Leitsätze:
a) Das dem Mieter neben der kraft Gesetzes eintretenden Minderung (§ 536 BGB) zustehende Recht, die Zahlung der (geminderten) Miete nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB zu verweigern, unterliegt nach seinem Sinn und Zweck sowie unter Berücksichtigung dessen, dass das durch den Mangel der Wohnung bestehende Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung durch die Minderung wieder hergestellt ist, grundsätzlich einer zeitlichen und betragsmäßigen Begrenzung.
b) Bei der gemäß § 320 Abs. 2 BGB an dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) orientierten Beurteilung, in welcher Höhe und in welchem zeitlichen Umfang dem Mieter einer mangelbehafteten Wohnung neben der Minderung (§ 536 BGB) das Recht zusteht, die (geminderte) Miete zurückzuhalten, verbietet sich jede schematische Betrachtung. Die Frage ist vielmehr vom Tatrichter im Rahmen seines Beurteilungsermessens aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden.
BGH vom 17.6.2015 – VIII ZR 19/14 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 31 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Das Berufungsgericht hatte dem Mieter – neben der Minderung der Bruttomiete in Höhe von 20 Prozent – monatlich ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe des vierfachen Minderungsbetrages, mithin in Höhe von 80 Prozent zugestanden und daher einen Zahlungsverzug insgesamt verneint. Der BGH wies eine solche schematische Bemessung und zeitlich unbegrenzte Zubilligung des Zurückbehaltungsrechts zurück.
Das Berufungsgericht habe die Besonderheiten des auf dauernden Leistungsaustausch gerichteten Wohnraummietverhältnisses außer Acht gelassen und sei darüber hinaus weder dem Zweck des Zurückbehaltungsrechts noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht geworden. Das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 BGB diene im Rahmen eines Mietverhältnisses dazu, auf den Vermieter – vorübergehend – Druck auszuüben, damit dieser – allerdings der Natur der Sache nach nur für die Zukunft – wieder eine mangelfreie Wohnung bereitstelle. Für die Zeit vor der Mängelbeseitigung werde das Äquivalenzverhältnis zwischen der (mangelhaften) Wohnung und der Miete durch die Minderung gewahrt.
Unter Berücksichtigung dessen sei es verfehlt, das Leistungsverweigerungsrecht des Wohnraummieters aus § 320 BGB ohne zeitliche Begrenzung auf einen mehrfachen Betrag der monatlichen Minderung (3- bis 5-fach) oder der Mangelbeseitigungskosten zu bemessen. Vielmehr könne es redlicherweise nur so lange ausgeübt werden, als es noch seinen Zweck erfülle, den Vermieter durch den dadurch ausgeübten Druck zur Mangelbeseitigung anzuhalten. Auch müsse der insgesamt einbehaltene Betrag in einer angemessenen Relation zu der Bedeutung des Mangels stehen. Der Mieter sei hierdurch nicht rechtlos gestellt, denn unbeschadet des Minderungsrechts könne er unter anderem auf Mangelbeseitigung klagen oder in geeigneten Fällen den Mangel – gegebenenfalls nach Geltendmachung eines Vorschussanspruchs – selbst beseitigen.
Fazit: Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Rechtslage unklar. So darf der Mieter zwar die Miete zurückbehalten, unklar ist aber, in welcher Höhe und wie lange. Das Zurückbehaltungsrecht hat durch diese BGH-Entscheidung seine Bedeutung als „letzter Rettungsring bei Kündigungen wegen Zahlungsverzuges“ erheblich eingebüßt.
28.10.2015