Auf rund 12.000 wird die Zahl derer geschätzt, die in Berlin wohnungslos sind. 284.000 sollen es in Deutschland sein. Genau weiß man es nicht. Die Einführung einer Wohnungsnotfallstatistik – in anderen europäischen Ländern gang und gäbe – hat der Bundestag 2013 erneut abgelehnt. Wer wohnungslos ist, hat häufig auch mit weiteren Problemen zu kämpfen: Schulden, Arbeitslosigkeit, Alkohol, Krankheit, kaputte Familie. Das erfordert individuelle Hilfestellung und macht den Ausweg kompliziert. Unser Beitrag lässt Helfer und Betroffene zu Wort kommen.
Es ist 8 Uhr morgens, ein kalter, nasser Dezembertag am Berliner Ostbahnhof. Vor der Ladentür unter einem der S-Bahnbögen werden gerade Kisten mit Backwaren abgestellt. Daneben warten geduldig einige Männer, obwohl noch gar nicht geöffnet ist. „Wir haben acht Plätze“, erklärt die Leiterin der kirchlichen Einrichtung, Ursula Czaika. „Jeder, der bei uns frühstücken möchte, kann eine halbe Stunde bleiben, dann sind die nächsten dran.“
Der Mann mit dem hochgeschlagenen Jackenkragen hat Glück, er ist einer der ersten. Er holt sich Kaffee und einen Teller mit belegten Broten. „Nennen Sie mich einfach den Südamerikaner“, erklärt er. Viele Jahre habe er in Rio de Janeiro gelebt, jetzt wohne er in einer kirchlichen Einrichtung ganz in der Nähe – „vorübergehend“, bis er wieder eine eigene Wohnung habe. „Die finde ich ganz sicher“, erklärt er. Sie müsse aber in Wilmersdorf liegen, im alten Kiez, wo seine Mutter einmal gelebt hat. Um sie zu pflegen, ist er 2011 von Brasilien nach Deutschland zurückgekommen. Seit ihrem Tod 2012 kam er mal hier und mal da unter.
„Wenn Du aus dem Tritt kommst …“
Der Mann neben ihm sagt leise: „Ich schlafe im Wald.“ Er hat die Kapuze seines Pullovers tief ins Gesicht gezogen, möchte nicht angeschaut, geschweige denn fotografiert werden. Nachdem er mit seiner Garten- und Landschaftsbaufirma 1996 pleite ging, habe er mehr und mehr getrunken. Seit sechs Jahren lebt er mittlerweile schon auf der Straße. „Wenn du aus dem Tritt kommst“, stimmt ihm der Südamerikaner zu, „fliegste raus aus dem System.“ Warum ist er selbst rausgeflogen? Er sei Industriekaufmann, spreche portugiesisch, englisch, französisch, habe in Brasilien für eine große Firma gearbeitet, gut verdient. Vielleicht war es ein Fehler, so ohne Job nach Deutschland zurückzukommen? Vielleicht gehe er ja wieder nach Rio. Irgendwann.
Wer neben dem Südamerikaner in der U-Bahn sitzen würde, käme nicht auf den Gedanken, dass der gepflegt aussehende Mann Ende 50 zum Heer der Wohnungslosen in Berlin gehört. Zu jenen Menschen, die keinen eigenen Mietvertrag haben. Die bei Verwandten oder Freunden übernachten, in Heimen oder Notunterkünften untergebracht sind, oder die ganz ohne Obdach auf Parkbänken, unter Brücken, in Bahnhöfen und Geschäftseingängen ihre Schlafsäcke ausrollen.
Weil sowohl deutschlandweit als auch in Berlin keine Statistik über sie geführt wird, lässt sich ihre Zahl nur schätzen: zwischen 12.000 und 14.000 wohnungslose Menschen könnten es in Berlin sein, meint Robert Veltmann, Geschäftsführer der GEBEWO, einer Einrichtung der Diakonie, die Menschen in Wohnungsnot Beratung und Hilfe anbietet. „Schätzungsweise 80 Prozent von ihnen leben in irgendeiner Unterkunft – die anderen auf der Straße“, so Veltmann. Seit Anfang der 1990er Jahre arbeitet er in der Wohnungslosenhilfe. Er kennt viele Schicksale: von dramatischen Trennungen, plötzlichem Arbeitsplatzverlust und dauerhafter Arbeitslosigkeit, von Alkohol- oder Drogenproblemen, psychischen Erkrankungen. Es sind meist Brüche im Leben, die zum Verlust des Hauses oder der Wohnung führen. Veltmann: „Aber es gibt auch Menschen, die nie eine eigene Wohnung hatten.“
Menschen wie René, 40 Jahre alt, schlank, mit ausgebeulten Jeans, wetterfester Jacke und fast jungenhaften, wachen, dunklen Augen. Seine derzeitige Bleibe: eine leere Halle irgendwo in Lichtenberg. „Unten war mal eine Werkstatt, oben Büros. Das habe ich mir eingerichtet und halte es sauber – da gibt’s keinen Müll!“
René stammt aus Strausberg östlich von Berlin. Er wuchs in wirren Familienverhältnissen auf, kam mit sieben Jahren in ein Kinderheim und blieb dort bis zum Abschluss der 10. Klasse. Als die Mauer fiel, war er 16, zog zum Stiefvater, hielt es da aber nicht lange aus. Auch die begonnene Lehre als Koch brach er ab. Etliche Jahre zog er quer durch Deutschland, lebte für kurze Zeit mit einer Freundin zusammen: „Vielleicht gebe ich einfach zu schnell auf“, sagt er von sich.
Jeden Tag läuft er von Lichtenberg bis ans Brandenburger Tor und sammelt Flaschen. Auf dem Weg frühstückt er in der Bahnhofsmission und schaut dann bei zwei großen Hotels vorbei, die für ihn leere Flaschen beiseite stellen. Bis zu 35 Euro verdient er sich damit pro Tag: „Auf Hartz IV hätte ich ja Anspruch, aber da verzichte ich drauf. Ich hab’s nicht so mit den Ämtern.“
Der Grund, sich von staatlichen Stellen fernzuhalten, sind 2000 Euro Schulden, die sich wegen Schwarzfahrens bei ihm angesammelt haben. Viermal sei er deshalb schon im Gefängnis gewesen, zuletzt hätte er sechs Monate abgesessen. Auch um eine Wohnung zu bekommen, müsste er ja erst einmal auf ein Amt. Er winkt ab: „Ich komme auch so durch. Und hier in der Bahnhofsmission kann ich alle zwei Tage duschen.“
Für Ursula Czaika ist René einer ihrer Dauergäste. Genau wie Horst, der seinen Hut nie abnimmt, nur freundlich nickt, wenn andere erzählen. Woher kommt er? Wie alt ist er? Er spricht hastig, gehetzt. Um „politisch zu demonstrieren“, sei er 2005 nach Berlin gereist, murmelt er, dann wird seine Stimme leiser, die Worte verwischen, er ist nicht mehr zu verstehen. Genau wie der alte Mann, der vor der Tür zusammengesunken im Rollstuhl sitzt und sich unter einem Sims nur notdürftig vor dem Nieselregen schützen kann. Seinen Kaffee, belegte Brote und etwas Süßes bekommt er nach draußen gereicht. Ursula Czaika: „Das tut mir in der Seele weh, ich würde ihn gern hereinholen, aber hier drinnen rastet er immer wieder aus, wir mussten schon die Polizei holen.“
Czaika arbeitet seit 1998 am Ostbahnhof, in Deutschlands ältester Bahnhofsmission. Gegründet wurde sie vor 120 Jahren, um junge Frauen und Mädchen aufzufangen und zu betreuen, die auf Arbeitssuche nach Berlin kamen. Ihre Gäste sind heute zu allermeist Wohnungslose, die sich hier mit einer Mahlzeit versorgen können. Ihre Zahl hat sich in den zurückliegenden Jahren nach Einschätzung der Leiterin fast verdoppelt. Robert Veltmann von der GEBEWO bestätigt: „Wir haben wieder eine Situation wie Anfang der 1990er Jahre.“ Damals kamen viele aus Ostdeutschland nach Berlin: Gekündigte, Geschiedene, Haftentlassene. Vor allem Männer. In der Hoffnung, sich in der wiedervereinigten Stadt eine neue Existenz aufzubauen – oder einfach nur, um für einige Zeit unterzutauchen.
Den Sprung geschafft haben längst nicht alle, einige blieben ganz unten. Wie Walter, der aus einem kleinen Ort an der Ostsee stammt, Bauingenieur war, sich selbstständig machte und vor seinen Steuerschulden nach Berlin geflohen ist, wie er erzählt: „Ick hab’ allet gehabt: Geld, Angestellte, Haus – allet futsch …“ Jetzt sammelt er Flaschen auf Bahnhöfen und in Parks, 10 bis 12 Euro bekommt er am Tag zusammen. In Berlin ist er seit fast zehn Jahren, die meiste Zeit lebte er auf der Straße.
Rechtsanspruch auf Unterbringung
Nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) hat jeder unfreiwillig Wohnungslose einen Rechtsanspruch auf Unterbringung. Veitmann: „Das heißt, dass das Sozialamt eigentlich niemanden abweisen darf.“ Ist kein Platz in einem der Heime frei, muss eben ein Zimmer in einem Seniorenheim, in einer Pension oder in einem Hotel gefunden und bezahlt werden. 6805 Plätze stehen auf der sogenannten Berliner Unterbringungsliste. Dazu kommen rund 3500 Plätze im betreuten Gruppen- oder Einzelwohnen für jene, die die Hilfe von Sozialarbeitern brauchen, etwa weil sie behindert, schwer drogenabhängig oder psychisch krank sind.
„Unser Ziel ist es, Wohnungslosen, die das wollen, wieder zu einem eigenen Mietvertrag zu verhelfen“, so Robert Veltmann, „aber das sei bei der derzeitigen Marktlage nahezu unmöglich.“ Meldeten noch vor Jahren kommunale Vermieter freie Wohnungen, so ist man heute fast ausschließlich auf Wohnungen des sogenannten geschützten Marktsegments angewiesen. Deren Anzahl belief sich nach dem letzten Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin auf 1376. Die stehen aber auch noch anderen bedürftigen Gruppen zur Verfügung. Deshalb werden kaum noch Plätze in den Wohnheimen oder Trägerwohnungen frei – aber immer neue Wohnungslose drängen nach.
Leszek beispielsweise, 29 Jahre alt. Vor fünf Jahren ist er aus Polen nach Berlin gekommen, hat auf eine Arbeit gehofft, auf eine Wohnung. „Aber nix – mal hier ein Job, mal da.“ Nach Polen will er dennoch nicht zurück. Er lebt auf der Straße und spricht inzwischen ganz gut Deutsch.
Mehr und mehr Wohnungslose kommen inzwischen aus Osteuropa. Wie Leszek haben die allermeisten keinen Anspruch auf Sozialleistungen in Deutschland und erreichen nur die unterste Stufe im Hilfesystem. Sie kommen in Notunterkünften unter, beispielsweise in Massenquartieren im Rahmen der Kältehilfe.
„Die reisen hier mit großen Erwartungen an, und wenn sie nach einigen Wochen zu uns kommen“, so Ursula Czaika, „haben sie gemerkt, dass das alles in Deutschland nicht so rosig ist wie sie dachten.“ Die Leiterin und ihre Helferinnen bekommen Vorwürfe zu hören, den Frust der Enttäuschten zu spüren, müssen mit Aggressionen umgehen und leider öfter auch mal die Polizei zu Hilfe rufen. „Wir bräuchten dringend mehr Ehrenamtliche, die außer russisch auch bulgarisch oder rumänisch sprechen“, sagt Ursula Czaika.
Sieben Schlafplätze von November bis März
Katarzyna braucht längst keinen Dolmetscher mehr. Die 45-jährige Polin war mit einem Deutschen verheiratet. „Die Beziehung ist kaputtgegangen – und bei mir im Kopf ist auch was kaputtgegangen“, versucht sie, ihre Lage zu erklären. „Ich bin einfach weg, einfach davongelaufen. Ich wäre fast verhungert.“ Sie habe keine Freunde gehabt, keine Arbeit, keine Krankenversicherung. Sie sei eine Zeit lang quer durch Europa gefahren und schließlich in Berlin gestrandet. Was sie in ihrer 15-jährigen Odyssee für sich gerettet hat, liegt sorgsam und ordentlich verpackt in blauen Plastiksäcken auf einem Einkaufswagen. Der steht in Sichtweite gleich draußen vorm Schaufenster von „Evas Haltestelle“. Seit 1997 gibt es die Tagesstätte für wohnungslose Frauen im Wedding. Von November bis März bietet sie sieben Schlafplätze im Rahmen der Berliner Kältehilfe. Der kleine Laden in der Bornemannstraße ist ein freundlicher Ort, wo die Frauen zu essen und zu trinken bekommen, wo sie auch tagsüber für ein paar Stunden schlafen und wo sie ihre Sachen waschen und trocknen können. Und vor allem: wo sie unter sich sind. „In dieser Jahreszeit sind wir nachts immer überbelegt“, erklärt Claudia Peiter, die Leiterin der Einrichtung. „Denn Frauen gehen nur ungern in Notunterkünfte, in denen auch Männer schlafen.“
Frauen sind bei den Wohnungslosen eine Minderheit: ihr Anteil liegt schätzungsweise bei 25 Prozent. „Das Problem ist, dass Frauen in den Hilfesystemen kaum auftauchen, weil sie oft verdeckt wohnungslos sind“, erklärt Susanne Gerull, Professorin an der Alice-Salomon-Hochschule. Seit Langem beschäftigt sie sich mit Armutsforschung und hat Wohnungslosigkeit auch unter genderspezifischen Aspekten untersucht: „Frauen wollen häufig nicht als wohnungslos erkannt werden, sie schämen sich und gehen lieber eine Zwangspartnerschaft ein, ertragen sexuelle Ausbeutung und Gewalt, ehe sie sich wohnungslos melden.“ Allerdings würden sie mit schwierigen Situationen auch anders umgehen als Männer: „Sie verlieren beispielsweise seltener die Wohnung wegen Mietschulden, weil sie ihre Sachen besser im Griff haben.“ Bei Ämtern dagegen hätten sie häufig die schlechteren Karten: „Während Männer immer die Schuld bei anderen suchen, machen Frauen sich meist für ihre Misere selbst verantwortlich.“ Und sie lassen sich eher „abwimmeln“.
Aus für ein hoffnungsvolles Projekt
Am liebevoll gedeckten Tisch in „Evas Haltestelle“, hat man leicht den Eindruck, hier träfen sich Frauen aus der Nachbarschaft zu einem gemütlichen Frühstück. Sie haben ihre Jacken und Mäntel ausgezogen, ihre Schals und Taschen über die Stuhllehnen gehängt, Rollkoffer und Gepäck in eine Ecke gestellt und kommen schnell in eine lebhafte Unterhaltung. Die zeigt aber auch, womit die Frauen hier belastet sind, welche seelischen und auch psychischen Probleme sie haben.
Die 55-jährige Thüringerin Dietlinde berichtet von einer zwangsweisen Einweisung in die Psychiatrie. Sie fühlt sich verfolgt, weil sie politischen Widerstand leiste: „Seit 2009 bin ich obdachlos, weil ich für das bedingungslose Grundeinkommen eintrete.“ Irina (65) leidet unter der Vorstellung, zwei Identitäten zu besitzen. Ihr Vermieter habe ihr deshalb gekündigt, aber sie werde jetzt Anzeige gegen ihn erstatten. Und eine 60-Jährige möchte ihren Namen keinesfalls preisgeben, weil sie sich seit Jahren von Dämonen verfolgt fühlt. Wie Dietlinde und Irina gehört auch sie wahrscheinlich zu jenen, die nach dem Sozialgesetzbuch Anspruch auf betreutes Wohnen hätten. Dazu aber braucht es gültige Ausweispapiere, persönliche Unterlagen, eine ärztliche Diagnose, einen Antrag, professionelle Unterstützung – vor allem jedoch eine Einsicht in die eigene Situation.
Bei den meisten schafft man das nur nach langer, einfühlsamer Begleitung und mit professioneller fachlicher Beratung. Aber wer soll das leisten? Eine einzige Psychologin betreue stadtweit psychisch kranke wohnungslose Frauen, so erklärt Eva-Maria Heise, Leiterin der einzigen ganzjährig geöffneten Notübernachtung für wohnungslose Frauen in Berlin-Mitte. Die Sozialarbeiterin berichtet vom Projekt „FrauenbeWegt!“ das sich von 2010 bis 2013 gerade um psychisch kranke wohnungslose Frauen kümmerte. Mit Erfolg: „Zwischen 85 und 90 Prozent der Teilnehmerinnen konnte geholfen werden.“ Es war ihre Chance, aus den ständig wechselnden Notübernachtungen heraus und von der Straße weg in betreute Wohnformen zu wechseln. Eva-Maria Heise ist enttäuscht, wenn sie daran denkt, dass das erfolgreiche, über vier Jahre von einer Stiftung finanzierte Projekt, vom Land Berlin nicht in die Regelfinanzierung übernommen wurde. „Das hat eine große Lücke hinterlassen.“
Wer ein Essen der Berliner Obdachlosenhilfe e.V. einnehmen will, kann zum Treffpunkt kommen, niemand muss eine Bescheinigung oder Berechtigung vorweisen, seine Bedürftigkeit unter Beweis stellen. Es reicht, wenn jemand Hunger hat und sich nichts zu essen kaufen kann. Das war Achim wichtig, dafür hat der 55-Jährige vor anderthalb Jahren den Verein gegründet. Er wusste genau, was seine Gäste brauchten, vor allem in der kalten Jahreszeit: Kalorien und Vitamine. „Ich war selber ein paar Jahre obdachlos, habe auf Dachböden und Parkbänken gepennt und natürlich getrunken.“ Draußen liegen, ohne zu trinken, das ginge gar nicht.
Mit belegten Broten hat er begonnen, heute kochen ehrenamtliche Helfer mit Lebensmittelspenden dreimal in der Woche warmes Essen und bringen es zu jenen Orten, wo sich zwar viele Wohnungs- und vor allem Obdachlose aufhalten, wo es aber keine Suppenküchen gibt. Der Bus der Obdachlosenhilfe hält zuerst am Leopoldplatz, fährt weiter zum Alexanderplatz und dann zum Kottbusser Tor. An manchen Abenden werden 200 Portionen und mehr ausgeteilt.
Rosemarie Mieder
Wer ist „wohnungslos“?
Eine gesetzlich verankerte Definition für Wohnungslosigkeit gibt es nicht. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V spricht von Wohnungsnotfällen und unterscheidet drei Gruppen:
von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen ohne eigene mietvertraglich abgesicherte Wohnung beziehungsweise ohne Wohneigentum;
von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, denen der Verlust ihrer Wohnung unmittelbar bevorsteht;
Menschen, die in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben.
rm
Obdachlose und die Obrigkeit
Bis ins frühe Mittelalter galt Armut als gottgegeben – Obdachlosigkeit war deshalb nicht stigmatisiert. Pilgerherbergen dürften die ersten Unterschlupfe für wohnungslos umherziehende Menschen gewesen sein.
Ab dem 11. Jahrhundert setzte dann zunehmende Kontrolle ein: Bedürftigkeit wurde überprüft, der Betroffene musste ein Bettelabzeichen erwerben.
Ab dem 19. Jahrhundert wuchsen Repression und Reglementierung – aber auch Fürsorge. In Armen- und Arbeitshäuser sollten „Umherziehende“ und Bettler aufgenommen werden, um sie aus der Öffentlichkeit zu entfernen.
Ab 1871 stellte § 361 (RStGB) „Asozialität“ unter Strafe und kriminalisierte damit auch Bettelei und Obdachlosigkeit.
In der Bundesrepublik wurde der § 361 in den 1960er Jahren abgeschafft. In der DDR standen „Asozialität“ und „arbeitsscheues Verhalten“ bis zum Schluss unter Strafe. Der betreffende § 249 im StGB wurde erst mit dem Einigungsvertrag aufgehoben.
rm
12.06.2018