Die Zahl der Armen in Deutschland wächst. Wachstums-Spitzenreiter ist Berlin. Wer arm ist, lebt beengt. Besonders Familien. Von Armut betroffen gelten per Definition Personen in Haushalten, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Bevölkerungseinkommens beträgt.
Eine Armutsquote von 21,4 Prozent in Berlin benennt der Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands. Zusammen mit den Ländern Bremen (24,6 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (23,6 Prozent) liegt die Hauptstadt damit auf einem der drei Spitzenplätze. Deutscher Durchschnitt ist ein Quote von 15,5 Prozent. Mit unterdurchschnittlichen Zahlen warten die Bundesländer Bayern (11,3 Prozent) und Baden-Württemberg (11,4 Prozent) auf und bezeugen so erneut das bekannte Nord-Süd-Wohlstandsgefälle.
Überdurchschnittlich hohe Armut begegnet man wiederum in allen Ost-Bundesländern und den von jahrelangen Umwälzungen ihrer Wirtschaftsstruktur gebeutelten Ländern Nordrhein-Westfalen und Saarland. Der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sieht in der Spreizung dieser Zahlen „eine armutspolitisch tief zerklüftete Republik“. Armut wie regionale Unterschiede seien hausgemacht und das Ergebnis politischer Unterlassungen.
Armut engt ein
Grund zur Sorge bereitet dem Sozialverband, dass die Zahl der Armen innerhalb eines Jahres um einen weiteren halben Prozentpunkt deutschlandweit angestiegen ist. Die Untersuchung benennt auch die „Hauptrisikogruppen“. Auf Platz eins stehen mit einer Quote von 58,7 Prozent die Arbeitslosen, gefolgt von den Alleinerziehenden mit 43 Prozent. Bei den Senioren liegen die Zahlen zurzeit noch im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Doch „geradezu dramatisch“ seien die Zuwächse bei diesen Gruppen seit dem Jahr 2006: Die Armut unter den 65-jährigen und älteren hat um 37,5 Prozent, die der Rentner und Pensionäre sogar um 47,5 Prozent zugenommen. In diesen Zahlen finde das Bild der auf uns „zurollenden Lawine der Altersarmut“ seine statistische Bestätigung.
Wer arm ist, wohnt beengter, so der Bericht. Die durchschnittliche Pro-Kopf-Wohnfläche beträgt bei den Armutsgefährdeten 35,7 Quadratmeter. Das sind 6 Quadratmeter weniger als im Durchschnitt. Mehr als jeder zehnte Berliner muss sogar damit zurechtkommen, dass er nur die Hälfte der durchschnittlichen Wohnfläche zur Verfügung hat. Familien mit Kindern sind besonders betroffen.
Die Bundesregierung hat in ihrem eigenen letztmalig 2013 erschienenen Reichtums- und Armutsbericht das Armutsrisiko als „erkennbar verringert“ dargestellt. Die Höhe der Quoten sei auch „weniger von Bedeutung“, allenfalls die „Trends im Zeitverlauf und bei den Unterschieden zwischen sozioökonomischen Gruppen“. Trends und Unterschiede hat der Paritätische Gesamtverband mit seinem Bericht jetzt geliefert.
Die Hälfte für die Miete
In Deutschland haben die Haushalte 2013 im Durchschnitt 28 Prozent ihres Einkommens für die Wohnkosten ausgegeben. Bei armutsgefährdeten Personen beträgt dieser Anteil 50 Prozent. Single-Haushalte unter den Armen müssen für das Wohnen sogar 59 Prozent ihrer Einkünfte hinlegen. Da bleiben finanzielle Verpflichtungen gelegentlich auf der Strecke: 9 Prozent der Armen sind im Zahlungsverzug bei ihren Versorgungsbetrieben (Bevölkerung insgesamt: 4 Prozent) und 5 Prozent kommen mit Mietzahlung und Darlehensraten nicht nach (Bevölkerung insgesamt: 2 Prozent).
Wer arm ist, hat auch schlechtere Wohnverhältnisse. Über undichte Dächer und feuchte Wände und Böden klagt fast jeder Fünfte von ihnen. In der Gesamtbevölkerung sind davon 13 Prozent betroffen. Ähnlich sieht es bei der Lärmbelästigung aus. Jeder vierte Deutsche leidet darunter, bei den Armen jeder Dritte.
uh
25.11.2016