„Ach, Sie wohnen in Potsdam – eine sehr schöne Stadt!“ Mit solchen oder ähnlichen Komplimenten beginnen viele Dialoge zwischen Potsdamern und Berlinern oder jenen Landsleuten, die Brandenburgs Hauptstadt einmal – zumeist im Nebenprogramm ihrer Berlin-Reise – besucht haben. Es ist ein Urteil aus der touristischen Perspektive und gilt den Schlössern und Gärten, der barocken Altstadt und der landschaftlichen Schönheit der Potsdamer Umgebung. Aber es ist weniger als die halbe Wahrheit, denn als Wohnstandort bietet Potsdam weitaus mehr Gesichter. Nicht alle sind so charmant wie sein Holländisches Viertel oder die Villenvorstädte. Ein Blick auf das Ganze und hinter die historische Kulisse der Preußenresidenz.
Für den nüchternen Wohnungsmarktanalysten ist Potsdam nur ein kleiner Fleck in der Metropolregion Berlin, Umfeld für den riesigen großstädtischen Berliner Wohnungsmarkt. Wie dort wächst die Stadt vor allem aufgrund von Zuwanderungen über die Stadtgrenzen. Die Quellgebiete für dieses Wachstum sind neben dem übrigen Bundesgebiet das die Stadt umgebende Land Brandenburg. Die Rolle Berlins ist dabei nicht nur bescheiden, sondern auch ambivalent. Aus Berlin bezieht Potsdam in fast allen Altersgruppen ein leichtes Bevölkerungsplus, wenn man die Zu- und Wegzüge zwischen den beiden Städten saldiert. Potsdam fungiert wie in den vorigen Jahrhunderten als grüne Vorstadt Berlins. In einer sehr großen Altergruppe dagegen – den jungen Erwachsenen – gibt Potsdam Nachfrager an die Nachbarmetropole ab. Die Studentenstadt Potsdam verliert jedes Jahr gut 300 und mehr junge Leute an Berlin, wo es mit der Wohnungsversorgung dieser Gruppe auch nicht zum Besten steht. Denn mit Schlössern und Grün imponiert man den Jungen wenig. Der Mangel an städtischer Lebendigkeit und kultureller Vielfalt in Potsdam spielt dagegen eine bedeutende Rolle als Negativfaktor.
Trotz des Unterschieds zwischen vitaler Metropole und betulicher Residenzstadt im Grünen gibt es nicht wenig Gemeinsamkeiten zwischen den ungleichen Wohnstandorten. Potsdam ist wie Berlin eine Mieterstadt. Lediglich 16,1 Prozent aller Potsdamer Wohnungen werden von den Eigentümern selber bewohnt. Diese niedrige Eigentumsquote ist wenig höher als die von Berlin mit 15 Prozent und auch deutlich niedriger als die von vergleichbaren kleinen westdeutschen Universitätsstädten wie etwa Freiburg (29,5 Prozent), Tübingen (54 Prozent) oder Münster (32,4 Prozent). Eine so niedrige Eigentumsquote ist normalerweise das typische Merkmal von großstädtischen Wohnungsmärkten und angesichts der landschaftlich geprägten offenen Bebauung der Stadt nicht selbstverständlich. Viele Ex-Potsdamer gehen – wie in Berlin – an den Rand, wenn sie Eigentum bilden wollen. Saldiert man die Zu- und Wegzüge zwischen Potsdam und seinem unmittelbaren Umland, so weist die Stadt eine Negativbilanz mit dem Umland auf.
Wenig gerüstet für die Ausbildungswanderer
Potsdam ist – mehr noch als Berlin – eine Studentenstadt. Der Anteil der Studenten ist mit knapp 13 Prozent deutlich höher als die Quote in Berlin (5 Prozent). Wie alle Städte mit einer so hohen Studierendenquote zeigt das Folgeprobleme. Man bezieht das Bevölkerungsplus und damit auch den Löwenanteil der Erstnachfrager aus Ausbildungswanderung, ist jedoch wenig gerüstet für die Konsequenzen. Manche sehen in der deutschlandweiten Wohnungsnot von Universitätsstädten ein weiteres Beispiel für einen aufgekündigten Generationenvertrag. Man argumentiere einerseits, dass die gute Ausbildung der Jugend ein zentrales Anliegen und ein Stück Zukunftssicherung für die gesamte Gesellschaft sei. Gleichzeitig hole man diese jungen Leute in Städte mit leer gefegten Wohnungsmärkten und enorm hohen Neuvertragsmieten. Die gezielte Ausweitung des Wohnungsangebots für Studenten spielt zwar in Potsdam eine größere Rolle als in Berlin, ausreichend sind diese Anstrengungen jedoch nicht. „Welch‘ schönes Willkommen in Potsdam – der Stadt der Preußen, des Prunks und der Preisexplosion“, heißt es dazu ironisch auf den Asta-Internetseiten. Ohne bezahlbaren Wohnraum sei es schwer, dass Studenten die Stadt als lebenswert empfinden.
Kommunale Unternehmen haben großes Marktgewicht
An anderer Stelle enden die Gemeinsamkeiten von Berlin und Potsdam schnell. Im Unterschied zur touristischen Perspektive haben die Altbauten Potsdams bei der Wohnungsversorgung ein weitaus geringeres Gewicht als in Berlin. Ein relativ kleines Segment von Wohnungen, die nach der Wende aufwändig saniert wurden und entsprechend teuer sind, steht einem deutlich größeren Anteil an Mietwohnungen gegenüber, die in industrieller Bauweise errichtet wurden. Die vor 1918 gebauten Wohnungen machen mit 15 Prozent in Potsdam lediglich die Hälfte des Anteils aus, den sie in Berlin mit 30 Prozent haben. Der Imagewert jener Häuser und Wohnungen, die man etwa in der barocken Altstadt findet, steht also im umgekehrten Verhältnis zu ihrem quantitativen Gewicht. Der Vorsitzende des Potsdamer Mietervereins, Volker Punzel, fordert deshalb auch zu Recht: „Man darf den Blick nicht allein auf die historische Innenstadt und auf die sie umgebenden Vorstädte mit ihren überwiegend vor 1945 entstandenen Gebäuden richten. 51 Prozent der Potsdamer Wohnungen sind zu Zeiten der DDR errichtet worden – in industrieller Bauweise.“ Auch wohne die „Mehrheit der Potsdamer nicht in der historischen Kernstadt, sondern außerhalb.“
Die Mieten haben auf die Knappheit längst reagiert. Dort, wo der stärkste Wettbewerb der Nachfrager herrscht, im Altbausektor, liegen sie deutlich über Bundesniveau. Das ist keine Spezialität Potsdams wie die Vergleichszahlen mit Berlin und anderen Großstädten zeigen. Umgekehrt ist es im Sektor des industriellen Wohnungsbaus. Hier liegen die Mieten unter dem bundesdeutschen Niveau.
Die Stadt hat im Neubau nach 1990 vergleichsweise viel getan. Bereits 23 Prozent der Mietwohnungen wurden in dieser Phase gebaut. Eine solche Neubauquote nach der Wende – das meiste davon auf ehemaligen Kasernenflächen im Norden – haben nur sehr wenige ostdeutsche Städte. Dennoch bleibt die Wohnungsmarktsituation Potsdams angespannt. Potsdams Politik reagiert darauf vor allem, indem sie ihren großen gemeinwirtschaftlichen Sektor – allen voran das städtische Wohnungsunternehmen Pro Potsdam – in die Pflicht nimmt. Angesichts des großen Marktgewichts des kommunalen Unternehmens macht dies Sinn. Der Mietwohnungsbestand im Besitz kommunaler oder genossenschaftlicher Eigentümer ist mit rund 50 Prozent sehr groß. Er ist etwa doppelt so hoch wie der Anteil in Berlin und vielen anderen Mittelstädten.
Der Potsdamer Mietervereinsvorsitzende Punzel bilanziert: „Wir erkennen das Bemühen von Pro Potsdam an, Antworten darauf zu finden, wie man den größten Druck, die größten Spitzen auf dem Markt wegnehmen kann.“ Manchmal werde das Unternehmen aber erst aktiv, wenn es von außen dazu gezwungen werde. Das Gewoba-Bonusprogramm und das Potsdamer Modell „Wohnen zum Sozialtarif“ können sich aber laut Volker Punzel deutschlandweit sehen lassen: „Andere Mietervereine wünschten sich bei ihren kommunalen Wohnungsunternehmen oft ein ähnliches Herangehen an die sozialen und die Wohnungsprobleme.“
Armin Hentschel
MieterMagazin 6/14
alle Fotos: Nils Richter
Der barocke Charme der brandenburgischen Hauptstadt sticht besonders ihren Besuchern ins Auge
Die Mehrheit der Potsdamer wohnt in Plattenbauten, die zu DDR-Zeiten errichtet wurden
Für Außenstehende ist Potsdams Bild geprägt von teuren Villen und feudalen Gärten
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Potsdam in Zahlen
Gemessen an der Berliner Bevölkerungszahl kommt die brandenburgische Landeshauptstadt klein daher: Mit derzeit rund 160.000 Einwohnern bringt sie es auf ein knappes 20stel der Bewohner in der Hauptstadt. Schon anders die Flächenrelationen der Städte. Da es Potsdam auf rund 20 Prozent der Berliner Ausdehnung bringt, steht jedem seiner Bewohner gut viermal soviel „Stadtfläche“ zur Verfügung wie einem Berliner. Viel Platz also für neue Hinzuziehende – den Potsdam freilich auch braucht. Die Stadt ist in den letzten zehn Jahren um zehn Prozent angewachsen und erwartet in den nächsten 15 Jahren weitere 20.000 bis 30.000 neue Bewohner. Damit liegt sie in der Wachstumsquote deutlich vor Berlin.
mm
03.06.2014