Berlin gehört zu den Städten, die am stärksten sozial gespalten sind. Hier wohnen Arm und Reich deutlicher voneinander getrennt als etwa in München. Dieses Forschungsergebnis des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) erstaunt auf den ersten Blick, lässt sich aber erklären. Die Berliner Politik hat dennoch die Aufgabe, der wachsenden Segregation entgegenzuwirken.
Das IAB, eine Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, hat untersucht, wie sehr Arm und Reich in den größten deutschen Städten voneinander getrennt leben. Mit den Daten der Arbeitsagentur haben die Forscher nachvollzogen, wo Niedriglohnbezieher wohnen. Als Niedriglohnbezieher gilt, wer weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns bekommt. Da es stark unterschiedliche Lohnniveaus gibt, wurde die Niedriglohnschwelle für jede Stadt gesondert berechnet.
Guter Mix in München
Die räumliche Verteilung der Niedriglohnbezieher innerhalb der Stadt hat in Berlin ein anderes Muster als zum Beispiel in München oder Hamburg. Die Berliner Geringverdiener konzentrieren sich stark in bestimmten Stadtteilen: in Neukölln und Kreuzberg, Wedding und Moabit, in den Plattenbaugebieten von Marzahn und Hellersdorf sowie in geringerem Maße in Reinickendorf und Spandau. In Hamburg sind diese Gebiete deutlich kleiner und weiter über die Stadt verteilt. In München sind sie oft sogar nur auf einzelne Straßenzüge begrenzt.
Rechnerisch ist die Segregation in Frankfurt am Main am stärksten ausgeprägt (siehe Kasten). Berlin liegt unter den 13 Städten mit mehr als einer halben Million Einwohnern hinter Leipzig auf Rang drei. Am gleichmäßigsten durchmischt sind Stuttgart und München.
Die Gründe für den unterschiedlichen Segregationsgrad der Städte sind vielfältig. Berlin und die ostdeutschen Städte haben ab 1990 einen Strukturwandel durchgemacht, dem massenhaft industrielle Arbeitsplätze zum Opfer gefallen sind. Viele Menschen sind hier deshalb auf Niedriglohnjobs angewiesen. Hamburg erlebte als Hafenstadt in den 80er Jahren einen ähnlichen Umbruch, der bis heute nachwirkt. Die Bankenmetropole Frankfurt am Main hat hingegen eine weite Einkommensspreizung und ist traditionell stark in „einfache“ und „bessere“ Viertel aufgeteilt.
Auf der anderen Seite betreibt München zum Beispiel eine Wohnungsbaupolitik, bei der auf die soziale Durchmischung von Neubausiedlungen geachtet wird. Ein bestimmter Anteil von preisgebundenen Wohnungen ist dort grundsätzlich vorgeschrieben. Andererseits ist das Münchner Stadtgebiet relativ eng umgrenzt. Niedrigverdiener müssen sich wegen des hohen Münchner Mietniveaus bei der Wohnungssuche seit Langem auch in Nachbargemeinden umsehen. Durch den Wegzug der Ärmeren ins Umland ist die Stadt München statistisch sozial ausgeglichener. Gleiches gilt auch für Stuttgart.
In Berlin ist das Problem der Segregation schon lange bekannt. Wo aber der Verbleib ärmerer Mieter real gefährdet ist – in den innerstädtischen Altbaugebieten – hat man bisher keine Lösung gefunden.
Jens Sethmann
27.12.2016