgegen der Auffassung des Rechtsausschusses keine bloße Information über die gesetzlichen Kündigungsfristen. Gewissermaßen als „Wink mit dem Zaunpfahl“ verstanden werden können die Ausführungen des BGH, wonach die Vorstellungen des Rechtsausschusses über eine gebotene Einschränkung des Anwendungsbereichs der Übergangsvorschrift rechtliche Wirkung nur hätten erlangen können, wenn der Rechtsausschuss eine dafür erforderliche Änderungsempfehlung ausgesprochen hätte und die Übergangsvorschrift in entsprechend geänderter Fassung Gesetz geworden wäre.
- Der Gesetzgeber – so der BGH weiter – wollte den Altverträgen Bestandschutz gewähren. Die Mietvertragsparteien sollten auf Vertragsvereinbarungen – seien es nun Individualabreden oder formularvertragliche Klauseln – vertrauen können, die sie vor dem Inkrafttreten der Mietrechtsreform getroffen hätten. In der Begründung des Gesetzentwurfs werde zu der Übergangsvorschrift für die Fortgeltung vertraglich geregelter Kündigungsfristen ausgeführt, durch die Regelung werde „aus Gründen des Vertrauensschutzes sichergestellt, dass vor dem Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes wirksam vereinbarte Kündigungsfristen auch zukünftig wirksam bleiben“ (BT-Drucks. 14/4553, Seite 77).
- Und schließlich: Die vom Rechtsausschuss vorgenommene Unterscheidung zwischen „echten“ und „unechten“ Vereinbarungen würde die Notwendigkeit nach sich ziehen, die tatsächlichen Umstände des lange zurückliegenden Vertragsabschlusses aufzuklären. Das würde aber die mit der Mietrechtsreform verknüpfte Erwartung, das neue Mietgesetz würde es auch Laien ermöglichen, die meisten Rechtsfragen selbstständig zu lösen, unterlaufen. Die Rechtssicherheit würde darunter leiden. Fazit: Es bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung – so wie vom Deutschen Mieterbund gefordert – die Vorschriften zur Kündigungsfrist nachbessert. Solange dies nicht geschehen ist, gelten die Grundsätze, die der BGH aufgestellt hat. Dabei ist zu bedenken, dass der BGH eigentlich nur festgestellt hat, dass auch formularvertragliche Klauseln in Altverträgen wirksame Vereinbarungen zur Kündigungsfrist enthalten können. Wie die jeweilige Klausel auszulegen ist, ist eine ganz andere Frage. Eine Klausel, die beispielsweise lediglich davon spricht, dass die gesetzlichen Kündigungsfristen gelten sollen, führt dazu, das nunmehr die neue dreimonatige gesetzliche Kündigungsfrist Anwendung findet.
Frank Maciejewski
05.01.2018