Leitsatz:
Fehlkalkulationen des Vermieters bei Erwerb des Mietgrundstücks können nicht dazu führen, dass die ihm daraus drohenden Nachteile als erheblich anzusehen sind im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB.
LG Berlin vom 28.7.2015 – 63 S 217/14 –
Mitgeteilt von RAin Petra Hannemann
Urteilstext
Gründe
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313a Abs. 1 S. 1, 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung ist begründet.
Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht nach § 546 Abs. 1 BGB die Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung verlangen.
Das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis über die streitgegenständliche Wohnung wurde weder durch die Kündigung vom 2. Februar 2012 noch durch die in der Klageschrift enthaltene Kündigung beendet.
Ein Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist nicht gegeben.
Die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB sind nicht erfüllt. Danach hat der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn er durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Daran fehlt es hier.
Selbst wenn es sich bei dem bereits vor dem Erwerb des streitgegenständlichen Grundstücks geplanten Abriss des Gebäudes zur späteren Neubebauung und Weiterveräußerung um eine angemessene Verwertung im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB handeln sollte, würde der Klägerin durch den Fortbestand des zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Mietverhältnisses kein erheblicher Nachteil entstehen.
Die Beurteilung der Frage, ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entsteht, ist vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen. Die erforderliche Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Eigentümers entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; sie lässt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation des Vermieters treffen (BGH, Urt. v. 9. Februar 2011 – VIII ZR 155/10, NJW 2011, 1135). Dabei gewährt das Eigentum dem Vermieter keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Auch das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art. 14 GG und deshalb grundgesetzlich geschützt. Auf der anderen Seite dürfen die dem Vermieter entstehenden Nachteile jedoch keinen Umfang annehmen, der die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen (BGH, Urt. v. 8. Juni 2011 – VIII ZR 226/09, NZM 2011, 773; Landgericht Berlin, Urt. v. 25. September 2014 – 67 S 207/14, WuM 2014, 678ff). So wenig der Eigentümer als Vermieter aber einen Anspruch darauf hat, aus der Mietwohnung die höchstmögliche Rendite zu erzielen, so wenig hat er bei jedwedem wirtschaftlichen Nachteil einen Anspruch auf Räumung (BVerfG, Beschl. v. 9. Oktober 1991 -1 BvR 227/91, BVerfGE 84, 382 Tz. 12 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen entsteht der Klägerin durch den Fortbestand des Mietverhältnisses mit dem Beklagten kein erheblicher Nachteil im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB:
Die Klägerin beabsichtigt ausweislich ihrer Kündigungsbegründung, das Grundstück nach Abriss von insgesamt 24 Wohnungen neu zu bebauen, den neu geschaffenen Wohnraum nebst Stellplätzen zu veräußern und dadurch einen Gewinn von 1.477.000,00 € zu erzielen.
Bei Erhalt der bisherigen·Bausubstanz und Fortbestand auch des streitgegenständlichen Mietverhältnisses wäre die Klägerin – ausweislich ihres von dem Beklagten bestrittenen Vortrags – gezwungen, das Gesamtobjekt mit einer jährlichen Unterdeckung zu bewirtschaften oder zu einem unter dem von ihr für den Erwerb des Grundstücks aufgewandten Kosten liegenden Verkaufspreis weiter zu veräußern.
Es liegt davon ausgehend auf der Hand, das sämtliche Alternativen, die der Klägerin zur beabsichtigten Entwicklung und gewinnbringenden Weiterveräußerung des Grundstücks zur Verfügung stehen, für sie wirtschaftlich nachteilig sind. Dies gilt nicht nur für die wegen der behaupteten Finanzierungskosten angeblich defizitäre Bewirtschaftung des Grundstücks in seiner bisherigen Bau- und Vermietungsstruktur, sondern auch für die Weiterveräußerung in vermietetem Zustand zu einem unter den Erwerbskosten Iiegenden Verkaufspreis, erst recht aber für den der Klägerin entgehenden – und für den Fall des Abrisses und Neubaus erwarteten – Veräußerungsgewinn von 1.477.000,00 €
Bei der vorzunehmenden Abwägung der unterschiedlichen Interessen beider Vertragsparteien ist aber zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin das Objekt in Kenntnis des Beklagten und des Mietvertrages und damit in Kenntnis der eingeschränkten Möglichkeiten zur Änderung oder gar Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse erworben hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. November 2003 – 1 BvR 1424/02, NJW-RR 2004, 371 Tz. 16). Es tritt hinzu, dass der Erwerb des Grundstücks, seine Entwicklung, die spätere Aufteilung in·Wohnungseigentum und die geplante gewinnbringende Weiterveräußerung durch eine Geschäftstätigkeit der Klägerin motiviert sind, die vornehmlich auf eine aus Preis- und Wertveränderungen der erworbenen Grundstücke resultierende Gewinnerzielung gerichtet ist; den damit verbundenen städtebaulichen Nebeneffekten kommt dabei eine allenfalls untergeordnete und für die Gesamtabwägung nur unwesentlich in Gewicht fallende Bedeutung zu.
Ob eine derartige, allein oder zumindest vornehmlich einem spekulativen Verkauf dienende Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses bereits grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Art. 14 GG unterfällt und deshalb rechtsmissbräuchlich ist (vgl. BVerfG; Beschl. v. 4. Juni 1998 -1 BvR 1575/94, NJW 1998, 2662 Tz. 11; BGH, Urt. v. 28. Januar 2009 – VIII ZR 8/08, NJW 2009, 1200 Tz. 20), bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn einem ausschließlich oder vornehmlich spekulationsgeschäftlich begründeten Kündigungsinteresse kommt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung zumindest ein geringeres Gewicht zu als einem Verwertungsinteresse, dass zwar auch erwerbswirtschaftlich motiviert ist, zu einem nicht unwesentlichen Anteil aber auch darauf beruht. dass die erforderliche weitere Bewirtschaftung eines ohnehin sanierungsbedürftigen Mietobjekts in Form einer·Sanierung mit schwer kalkulierbaren Risiken verbunden ist und keine nachhaltige Verbesserung der Bausubstanz sichergestellt (vgl. BGH, a.a.O.). Um ein derartiges Mietobjekt handelt es sich hier aber nicht, da eine Sanierung der vorhandenen Baukörper nach den Feststellungen des Sachverständigen R. zwar erforderlich ist; diese aber zu einer nachhaltigen Verbesserung der Bausubstanz und zu einer nicht unerheblichen Verlängerung der Nutzungsdauer um 15 Jahre führt, wie der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29. Mai 2015 noch einmal bestätigt hat. Dass die Sanierung mit schwer kalkulierbaren Risiken verbunden sein soll, lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen.
Die hier demnach gebotene abgestufte Gewichtung des ausschließlich oder zumindest vornehmlich auf Gewinnerzielung und -Optimierung beruhenden Verwertungsinteresses der Klägerin entspricht dem Wertungskern von § 573 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 und 3 BGB, durch den die Möglichkeit zum Ausspruch einer Verwertungskündigung für unterschiedliche, typischerweise durch Motive der Gewinnerzielung und -optimierung geprägte Verwertungsszenarien – die anderweitige Vermietung als Wohnraum und die Veräußerung als Wohnungseigentum – nicht nur eingeschränkt, sondern sogar ausgeschlossen ist.
Den wirtschaftlichen Nachteilen der Klägerin im Falle des Fortbestandes des Mietverhältnisses stehen die dem Beklagten erwachsenden wirtschaftlichem und sonstigen Nachteile für den Fall der verwertungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses gegenüber. Der Beklagte würde im Falle der verwertungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses nicht nur seinen seit mehr als 20 Jahren bestehenden räumlichen Lebensmittelpunkt verlieren. Er wäre zudem gezwungen, sich in vorgerücktem Alter auf dem veränderten und gerichtsbekannt durch nicht unerhebliche Preisanstiege gekennzeichneten örtlichen Wohnungsmarkt vollkommen neu zu orientieren. Es kommt hinzu, dass eine Beendigung des Mietverhältnisses und der zu befürchtende Verlust des bisherigen Lebensmittelpunktes die Versorgung seiner in unmittelbarer Nähe wohnenden betagten Mutter nicht unerheblich erschweren würde. Diese ganz erheblichen Nachteile, die die Kammer ebenso wie vergleichbare – hier indes nicht gegebene – wirtschaftliche und sonstige Nachteile des Mieters, wie etwa den entschädigungslosen Verlust von durch Eigenleistung des Mieters erbrachten Renovierungsarbeiten, sämtlich zu berücksichtigen hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.·November 2003- 1 BvR 1424/02, NJW-RR 2004, 371 Tz. 16), überwiegen die der Klägerin durch einen Fortbestand des Mietverhältnisses entstehenden wirtschaftlichen Einbußen, erst recht nehmen die der Klägerin entstehenden wirtschaftlichen Nachteile keinen Umfang an, der die Nachteile weit übersteigt, die dem Beklagten im Falle des Verlustes der Mietsache erwachsen.
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin im Falle des Fortbestandes des Mietverhältnisses gezwungen zu sein könnte, das Mietobjekt entweder defizitär zu bewirtschaften oder zu einem unter ihren eigenen Erwerbskosten liegenden Verkaufspreis zu veräußern. Denn dieser Umstand würde allein auf eine die rechtlichen Voraussetzungen der Durchsetzbarkelt der ausgesprochenen Kündigung und der Rentabilität des Mietobjektes bei fortdauernder Vermietung beruhenden Fehlkalkulation der Klägerin zurückzuführen sein, die bereits grundsätzlich nicht zu Lasten des Mieters wirken kann (Blank, a.a.O., § 573 Rz. 162 m.w.N.). Dass das streitgegenständliche Grundstück in seinem bisherigen Zustand grundsätzlich für eine rentable Bewirtschaftung geeignet ist, ergibt sich aus den fundierten, ausführlichen, in sich widerspruchsfreien und deshalb überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen R.. Dieser ist unter Einbeziehung einer Bodenwertverzinsung in die Bewirtschaftungskosten zu dem Ergebnis gekommen, dass auch bei Sanierungskosten von 1.330.000,00 € eine jährliche Rendite von 4,72% zu erzielen sei bzw. von 6,76% auf das zur Sanierung einzusetzende Eigenkapital. Das zur Sanierung einzusetzende Kapital sei – je nach Zinssatz von 3,06% oder 3,26% – innerhalb von 20 bzw. 21 Jahren refinanzierbar.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, der Sachverständige habe den von ihr tatsächlich gezahlten Zinssatz von 5,076 % außer Acht gelassen, ist darauf hinzuweisen, dass diese Zinsen auf den Kredit entfallen, mit dem die Klägerin den Erwerb des Grundstücks finanziert hat. Auf die von der Klägerin im Zusammenhang mit dem Erwerb gezahlten Zinsen kommt es insoweit aber nicht an. Weder die Erwerbskosten als solche noch die damit zusammenhängenden Zinsen sind Teil der Wirtschaftlichkeitsberechnung des Sachverständigen. Dort bestehen die Gesamtkosten nur aus den Sanierungskosten.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass es sich bei den 5,076 % um einen Zinssatz handelt, der für jeden der von der Klägerin nachfolgend aufgenommenen Kredite – etwa im Zusammenhang mit der Sanierung – gilt. Ob es der Klägerin in naher Zukunft möglich sein wird; Darlehen zu den vom Sachverständigen angesetzten Zinssätzen aufzunehmen, kann offen bleiben. Wenn sie nicht die günstige Zinsphase nutzte, sondern diese möglicherweise verstreichen ließ, geht dies jedenfalls nicht zu Lasten des Mieters. Im Übrigen hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin selbst in ihrer als Anlage K5 zur Klageschrift eingereichten Wirtschaftlichkeitsberechnung einen Zinssatz von 3 % angesetzt hat. Wenn die Klägerin darüber hinaus den von ihr gezahlten Kaufpreis bei die Sanierung des Objekts – anstelle von Abriss und Neubau – nicht refinanzieren können sollte, läge das daran, dass sie an die Voreigentümerin, die wie die Klägerin zur so genannten O.-Gruppe gehört, einen Preis gezahlt hat, der angesichts der Verhältnisse des Grundstücks überhöht gewesen wäre. Diese Entscheidung der Klägerin kann aber nicht dazu führen, dass die ihr drohenden Nachteile als erheblich anzusehen sind im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Eine andere Wertung würde dazu führen, dass es ein Vermieter selbst in der Hand hätte, die Kündigungsvoraussetzungen gemäß – der genannten Norm zu schaffen. Dies würde dem oben dargestellten Sinn und .Zweck dieser Regelung widersprechen. Die von ihm angesetzte Höhe der Sanierungskosten hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme unter Auseinandersetzung mit den von der Klägerin gegen sein Gutachten erhobenen Einwänden ebenfalls nachvollziehbar bekräftigt. Nach den vorstehenden Ausführungen bedarf es keiner vertieften Ausführungen dazu, dass die Klägerin die Beweislast für das Vorliegen der Kündigungsvoraussetzungen trägt (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl., § 573 Rn 180), und damit auch eine Unaufklärbarkeit diesbezüglicher Punkte zu ihren Lasten gehen würde.
Keine der Klägerin günstigere Beurteilung rechtfertigen schließlich die dem Beklagten unterbreiteten Angebote zur Anmietung von Ersatzwohnraum. Da die Angebote vor Ausspruch der Kündigung erfolgt sind, bestand für den Beklagten weder eine vertragliche noch eine gesetzliche Pflicht zu deren Annahme, da das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis zu diesem Zeitpunkt noch ungekündigt fortbestand.
Vor dem Hintergrund der Unwirksamkeit der Kündigung kann dahinstehen, ob die von dem Beklagten geltend gemachten Härtegründe nicht ohnehin gemäß den §§ 574 ff. BGB eine Fortsetzung des Mietverhältnisses geboten hätten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10 S. 1, 713 ZPO.
30.06.2017