Leitsatz:
Übersteigt die in einem Mieterhöhungsverlangen angegebene und der Berechnung zu Grunde gelegte Wohnfläche die tatsächliche Wohnfläche, so kann der Mieter unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung die Rückzahlung der in der Folgezeit auf Grund der fehlerhaften Berechnung überzahlten Miete verlangen, wenn die Abweichung der tatsächlichen von der angegebenen Wohnfläche mehr als 10 Prozent beträgt (im Anschluss an Senatsurteil vom 24.3.2004 – VIII ZR 295/03).
BGH v. 7.7.2004 – VIII ZR 192/03 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 11 Seiten]
Wohnflächenirrtum in der Mieterhöhung
Von Frank Maciejewski
In einer Entscheidung vom 7. Juli 2004 hatte sich der BGH (- VIII ZR 192/03 -, MM 04, 338; WM 04, 485) mit der Zahlung auf eine Mieterhöhung bei nicht erkannter Wohnflächenunrichtigkeit zu befassen. Im Mietvertrag war keine Wohnfläche angegeben. Der Mieter stimmte zwei Mieterhöhungen zu, bei denen eine Wohnfläche von 100 Quadratmeter zu Grunde gelegt worden war. Er zahlte den jeweils erhöhten Betrag. Erst Jahre später stellte sich die tatsächliche Wohnfläche von 88 Quadratmetern heraus. Der Mieter machte nunmehr Rückforderungsansprüche in Höhe der überzahlten Miete geltend. Im Revisionsverfahren entschied der BGH: „Übersteigt die in einem Mieterhöhungsverlangen angegebene und der Berechnung zu Grunde gelegte Wohnfläche die tatsächliche Wohnfläche, so kann der Mieter unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung die Rückzahlung der in der Folgezeit auf Grund der fehlerhaften Berechnung überzahlten Miete verlangen, wenn die Abweichung der tatsächlichen von der angegebenen Wohnfläche mehr als 10 Prozent beträgt.“
Den Rückforderungsanspruch des Mieters begründet der BGH mit einem gemeinsamen Kalkulationsirrtum über die Wohnfläche, der nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu behandeln sei. § 313 BGB setzt eine gewisse Erheblichkeit des Irrtums voraus, die der BGH hier ab einer Differenz von überraschend niedrigen 10 Prozent gegeben sieht. Dass die Vertragsanpassung nach § 313 BGB rückwirkend vorgenommen wird, sei ausnahmsweise zulässig, „weil die Geschäftsgrundlage bereits im Zeitpunkt des Mieterhöhungsverlangens unrichtig war“. Schützenswerte Interessen des Vermieters stünden der Rückwirkung nicht entgegen. Der Vermieter habe das Risiko einer unzutreffenden Wohnflächenangabe im Mietvertrag, in einem Mieterhöhungsverlangen oder einer Betriebskostenabrechnung zu tragen.
- Um Missverständnissen vorzubeugen: Die BGH-Entscheidung hat nichts an dem Grundsatz geändert, dass ein Mieter nur bis zu der ortsüblichen Vergleichsmiete seine Zustimmung erteilen muss, die sich unter Zugrundelegung der tatsächlichen Wohnfläche ergibt. Es spielt hierbei keine Rolle, ob die Abweichung unter oder über 10 Prozent liegt. Erkennt der Mieter die überhöhte Wohnfläche, darf (und sollte) er insoweit seine Zustimmung verweigern. Das Urteil des BGH hat also nur Bedeutung für Fälle, in denen der Mieter irrtümlich zugestimmt hat. Entsprechendes gilt, wenn im Rahmen eines Zustimmungsprozesses die Zustimmung durch Urteil nach § 894 ZPO ersetzt wurde, weil im Prozess niemand die Wohnflächenabweichung bemerkt hat. Denn auch dieses Urteil führt zu einer Vertragsänderung, welche mit den Regeln vom Wegfall der Geschäftsgrundlage angegriffen werden kann (Schach GE 04, 998, 999). Selbst wenn die gezahlte Miete auch bei Zugrundelegung der tatsächlichen Wohnfläche noch im Rahmen der Ortsüblichkeit liegt, kann der Vermieter dem Rückforderungsanspruch des Mieters nicht den Entreicherungseinwand nach §818 Abs. 3 BGB entgegenhalten. Das Mietrecht des BGB kennt keine bereicherungsrechtliche Nachholung einer Mieterhöhung (Wiek WM 04, 487, 489; a.A. wohl im Ergebnis Schach GE 04, 998, 999).
Allerdings wird der Rückforderungsanspruch nicht nur zeitlich durch die Verjährungsvorschriften, sondern auch betragsmäßig durch die zuvor geschuldete und von keiner Vertragspartei angegriffene Ausgangsmiete begrenzt. Ein Rückzahlungsanspruch scheidet gänzlich aus, wenn der Mieter in Kenntnis der falschen Wohnfläche der Mieterhöhung zugestimmt hat. Denn in diesem Fall ist die falsche Wohnfläche Geschäftsgrundlage und es kann insoweit kein Kalkulationsirrtum vorliegen. - Die Entscheidung lässt überdies den Schluss zu, dass auch wegen anderer gemeinsamer Kalkulationsirrtümer dem Mieter ein Rückzahlungsanspruch zustehen kann. Beispielsweise kann der gemeinsame Irrtum über das zutreffende Baualter (bei Wiederaufbauhäusern) einen solchen Fall darstellen. Fraglich ist, ob der BGH auch hier eine Erheblichkeitsgrenze wie bei der Wohnflächenabweichung fordert und wenn ja, wie diese zu berechnen ist.
- Nach Ansicht des BGH scheidet ein Rückforderungsanspruch bei Wohnflächenabweichungen unter 10 Prozent aus, weil hier eine nur geringfügige Abweichung vorliegt, die die Anwendung des Rechtsinstituts vom Wegfall der Geschäftsgrundlage noch nicht rechtfertigt. Andererseits heißt es in der Entscheidung ausdrücklich: „Wird der Berechnung eine zu große Wohnfläche zu Grunde gelegt, so könnte der Vermieter damit einen Mietzins erzielen, der über der ortsüblichen Miete für vergleichbare Wohnungen läge. Dies soll durch § 558 BGB gerade verhindert werden.“ Deshalb dürfte richtigerweise auch bei geringerer Abweichung ein Rückforderungsanspruch bestehen, was sich auch aus den Grundsätzen der Vertragsauslegung ergibt (instruktiv Wiek WM 04, 487, 489).
Fazit:
Die Bedeutung der Entscheidung geht über die Wohnflächenproblematik hinaus. Obwohl der Mieter nach § 558 b Abs. 1 BGB zugestimmt hat, kann er bei Vorliegen eines beiderseitigen Kalkulationsirrtums die Folgen seiner Zustimmung teilweise wieder rückgängig machen. §557 Abs. 1 BGB steht dem grundsätzlich nicht entgegen.
05.05.2018