In der Nähe vom Kollwitzplatz entsteht derzeit ein gemeinschaftliches Wohnprojekt – mit bezahlbaren Mieten, wie sie in dieser Gegend Seltenheitswert haben. Dabei sah es für die Bewohner der Sredzkistraße 44 zunächst gar nicht gut aus.
„Ein kleines Wunder“ nennt Peter Weber von der Mietergenossenschaft SelbstBau eG das Modellprojekt. Der unsanierte Altbau mit Ofenheizung und Außenklo gehörte früher der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Doch die hatte sich mit den Bewohnern völlig überworfen. Über die Modernisierungspläne, wonach ein Treppenaufgang abgerissen und einige Wohnungen zusammengelegt werden sollten, waren die Mieter entsetzt. Der Streit zog sich über Jahre hin, ohne dass es zu einer Einigung kam. In dieser Phase informierten sich die Mieter über die Möglichkeit einer Übernahme des Hauses durch das „Mietshäusersyndikat“ oder eine Genossenschaft. Gleichzeitig nahm die Gewobag Kontakt zur SelbstBau auf. Man wollte das Haus mit seinen unbequemen Mietern abstoßen.
„Die SelbstBau hat dann zuerst das Gespräch mit uns gesucht und uns nach unseren Vorstellungen gefragt – damit hatte sie schnell unser Vertrauen gewonnen“, berichtet Daniela Herr, eine von acht Mietparteien, die zu dieser Zeit im Haus wohnten. Gemeinsam wurde die Idee zu einem generationsübergreifenden und barrierefreien Wohnen entwickelt. 2014 schloss die SelbstBau eG dann mit der Gewobag einen Erbpachtvertrag für 99 Jahre ab. Seit Mitte 2015 werden die elf Wohnungen umgebaut, drei davon werden behindertengerecht sein. Aber auch die anderen Wohnungen werden mit breiten, rollstuhlgerechten Türen ausgestattet. Außerdem wird ein Fahrstuhl eingebaut. Im Erdgeschoss entsteht eine Musterwohnung und ein Informations- und Ausstellungszentrum. Hier können sich Besuchergruppen über generationsverbindendes Wohnen und Bauen informieren.
„Das Interesse an solchen Projekten ist groß, längst ist gemeinschaftliches Wohnen keine Nische mehr, sagt Constance Cremer von „Stattbau“, die für das Projekt eine Machbarkeitsstudie erstellt hat. Doch die Lage in der Innenstadt bleibt für die meisten ein Traum. Die Sredzkistraße 44 habe daher Strahlkraft in die Nachbarschaft hinein, so Cremer. Das Bundesfamilienministerium unterstützt den Umbau mit 930.000 Euro, die Gesamtkosten belaufen sich auf 2,5 Millionen Euro.
Alle acht Altmieter werden zurückziehen. Sie können sich über Mieten von 5,50 Euro nettokalt pro Quadratmeter freuen, in einem Fall sogar nur 5 Euro. Die Neuen müssen mit 8,50 Euro schon tiefer in die Tasche greifen. Die Dachgeschosswohnungen sind jeweils rund 1 Euro teurer. Dazu kommen Genossenschaftsanteile in Höhe von 150 Euro pro Quadratmeter für die Altmieter und 300 Euro für die neu Einziehenden. Mindestens zehn Jahre lang soll die Miete nicht erhöht werden. Lediglich drei Wohnungen wurden neu vermietet, zwei davon an Menschen über 60, eine an einen Rollstuhlfahrer. Daniela Herr, die seit fast 20 Jahren im Haus wohnt, freut sich auf das Zusammenleben. „Hier kann ich mich einbringen“, sagt sie.
Birgit Leiß
28.10.2016