Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht mit äußerst beschränkter Wirkung.
Das Recht auf Wohnen ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 formuliert: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet“, die Wohnung ist darin ausdrücklich eingeschlossen. Völkerrechtlich verbindlich wurde das Recht mit dem UN-Sozialpakt von 1966. Die 162 Vertragsstaaten erkennen das Recht auf eine „ausreichende Unterbringung“ an (im englischen Original: „adequate housing“). Seitdem die Bundesrepublik 1973 den UN-Sozialpakt ratifiziert hat, ist dies in Deutschland geltendes Recht, das theoretisch auch einklagbar ist. Praktisch hat das aber kaum eine Bedeutung, weil der Begriff „ausreichende Unterbringung“ zu unbestimmt ist.
Konkreter ist das Recht auf Wohnung in der Neufassung der Europäischen Sozialcharta von 1996. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, „den Zugang zu Wohnraum mit ausreichendem Standard zu fördern“, „der Obdachlosigkeit vorzubeugen und sie mit dem Ziel der schrittweisen Beseitigung abzubauen“ sowie „die Wohnkosten für Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, so zu gestalten, dass sie tragbar sind“. Von den 47 Mitgliedstaaten des Europarats haben 32 – von Albanien bis Zypern – die Sozialcharta ratifiziert, Deutschland jedoch nicht.
Viele Staaten haben das Recht auf Wohnen in ihren Verfassungen verankert, zum Beispiel Belgien, Spanien, Portugal, Russland, der Iran, Südafrika und ein Großteil der lateinamerikanischen Länder. Eine Reihe weiterer Staaten hat sich in der Verfassung die Aufgabe gestellt, für angemessene Wohnverhältnisse zu sorgen. Dazu gehören in Europa die Schweiz, die Niederlande, Schweden, Finnland, Polen und die Türkei.
In Deutschland formulierte die Weimarer Verfassung von 1919 erstmals das staatliche Ziel, „jedem Deutschen eine gesunde Wohnung“ zu sichern. Im Grundgesetz der Bundesrepublik ist davon nicht mehr die Rede. In der Verfassung des Landes Berlin heißt es immerhin: „Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land Berlin fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohneigentum.“
In der Regel steht das Recht auf Wohnen nur auf dem Papier. Um es zur Geltung zu bringen, ist jedoch eine starke gesellschaftliche Bewegung notwendig. Das zeigt zum Beispiel Frankreich. Seit 1990 ist dort das Recht auf Wohnung („droit au logement“) gesetzlich festgeschrieben. Doch es brauchte erst eine breite wohnungspolitische Protestbewegung mit spektakulären Besetzungen leerstehender Häuser und monatelangen Zeltlagern am Ufer der Seine, bis die Regierung dieses Recht im Jahr 2007 einklagbar machte. Damit kann jeder einen Anspruch auf eine Unterbringung erheben. Viele Familien werden aber in Hotels, Pensionen oder Sammelunterkünften untergebracht, wo sie auf nicht absehbare längere Zeit ohne Küche und eigenes Bad leben müssen. Das ist zwar besser als die Obdachlosigkeit, aber noch keine angemessene Wohnung. Damit das Recht auf Wohnen erfüllt wird, muss eine aktive Wohnungspolitik betrieben werden, die sich nicht darauf verlässt, dass der Markt das Problem schon lösen wird. Eine Floskel in der Verfassung reicht nicht aus.
Jens Sethmann
MieterMagazin 7+8/14
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03.09.2014