Leitsätze:
1. Die ortsübliche Vergleichsmiete für eine in Berlin gelegene Wohnung kann vom Gericht gemäß § 287 ZPO ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Zugrundelegung des Berliner Mietspiegel 2015 als sogenannten einfachem Mietspiegel ermittelt werden, auch wenn dessen Qualifizierungswirkung zwischen den Parteien streitig ist.
2. Die dem Berliner Mietspiegel 2015 nur eingeschränkt zu Teil gewordene Anerkennung durch Interessenvertreter der Vermieter fällt für den im Rahmen des § 287 ZPO zu gewinnenden richterlichen Überzeugungsgrad überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht erheblich ins Gewicht, da bereits die Erstellung und Anerkennung eines Mietspiegels durch die Gemeinde – hier das Land Berlin – nach allgemeiner Lebenserfahrung für die objektiv zutreffende Abbildung der örtlichen Mietsituation spricht und außerdem kein Anhalt dafür besteht, dass es bei der Erstellung des Mietspiegels 2015 an der erforderlichen Sachkunde fehlte oder die Erstellung von sachfremden Erwägungen beeinflusst war.
LG Berlin vom 7.7.2016 – 67 S 72/16 –
Urteilstext
Gründe
I.
Der Tatbestand entfällt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Das Amtsgericht hat die Beklagte zutreffend gemäß §§ 558 ff. BGB verurteilt, im aus dem angefochtenen Urteil ersichtlichen Umfang der von der Klägerin verlangten Erhöhung der Miete zuzustimmen. Die Ermittlung der zwischen den Parteien streitigen ortsüblichen Vergleichsmiete hat das Amtsgericht verfahrensfehlerfrei unter Zugrundelegung des Berliner Mietspiegels 2015 vorgenommen. Dabei kann dahinstehen, ob der Mietspiegel 2015 qualifiziert i.S.d. § 558d Abs. 1, Abs. 2 BGB ist; er reicht – ebenso wie zuvor der Berliner Mietspiegel 2013 – aus, um ihn als sog. einfachen Mietspiegel gemäß § 287 ZPO zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranzuziehen (vgl. Kammer, Urt. v. 16. Juli 2015 – 67 S 120/15, NJW 2015, 3248 Tz. 5 ff (zum Mietspiegel 2013)).
Der Berliner Mietspiegel 2015 ist ebenso wie sein Vorgänger vom Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, erstellt und von diesem sowie von Interessenvertretern der Mieter und Vermieter anerkannt worden. Bereits die Anerkennung durch örtliche Interessenvertreter der Mieter und Vermieter spricht nach der Lebenserfahrung dafür, dass der Mietspiegel die örtliche Mietsituation nicht einseitig, sondern objektiv zutreffend abbildet (vgl. Kammer, a.a.O. Tz. 7 m.w.N.), auch wenn die Anerkennung des Mietspiegels 2015 durch die Interessenvertreter der Vermieter anders als beim Mietspiegel 2013 nicht mehr umfassend, sondern nur noch durch den „BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V.“ erfolgte. Die dem Berliner Mietspiegel 2015 nur eingeschränkt zu Teil gewordene Anerkennung durch Interessenvertreter der Vermieter fällt für den im Rahmen des § 287 ZPO zu gewinnenden richterlichen Überzeugungsgrad überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht erheblich ins Gewicht, da bereits die Erstellung und Anerkennung eines Mietspiegels durch die Gemeinde – hier das Land Berlin – nach allgemeiner Lebenserfahrung für die objektiv zutreffende Abbildung der örtlichen Mietsituation spricht (vgl. BGH, Urt. v. 16. Juni 2010 – VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946 Tz. 14; Kammer, a.a.O.). Es tritt hinzu, dass – ausweislich der von der Kammer zu beurteilenden Erhöhungsverfahren – nicht nur die ganz überwiegende Zahl der vorgerichtlichen Erhöhungsverlangen mit dem aktuellen Mietspiegel begründet, sondern auch die vermieterseits erhobenen Zustimmungsklagen fast ausnahmslos in der Sache auf die sich aus dem Mietspiegel 2015 ergebende Vergleichsmiete gestützt werden, unabhängig davon, ob die Klagen von öffentlichen oder privaten Vermietern geführt werden. Diese – auch im hiesigen Verfahren von der klagenden Vermieterin – geübte praktische Akzeptanz spricht ebenfalls dafür, dass die im Mietspiegel ausgewiesenen Werte die ortsübliche Vergleichsmiete mit überwiegender Wahrscheinlichkeit objektiv zutreffend wiedergeben.
Umstände, die gegen eine Indizwirkung des Berliner Mietspiegels 2015 sprechen, sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Insbesondere besteht angesichts der umfassenden sachverständigen Beratung und ausgewiesenen eigenen Expertise der Mietspiegelersteller kein begründeter Anhalt dafür, dass es bei der Erstellung des Mietspiegels an der erforderlichen Sachkunde gefehlt oder die Erstellung von sachfremden Erwägungen beeinflusst gewesen wäre. Das gilt selbst in dem von der Kammer zu Gunsten der Beklagten angenommenen Fall, dass der Mietspiegel anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen nicht genügen und Mängeln der Datenerhebung und -auswertung unterliegen sollte (vgl. Kammer, a.a.O Tz. 11). Denn es ist nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen, dass derartige Mängel im Falle ihrer Erheblichkeit bereits den durch ihre Sachkunde ausgewiesenen Erstellern des Mietspiegels offenbar geworden wären und diese entsprechende Mängel entweder vor Veröffentlichung des Mietspiegels gerügt und beseitigt, zumindest aber zum Anlass genommen hätten, den Mietspiegel nicht in seiner jetzigen Form zu veröffentlichen. Eine andere Beurteilung wäre allenfalls in Betracht gekommen, wenn vor oder während der Erstellung des Mietspiegels erhobene wissenschaftliche Bedenken von den an der Erstellung des Mietspiegels Beteiligten entweder nicht zur Kenntnis genommen oder unterdrückt worden wären. Von beidem indes kann ausweislich der öffentlich dokumentierten Erstellungshistorie des Berliner Mietspiegels 2015 und der dort im Rahmen der Arbeitsgruppensitzungen offen thematisierten methodischen Kritik an der bisherigen Mietspiegelerstellung keine Rede sein (vgl. Berliner Mietspiegel, Grundlagendaten für den empirischen Mietspiegel und Aktualisierung des Wohnlagenverzeichnisses zum Berliner Mietspiegel 2015, Zusammenfassung der Arbeitsgruppensitzungen, S. 83 ff.).
Da der Mietspiegel gleichwohl in seiner jetzigen Form veröffentlicht und im aufgezeigten Umfang anerkannt wurde, ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die beklagtenseits behaupteten Mängel der Wohnlagenermittlung und -einordnung im Falle ihres Vorliegens für die sachlich zutreffende Ermittlung der ausgewiesenen Mietwerte nur unerheblich ins Gewicht fallen und selbst eine statistisch fehlerfreie Erstellung des Mietspiegels allenfalls zu einer der Höhe nach unwesentlich abweichenden ortsüblichen Vergleichsmiete für die streitgegenständliche Wohnung geführt hätte (vgl. Kammer, a.a.O. Tz. 11).
Davon ausgehend hat das Amtsgericht die Wohnung zutreffend in das Mietspiegelfeld L 4 eingeordnet. Die von der Beklagten innegehaltene Wohnung weist eine Größe von 134,79 qm auf und ist im Jahr 1972 bezugsfertig gewesen. Sie liegt in einer ausweislich des Mietspiegels „guten“ Wohnlage. Auch die vom Amtsgericht vorgenommene Spanneneinordnung ist ohne Rechtsfehler erfolgt:
Die Merkmalgruppe 1 „Bad/WC“ ist zumindest als neutral zu bewerten. Unstreitig weist die Wohnung als wohnwerterhöhende Merkmale nämlich ein „zweites WC in der Wohnung“ sowie „Einhebelmischbatterien“ und als wohnwertmindernde Merkmale lediglich ein „Bad mit WC ohne Fenster“ und allenfalls noch das Merkmal „keine Duschmöglichkeit“ auf. Das Amtsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, die sich die Kammer zu Eigen macht und denen nichts hinzuzufügen ist, keine Anrechnung des zweiten, separaten WC ohne Fenster als wohnwertminderndes Merkmal vorgenommen sowie das wohnwertmindernde Merkmal „Bad ohne separate Dusche mit freistehender Wanne“ verneint. Vor diesem Hintergrund konnten die weiteren wohnwerterhöhenden Merkmale „zwei getrennte Waschbecken“ und „mindestens ein Bad größer als 8 qm“ dahinstehen. Die Merkmalgruppe 3 „Wohnung“ ist positiv zu bewerten, da wohnwerterhöhend nicht nur der „Abstellbereich mit Sichtschutz innerhalb der Wohnung“, sondern auch das „überwiegende Vorliegen einer Isolierverglasung (ab 1987)“ zu berücksichtigen waren. Die Merkmalgruppe 4 „Gebäude“ war aus den insoweit zutreffenden Erwägungen des Amtsgerichts Mitte, auf die Kammer Bezug nimmt und denen nichts hinzuzufügen ist, als positiv zu qualifizieren. Da die Merkmalgruppe 5 „Wohnumfeld“ unstreitig negativ zu bewerten war, konnte die Einordnung der Merkmalgruppe 2 „Küche“ dahinstehen. Denn selbst wenn sie zu Gunsten der Beklagten als negativ zu bewerten wäre, würden zu einer neutralen Merkmalgruppe je zwei negative und zwei positive Merkmalgruppen hinzutreten, die aber in der Gesamtschau bereits die von der Klägerin verlangte Miete ergeben.
Der demnach zu Grunde zu legende Mittelwert des Mietspiegelfeldes L 4 ergibt eine ortsübliche Vergleichsmiete von 7,82 EUR/qm, unter Zugrundelegung einer Wohnungsgröße von 134,79 qm folgen daraus insgesamt 1054,06 EUR. Die Klägerin verlangt indes nur 1.033,48 EUR.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1, 41 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 GKG. Gründe, die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen, bestanden nicht.
27.09.2016