Leitsatz:
Ein Vermieter darf nur in eng umrissenen Ausnahmefällen eine Videokameraattrappe im Hausflur installieren.
LG Berlin vom 28.10.2015 – 67 S 82/15 –
Mitgeteilt von RA Hans-Chr. Widegreen, Fachanwalt für IT-Recht, Höch Kadelbach Rechtsanwälte, Berlin
Anmerkungen des Einsenders
Mit Urteil vom 28. Oktober 2015 (Az. 67 S 82/15) hat das LG Berlin nunmehr auch die Nutzung einer Videokameraattrappe in einem Mietshaus untersagt, wenn diese nicht durch ein überragendes Interesse des Vermieters gerechtfertigt werden kann.
Die Kameraattrappe befand sich im Hausflur eines Mietshauses und ließ nicht ohne Weiteres erkennen, ob sie funktionstüchtig ist. Wie das Gericht zutreffend feststellte, sind solche Attrappen mit einer funktionsfähigen Videoüberwachung gleichzusetzen, da der Überwachungsdruck für die betroffenen Mieter gleich hoch ist. Schließlich können sie nicht erkennen, ob die Kamera tatsächlich aufzeichnet. Dies soll auch dann gelten, wenn der Vermieter seine Mieter auf die Funktionsunfähigkeit hingewiesen hat. Denn die Betroffenen können nicht nachvollziehen, ob es stets bei der Attrappe geblieben ist oder die Attrappe durch eine funktionsfähige Kamera ersetzt wurde.
Um die Anbringung einer Kameraattrappe zu rechtfertigen, bedarf es – wie bei einer funktionsfähigen Kamera – schwerwiegender und wiederholter Vorkommnisse im Mietshaus. Fahrraddiebstähle, Beschädigungen an den Briefkästen oder der Hauseingangstür sowie das Abstellen von Sperrmüll reichen insoweit nicht aus. Derartige Vorfälle sind innerhalb eines Mietshauses alltäglich und rechtfertigen keine besonderen Maßnahmen, insbesondere keinen derart weitreichenden Eingriff in das Verhalten und die Rechte der Mieter wie eine Kameraattrappe.
Mit dieser Entscheidung schließt sich das LG Berlin der überwiegenden Meinung in der bundesweiten Rechtsprechung an und stärkt damit die Rechte der Berliner Mieter.
Urteilstext
Gründe
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
1) Die Berufung ist zulässig.
Die Berufung ist gemäߧ 511 Abs. 1 ZPO statthaft, und die gemäߧ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Mindestbeschwer ist erreicht. Die Form- und Fristvorschriften der§§ 517, 519 und 520 ZPO sind erfüllt.
2) Die Berufung hat überwiegend Erfolg.
a) Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Entfernung der Überwachungsattrappe und Unterlassung der Anbringung aus § 823 Abs. 1, § 1004 BGB.
Mit dem Vertrag vom 08. Mai 2007 mietete der Kläger vom Zwangsverwalter RA C.. die Wohnung Nr. 22 in der F. Straße X, Seitenflügel, viertes Obergeschoss links, 1XXXX Berlin. Die Wohnung hat ein Zimmer und ist 38,5 qm groß.
Inzwischen sind die Beklagten zu 2) und 3) nach Erwerb in der Zwangsvollstreckung gemäß §57 ZVG, § 566 BGB in den Mietvertrag eingetreten. Beide bilden nach ihrer eigenen Darstellung die Beklagte zu 1).
Unstreitig befindet sich seit dem März 2014 im Eingangsbereich eine Videoüberwachungsanlagenattrappe. Nach dem im aufgrund des Beschlusses vom 28. Oktober 2014 im Ortstermin am 06. Januar 2015 eingenommenen Augenschein steht fest, dass eine funktionstüchtige Kamera nicht vorhanden ist.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Entfernung der vorhandenen Attrappe.
Entgegen der Ansicht der Beklagten führt auch die Attrappe zu einer Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit des Klägers selbst und seiner Besucher.
Die Kammer hat in einem Verfahren (Urteil vom 04. Oktober 2010 – 67 S 592/09 -) grundsätzlich entschieden, dass eine Kameraüberwachung nur bei überragenden Interessen des Vermieters zu dulden ist. Hieran hält der Einzelrichter fest. Die Attrappen sind der tatsächlichen Überwachung gleichzustellen, denn nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09- (Rn. 14) kann auch bei tatsächlich nicht erfolgender Überwachung der verbleibende Überwachungsdruck ausreichen, wenn entsprechende Verdachtsmomente vorliegen. So ist es hier, denn es kann äußerlich eben nicht erkannt werden, ob weiter eine bloße Attrappe oder eine Kamera mit Aufzeichnung betrieben wird. Der Mieter muss insbesondere nicht laufend die Gegebenheiten genau prüfen, um sich zu vergewissern, dass es bei der Attrappe geblieben ist.
Der Eingriff wird auch nicht gerechtfertigt durch entsprechende „Vorfälle“ im Hause. Diese „Vorfälle“ sind nicht so schwerwiegend und nachhaltig, dass sie die Überwachung bzw. einen entsprechenden Anschein zur Abschreckung rechtfertigen könnten. Die Beklagten haben hierzu auch nach dem Hinweis des Einzelrichters vom 16. Juli 2015 lediglich auf den bisherigen Vortrag Bezug genommen. Es liegen nur leichtere Diebstähle bzw. Sachbeschädigungen vor.
b) Ein Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld wegen Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter besteht indessen nicht, weil ein Schmerzensgeld nur ausnahmsweise bei einer schweren Verletzung etwa des Persönlichkeitsrecht in Betracht kommt. Eine solche ist hier nicht anzunehmen.
3) Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es ist nicht erforderlich, die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu zulassen.
26.01.2016