Planen und Bauen sind längst öffentliche Angelegenheiten. Die Bürger wollen informiert sein und oft auch mitreden und mitgestalten. Vor allem, wenn es um ihr unmittelbares Wohnumfeld geht. Der Baukulturbericht rät: Dafür muss das Management qualifiziert und vor allem auch Zeit eingeplant werden.
Über 56 Prozent aller Investitionen in Deutschland fließen in Bauleistungen. Wie damit vor allem das Bild unserer Städte bestimmt und verändert wird und wie Entscheidungen über künftige Wohn- und Lebensqualität fallen, ist längst nicht mehr nur die Sache von Architekten, Ingenieurbüros, öffentlichen und privaten Bauherren oder Immobilienunternehmen. „Die Zeiten, in denen Stadtentwicklungsprozesse unter Fachpublikum diskutiert und in der Öffentlichkeit allenfalls erste Spatenstiche gesetzt oder bei Fertigstellung eines Objekts rote Bänder durchschnitten wurden, sind lange vorbei“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel.
Immer mehr Menschen wollen bereits in die Planungsprozesse großer Bauvorhaben einbezogen werden – das macht auch der Baukulturbericht 2014/2015 deutlich. Während sich die beiden vorhergehenden Berichte 2001 und 2005 vor allem an Experten und die Politik richteten, wurden nun erstmals in 330 deutschen Städten Verantwortliche der Kommunen und mit Hilfe eines Mikrozensus auch Bürger bundesweit befragt. Die gaben erstaunlich deutliche Auskünfte: Etwa ein Viertel der Bevölkerung fühlt sich über das Baugeschehen vor Ort nicht ausreichend informiert, aber knapp ein Drittel hat sich in den zurückliegenden 12 Monaten vor der Befragung mit Meinungen, Vorstellungen und Forderungen an geplanten Bauvorhaben beteiligt.
Mehr als Ästhetik
Dabei steht das Interesse an einer lebenswerten und nachhaltig gestalteten Wohnumwelt an erster Stelle: 96 Prozent der Bevölkerung Deutschlands wünschten sich vor allem eine gute Erreichbarkeit von Infrastruktureinrichtungen, und 92 Prozent sei es (sehr) wichtig, dass Gebäude, Straßen und Plätze gut instandgehalten und gepflegt würden. 70 Prozent der Bevölkerung wünschen sich ein lebendiges Stadtviertel als Wohnumfeld, einen Kiez, in dem die unterschiedlichsten Menschen wohnen.
„Baukultur wird allerdings von den meisten mehr mit Gestaltung und Ästhetik in Verbindung gebracht als mit technischer Innovation“, stellt Reiner Nagel fest. Auch deshalb legt der Baukulturbericht auf die ganze Breite und Vielfalt Wert, die dieses Thema heute umfasst: Es geht sowohl ums Wohnen, um gut durchmischte Quartiere, als auch um öffentliche Räume und Infrastruktur. Und nicht zuletzt um Planung und Steuerung von Prozessen. Gerade letzteres, so Nagel, fordere heute ein gutes Management und ausreichend Zeit. Die ist zum einen für eine breite Bürgerbeteiligung notwendig, zum anderen aber auch für das Nachdenken über gegenwärtige und künftige Konflikte und Lösungsmöglichkeiten. „Im Moment wird alles auf schnellen und günstigen Wohnungsbau gesetzt“, gibt Nagel, selbst erfahrener Architekt und Stadtplaner, zu bedenken. „Ein verantwortungsvoller und vorausschauender Umgang mit dem Bestand hat zurzeit keine Konjunktur.“ So könnten in den nächsten vier bis fünf Jahren zwar bis zu eine Million neue Wohnungen in Deutschland entstehen. Aber welche bauliche Qualität diese haben, wie sich die Mietpreise dabei entwickeln werden und ob die Wohnungen bei der abzusehenden demografischen Entwicklung in 20 Jahren marktfähig bleiben, darüber scheint sich in der Politik kaum jemand Gedanken zu machen. So enthält der Baukulturbericht auch eine Reihe von Empfehlungen: Die Ausrichtung öffentlicher und privater Bauvorhaben auf die nächsten Jahrzehnte und die Notwendigkeit, Konsequenzen der Energiewende auch gestalterisch zu lösen, gehören dazu.
Rosemarie Mieder
Wer ist die Stiftung Baukultur?
Die Bundesstiftung Baukultur wurde 2006 als unabhängige Einrichtung gegründet. Sie will mit ihrem Engagement sowohl gutes Planen und Bauen fördern als auch Plattform für öffentliche Gespräche über Baukultur sein. Ein Baukulturbericht, der sowohl den Sachstand zum Thema als auch ein breites Meinungsspektrum enthält, soll nun alle zwei Jahre erscheinen. Er wird Regierung und Parlament vorgelegt.
rm
20.09.2021