In Berlin wird zurzeit die Hälfte der rund 100.000 Pflegebedürftigen von Angehörigen gepflegt. Das ist oft nicht leicht, da 95 Prozent der Wohnungen nicht altersgerecht ausgestattet sind. Eine Musterwohnung in Marzahn zeigt, wie moderne Assistenzsysteme das Leben der Senioren, aber auch ihre Pflege, erleichtern können.
In einer aktuellen Meinungsumfrage zum Thema „Wohnwünsche und barrierearmer Wohnkomfort“ gaben rund 90 Prozent der Befragten als ihren mit Abstand wichtigsten Wohnwunsch an, so lange wie möglich in der eigenen Wohnung zu leben. Das ist durch Umgestaltung, Nachrüstung oder Umbau möglich.
Eine Musterwohnung in der Meeraner Straße bietet hierfür vielfältige Anregungen. Gegliedert in Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Badezimmer, Gäste-WC und Flur stellt ein auf orthopädische und technische Hilfsmittel spezialisierter Gesundheitsdienstleister Assistenzsysteme vor, die den Alltag älterer Menschen erleichtern können. Das Ziel sei, aufzuzeigen, wie Menschen „durch innovative Technik zu bezahlbaren Preisen in die Lage versetzt werden, ihr Leben so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu organisieren“. Damit würden sie eine drohende Entmündigung abwenden. So entstand der von dem Unternehmen geprägte Begriff der „Ermündigungswohnung“. Das Marzahner Muster-Apartment nimmt für sich in Anspruch, Deutschlands erstes dieser Art zu sein.
Eine Verknüpfung von Elektronik und der Beseitigung alterstypischer Unbequemlichkeiten bilden den Kern der angebotenen Lösungen. Probleme, höhergelegene Fächer im Kleiderschrank zu erreichen oder Gardinen abzunehmen? In der Musterwohnung wird ein elektrischer Kleiderlift gezeigt, der Bekleidung platzsparend hoch oben in Schränken verstaut und auf Knopfdruck herunterfährt. Ähnlich funktioniert ein Gardinenlift, der älteren oder gebrechlichen Menschen die riskante Nutzung der Leiter erspart und die Gardinen, wenn sie gereinigt werden sollen, elektrisch absenkt. Die Küche der Musterwohnung verfügt über absenkbare Oberschränke, Kochfeld und Spüle sind höhenverstellbar.
Beleuchtete Sockelleisten, die mit einem Funkschalter oder Bewegungsmelder gekoppelt sind, können nachts beispielsweise den Weg ins Bad, das mit rutschfesten Fliesen ausgestattet ist, beleuchten. Eine Sensormatte auf dem Schlafzimmerboden schlägt Alarm, wenn der Mieter aus dem Bett gefallen ist. In der Küche steht ein Herd, der mit einem Bewegungssensor kombiniert ist und beispielsweise automatisch abschaltet, wenn der Bewohner dies vergessen hat und das Haus verlässt. Die Heizung verfügt über eine selbstlernende Regelung, die über Sensoren das Heizverhalten des Bewohners in den einzelnen Räumen „erlernt“ und die Raumtemperatur dementsprechend anpasst.
Erster Schritt zur Veränderung
Im Wohnzimmer wurden multifunktionale Fenstergriffe montiert, die Signale an Angehörige oder einen Pflegedienst senden, wenn ein Bewohner über längere Zeit nicht lüftet. Nahezu alle technischen Lösungen, die vorgestellt werden, sind sowohl in Eigenheimen als auch in Geschosswohnungen nachrüstbar, ohne die Wände aufreißen zu müssen.
Mario Czaja, Berlins Gesundheits- und Sozialsenator, würdigt die 140 Quadratmeter große Ermündigungswohnung als „Leuchtturmprojekt“.
Ältere Menschen werden künftig zwar mit einem Bruchteil dieser Wohnfläche auskommen müssen, viele der technischen Raffinessen sind jedoch auch auf kleinstem Raum möglich und sinnvoll. Noch fehlen ein einheitlicher Standard für die Kombination der technischen Möglichkeiten und umfassende Praxiserfahrungen. Aber detaillierte Informationen sind immer ein erster Schritt zu möglichen Veränderungen.
Rainer Bratfisch
Neuer Zuschuss für altersgerechte Umbauten
Bis 2018 stellt der Bund insgesamt 54 Millionen Euro für den altersgerechten Umbau in Wohngebäuden bereit. Diese Mittel sind als Kredite oder Investitionszuschüsse der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhältlich. Unterstützt wird die Beseitigung von Barrieren, der Einbau von Rampen und Treppenliften, die Verbreiterung von Türdurchgängen und die Änderung des Raumzuschnitts, aber auch die Modernisierung von sanitären Einrichtungen, die Installation altersgerechter Assistenzsysteme oder der Schutz vor Wohnungseinbruch. Der Bund finanziert mit einem Zuschuss bis zu 10 Prozent der förderfähigen Investitionskosten für einzelne, frei kombinierbare Maßnahmen, maximal jedoch 5000 Euro pro Wohnung. Vor Beginn einer Maßnahme empfiehlt die KfW eine Beratung durch Sachverständige, eine Wohnberatungsstelle, die in der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsanpassung organisiert ist, oder die Polizei.
rb
Musterwohnung:
Meeraner Straße 7, 6. Etage, 12681 Berlin
Öffnungszeiten:
Dienstag 10 bis 12 Uhr
Donnerstag 15 bis 17 Uhr
Kontakt: info@ermuendigung.de
01.05.2021