Drangvolle Enge, Lärm, kaputte Sanitäranlagen, fehlende Kochmöglichkeiten, gewalttätige Auseinandersetzungen – Ende letzten Jahres eskalierte die Situation in etlichen Notunterkünften für Flüchtlinge. Dabei hat das gerade erst eingerichtete Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten noch immer mit dem eigenen Aufbau zu tun und muss dazu die Fehler seines Vorgängers korrigieren: unprofessionelle Vergabeverfahren, mangelnde Kommunikation, langwierige Bearbeitungsabläufe. All das soll sich nun ändern. Unzumutbare Massenquartiere soll es nicht mehr geben. Die ersten Schritte sind getan. Berlin scheint auf dem Weg, das Chaos in der Versorgung seiner Flüchtlinge in den Griff zu bekommen.
Ende November 2016 erreichte den neuen Pankower Bürgermeister Sören Benn (Die Linke) ein Brandbrief aus der Notunterkunft Wackenbergstraße. In der alten Polizeisporthalle waren die Toiletten verstopft und die Duschen kaputt, Waschmaschinen und Trockner funktionierten über Wochen nicht. Vor allem aber: Die 92 Flüchtlinge, die zum Teil seit über einem Jahr in dem verwahrlosten Objekt hausten, waren mit ihrer Geduld und mit ihren Nerven am Ende.
Selbst wenn sich die Lage nicht in allen Notunterkünften derart zugespitzt hatte – noch immer mussten zu diesem Zeitpunkt 20.000 Männer, Frauen und Kinder es dort aushalten, etwa 3000 von ihnen in Turnhallen wie in der Wackenbergstraße. Dabei sollten diese doch bereits mit Schuljahresbeginn im September oder spätestens zum Jahresende wieder leergezogen und dem Sportunterricht und Vereinen zurückgegeben sein.
Aber die Behörden lagen weit hinter ihrem Plan zurück – und das, obwohl es bereits wesentlich bessere Wohnmöglichkeiten in der Stadt gab. Wohncontaineranlagen („Tempohomes“) standen an verschiedenen Standorten bezugsfertig – und leer. So auch der Modulare Bau für Flüchtlinge in der Bernauer Straße 138 A in Reinickendorf, über den das MieterMagazin im Sommer 2016 berichtet hatte.
Die Gemeinschaftsunterkunft war von dem städtischen Wohnungsunternehmen Gewobag errichtet und nach nur wenigen Monaten Bauzeit pünktlich und in guter Qualität ans Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) übergeben worden. In das neungeschossige Gebäude mit modernen Sanitär- und Küchenbereichen, Apartments für Familien, Räumen zum Spielen und Lernen hätten noch im Dezember 230 Geflüchtete einziehen können.
Aber wie andere Wohnstandorte blieb auch der Bau in der Bernauer Straße erst einmal leer. Das Problem: Viele Vergabeverfahren waren geplatzt. Immer wieder hatten Heimbetreiber, die nicht zum Zuge gekommen waren, bei der Vergabekammer gegen die Auswahl durch das Landesamt geklagt, und damit war der gesamte Prozess des Umzugs von Not- in Gemeinschaftsunterkünfte über Monate blockiert.
„Was die Ausschreibung von Unterkünften angeht“, so stellt der Pressesprecher des LAF, Sascha Langenbach, heute nüchtern fest, „haben wir in den zurückliegenden Monaten einiges dazulernen müssen.“ Nachdem im November 2016 acht Standorte mit insgesamt zehn Unterkünften von Klagen betroffen waren, entschloss sich die Behörde erst einmal, sämtliche Ausschreibungen zu stoppen, das eigene Personal für die Bearbeitung aufzustocken und vor allem externe Sachverständige für Vergaberecht zu den Ausschreibungen hinzuzuziehen. Die Verfahren waren nun aufwendiger und deutlich teurer. Aber es sollte künftig garantiert sein, dass Flüchtlingsunterkünfte an qualifizierte und erfahrene Betreiber vergeben werden und dass die Ausschreibungen so risikoarm und klagefest wie möglich über die Bühne gehen.
Für ein neu geschaffenes Amt keine leichte Aufgabe. Am 1. August hatte das LAF seine Arbeit aufgenommen, nachdem das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) an der Bewältigung der Flüchtlingskrise gescheitert war – und seitdem als Synonym für Behördenversagen schlechthin steht. Kein leichtes Erbe. Im neuen Landesamt mussten erst einmal intern effektive Arbeitsabläufe gefunden und festgelegt werden. Kommen zu verpatzten Ausschreibungen dann noch Probleme wie in der Zossener Straße in Hellersdorf, steigt der Druck ins kaum Erträgliche. Das Tempohome, eine der wenigen bis dahin bezogenen Gemeinschaftsunterkünfte, musste quasi über Nacht wieder schließen und geräumt werden, weil eine Baufirma gepfuscht und die elektrischen Leitungen falsch verlegt hatte. 250 Bewohnerinnen und Bewohner zogen deshalb erst einmal wieder aus und kamen übergangsweise in Unterkünfte, die schon lange anderen versprochen waren.
Bezirke sind Überbringer schlechter Nachrichten
Rona Tietje (SPD), seit letztem Herbst Pankows Bezirksstadträtin für Jugend, Wirtschaft und Soziales, stand vor enttäuschten, verzweifelten, wütenden Menschen. Und musste ihnen erklären, dass es wieder nichts würde mit dem Auszug aus den Notunterkünften, dass sie nun erst einmal länger in der unerträglichen Situation ausharren müssten.
Tietje: „Das Land entscheidet über die Belegung der Unterkünfte, wir haben darauf wenig Einfluss. Aber wir müssen die Entscheidungen vermitteln.“ Im Klartext: Bezirksmitarbeiter gehen in die Turnhallen und überbringen die schlechten Nachrichten. Schlechte Kommunikation mit dem Landesamt ist für die Bezirke ein entscheidendes Problem. Es wurden versprochene Umzugstermine gekippt, andere vorgezogen, Flüchtlinge von hier nach da verlegt, und die Bezirke, die beispielsweise auch für die Kita- und Schulplätze für die jungen Flüchtlinge zuständig sind, erfuhren das im allerletzten Moment. „Wir werden die Bezirke künftig besser im Voraus informieren“, erklärte nun LAF-Sprecher Sascha Langenbach.
„Die Menschen können mit der Situation in einer Notunterkunft durchaus umgehen, wenn sie wissen, wie lange sie dort untergebracht sein werden“, sagt Christoph Wiedemann von der „SozDia Stiftung“. Er leitete selbst fast ein Jahr lang ein Heim für geflüchtete Männer im Lichtenberger Ortsteil Karlshorst und hat erlebt, wie sich immer mehr Frust angestaut hat.
Drei Monate Bearbeitung
Für diejenigen, die in Massenquartieren wohnen, ist auch der Umzug in ein Tempohome oder eine Module Unterkunft schon eine Riesen-Verbesserung. Aber natürlich wollen alle so rasch wie möglich in eine eigene abgeschlossene Wohnung ziehen. Das ist Wunsch Nummer eins – und Problem Nummer eins. Bei 80 Prozent aller Patenschaften für Flüchtlinge, so berichtet Mustafa Gumrok von der Hilfsorganisation Human Help Community (HHC), geht es deshalb in erster Linie um Hilfe bei der Wohnungssuche. Die Hoffnung auf Eigenständigkeit halten die meisten ja auch nach drei Monaten in der Hand: eine Bescheinigung des LAF mit der Zustimmung zur Wohnungssuche. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben sie damit das Recht auf Erstattung der Mietkosten, vorausgesetzt diese liegen innerhalb der Ermessungsgrenzen, was die Höhe der Miete, der Mietnebenkosten, die Größe der Wohnung und die Anzahl der Zimmer betrifft.
Wie bei dem syrischen Studenten Majd Jammoul beispielsweise, der im November 2015 nach Berlin gekommen ist. Nach drei Monaten in einer Notunterkunft fand er tatsächlich ein Zimmer über deutsche Freunde. „Ich habe das Formular für das Wohnungsangebot und die Angaben der Vermieterin im Juli beim LAF abgegeben“, erzählt der junge Mann. „Bis Ende Oktober haben die dann geprüft, ob sie die Kosten übernehmen. Dann hatte ich endlich eine Zusage.“ Dass er die Wohnung bekam, war ausschließlich der Geduld der Vermieterin zu verdanken.
Und so hat, wer auf dem Berliner Wohnungsmarkt mit Tausenden anderen konkurrieren muss, bei einem derartigen Bearbeitungstempo eigentlich keine Chance. Christoph Wiedemann: „Das ist ja auch eine Unsicherheit für den Vermieter. Der wartet doch nicht zwei, drei oder mehr Monate auf eine Bestätigung vom LAF und bekommt dann vielleicht noch eine Ablehnung.“ Das, so LAF-Sprecher Sascha Langenbach, habe sich ab diesem Jahr geändert. Mit einer deutlichen Personalaufstockung solle das Prüfverfahren des Vermietungsangebotes nur noch einen Tag dauern. Und er verweist darauf, dass im vergangenen Jahr 4000 geflüchtete Menschen in Wohnungen und Privatzimmer vermittelt werden konnten.
Gemeinschaftsunterkunft für längere Zeit die Lösung
Gemessen an den etwa 71.000 Flüchtlingen, die 2015 und 2016 nach Berlin gekommen und in der Stadt geblieben sind, ist das keine große Zahl. Gemeinschaftsunterkünfte werden also für viele über längere Zeit ein Zuhause bleiben.
Gerade Ende Januar konnte die Modulare Flüchtlingsunterkunft in der Wittenberger Straße in Marzahn-Hellersdorf eingeweiht werden, in der 450 Bewohnerinnen und Bewohner ein möglichst selbstständiges Leben führen sollen. Hier gibt es abgeschlossene Wohnungen für Familien und WG-Einheiten mit Zimmern für jeweils zwei Personen. Die Gemeinschaftsunterkunft ist mit modernen Einbauküchen, Bädern und Mobiliar ausgestattet. Neun weitere dieser Unterkünfte hat der Senat geplant. Sie werden mit insgesamt 3850 Wohnplätzen ausgestattet.
„Ende März, noch im 1. Quartal“, so verspricht LAF-Sprecher Sascha Langenbach, „sollen aber alle Turnhallen leer gezogen sein.“ Und diesmal endgültig.
Rosemarie Mieder
Wohnung verzweifelt gesucht
„Hier wohnen wir“, sagt Reaam und lächelt schüchtern. Ihr Zuhause, das sind zwei zusammengeschobene Stockbetten zwischen zahlreichen anderen Schlafplätzen inmitten einer großen Turnhalle. Sie und ihr Mann haben die beiden Betten mit Tüchern verhüllt, die ein wenig Sichtschutz bieten – das einzige Stückchen Privatsphäre, das sie haben. 170 Menschen leben mit ihnen in der Halle. Kindergeschrei, Familienkrach, Schnarchen: Laut ist es hier immer. Waschen müssen sich die Flüchtlinge in Gemeinschaftsduschen, Kochmöglichkeiten gibt es keine. Das Essen wird eingeschweißt von einer externen Küche angeliefert.
Vor einem Jahr, im November 2015, ist das junge Paar aus Syrien in Deutschland angekommen. Bevor der Krieg ausbrach, lebten die Beiden in einer gemeinsamen Wohnung in Deir ez-Zor, der sechstgrößten Stadt des Landes. Khalid arbeitete nach seinem Studium der arabischen Literatur als Arabischlehrer, seine Frau studierte Landwirtschaft. Dann kam der Krieg. Über den ersten Teil der Flucht wollen sie ungern sprechen. „Von der Türkei aus waren wir über Griechenland bis nach Deutschland 15 Tage lang unterwegs, zum Teil zu Fuß, dann wieder mit dem Bus oder dem Schiff“, sagt Khalid.
Khalid hat einen Onkel in Berlin. So wird die Hauptstadt ihre erste Anlaufstelle. Im November 2015, dem Monat, in dem so viele Geflüchtete Deutschland erreichen wie nie – über 206.000 –, kommen sie an. Die Kommunen sind überfordert von dem Ansturm, geeignete Unterkünfte stehen nicht zur Verfügung. Turnhallen werden kurzerhand zu Wohnquartieren umfunktioniert. So auch das Cole Sports Center am Zehlendorfer Hüttenweg, einst Treffpunkt in Berlin stationierter US-Soldaten. Dorthin werden die beiden vermittelt.
„Anfangs waren 270 Menschen in der Halle untergebracht“, sagt Veronica Großmann, die die Unterkunft leitet. Zwar versprach der Senat, bis Juli 2016 ausreichend Alternativunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Diesen Worten folgten jedoch keine Taten – auch heute leben noch Hunderte Geflüchtete in Turnhallen. Maximal zehn Prozent der im Cole Sports Center Untergebrachten, so schätzt die Heimleiterin, hätten im Laufe des vergangenen Jahres den Sprung in eine eigene Mietwohnung geschafft. Eine Wohnung in Berlin zu finden, ist schwierig, auch wenn man die Sprache spricht und alle nötigen Papiere vorweisen kann. Ist beides nicht der Fall, braucht man eine gehörige Portion Glück. Die fehlte Reaam und Khalid bislang. Drei Monate sind sie nun schon auf der Suche nach eigenen vier Wänden – erfolglos. Die Zeit drängt: Ab Februar werden sie zu dritt sein, Reaam ist schwanger. „Schon ohne Baby ist es extrem schwierig“, weiß Veronica Großmann. Man mag sich nicht vorstellen, wie es mit einem Säugling ist. Sie hat dem Paar eine ehrenamtliche Begleiterin vermittelt, die ihnen bei der Suche hilft.
Reaam, Khalid und ihr ungeborenes Kind dürften von Amts wegen eine Dreizimmerwohnung beziehen. Sie darf maximal 518,25 Euro bruttokalt kosten, im Sozialen Wohnungsbau bis zu 570,08 Euro. Hinzu kommen – je nach Wohnungsgröße – Heizungskosten um die 100 Euro und 12 Euro für die Warmwasserversorgung.
Khalid sieht sich mit seiner Frau Anzeigen im Internet an, auf Mietportalen und direkt bei den Wohnungsgesellschaften. Vier Wohnungen haben sie besichtigt. „Manchmal war auch das Problem, dass wir eine Zusage vom Amt hatten, dann aber doch eine Absage vom Vermieter bekommen haben“, erklärt Khalid. Der Berliner Wohnungsmarkt ist angespannt, günstiger Wohnraum ist rar – und stark nachgefragt. Die meisten der Wohnungen auf dem Markt liegen weit über den für Flüchtlinge zulässigen Obergrenzen. Und um die übrigen müssen sie mit Menschen konkurrieren, die Deutsch sprechen, Einkommensnachweise und Mietschuldenfreiheitsbescheinigungen vorlegen können und einen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Manche Vermieter lehnen Bewerber, deren Miete vom Jobcenter bezahlt wird, auch kategorisch ab.
Zwar verfügen Reaam und Khalid über einen Wohnberechtigungsschein, mit dem das Paar auch Anspruch auf eine Sozialwohnung hätte. „Aber hier ist die Konkurrenz teilweise noch größer“, erläutert Veronica Großmann. In Berlin ist sozial geförderter Wohnraum seit Jahren knapp. „Die Kontingente für Flüchtlinge sind nicht ausreichend“, sagt die Heimleiterin.
Aus der Not der Flüchtlinge versuchen manche, Gewinn zu schlagen. Kriminelle versprechen den Suchenden Wohnungen – und bringen sie am Ende in Unterkünften unter, die kaum besser sind als Turnhallen – zu fünft werden die Flüchtlinge in ein kleines Zimmer gepfercht. Solche Geschichten kennt auch Veronica Großmann. „Viele der Vermittelten halten den Mund, weil sie Angst haben, wieder in einer Massenunterkunft zu landen“, erklärt sie.
Reaam und Khalid beklagen sich nicht. Nicht über die deutsche Bürokratie, nicht über diskriminierende Vermieter. Sie sind während unseres Gesprächs offen, freundlich, herzlich und bitten ausdrücklich darum, dass in unserem Beitrag Frau Großmann gedankt wird – für deren großes Engagement und ihren Einsatz rund um die Uhr. Sie haben in der Unterkunft im Hüttenweg Freunde gefunden, sind zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen. Dennoch sieht man ihnen den Stress an, den das Leben in einem Massenlager in einem fremden Land mit sich bringt. „Ich hoffe wirklich, dass wir für die beiden bald etwas finden. Eigentlich vertraue ich aber nur noch darauf, dass sich über private Wege etwas ergeben könnte“, sagt die Heimleiterin. Zwei Familien konnte sie über ein ehrenamtliches Netzwerk schon vermitteln.
Mitte Februar treffen wir Reaam und Khalid erneut. Es gibt gute Neuigkeiten: Ende Dezember konnte das Paar durch Veronica Großmanns Vermittlung die Turnhalle verlassen und in das ehemalige Hotel Georghof in der Friedrichshainer Gürtelstraße einziehen, das seit einigen Jahren als Flüchtlingsunterkunft dient. Dort bewohnen die beiden ein kleines Zimmer mit angeschlossenem Bad. Die Küche teilen sie sich mit anderen Flüchtlingen, die die sechs Etagen des in die Jahre gekommenen Hotelgebäudes bewohnen.
Das Paar wirkt wesentlich gelöster als beim ersten Treffen, lacht und scherzt – es wird deutlich, dass sie sehr froh sind, endlich einen richtigen Rückzugsort zu haben. Es sei „viel, viel besser“ dort, sagt Reaam. Wenn auch mit Abstrichen: Wenige Meter vom Fenster entfernt donnert die Ringbahn vorbei – alle fünf Minuten, wie Khalid erklärt. Der Lärm dringt durch die geschlossenen Fenster und rüttelt an den Nerven. Die beiden vermissen auch die starke Gemeinschaft der Zehlendorfer Unterkunft. In der Gürtelstraße sei es anonymer, man grüße sich zwar und komme gut miteinander klar, aber jeder lebe für sich. Telefonisch halten sie Kontakt zu den ehemaligen Mitbewohnern aus Zehlendorf, von denen Anfang Februar endlich auch die letzten aus der Turnhalle ausziehen konnten, viele von ihnen in modulare Flüchtlingsunterkünfte nach Hellersdorf.
Während der Geburtstermin Ende Februar immer näher rückt, sucht das Paar weiter intensiv eine Wohnung. Wenn das Baby erst mal da ist, werden das wenige Quadratmeter große Zimmer, die engen Flure, in denen sich die Kinderwagen drängen, die geteilte Küche als einzige Kochmöglichkeiten noch problematischer für die kleine Familie werden. Veronica Großmann unterstützt Reaam und Khalid auch weiter bei der Suche. Khalid hat sich bei einer großen Berliner Wohnungsbaugesellschaft beworben und hofft, dass diese ihnen in den nächsten Monaten eine Wohnung vermittelt.
Am 1. April wird er mit seinem Integrationskurs beginnen, während seine Frau sich zunächst um das Baby kümmern will. Bei allen Anstrengungen, allem Stress der vergangenen Monate sind Reaam und Khalid einfach auch ein ganz normales junges Paar. Auf die Frage, ob sie sich eine Tochter oder einen Sohn wünschen, antwortet er voller Überzeugung „Einen Sohn!“ und sie, genauso überzeugt: „Eine Tochter!“ Dann müssen sie beide lachen.
Katharina Buri
Beratung rund um Mietverhältnis und Nachbarschaft
MieterMagazin: Das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk berät Flüchtlinge auf der Wohnungssuche. Was müssen diese wissen?
Brinck: Um auf dem Berliner Wohnungsmarkt erfolgreich zu suchen, müssen sie ihn erst einmal kennen. Wir erklären Flüchtlingen die Struktur aus kommunalen, genossenschaftlichen und privaten Vermietern und rücken dabei auch unrealistische Vorstellungen gerade: Nicht jede Wohnung hat einen Balkon und nicht jedes Haus einen Aufzug. Wir zeigen ihnen, was sie für den Vermieter unbedingt dabei haben müssen: die Bewerbungsmappe mit Dokumenten und Selbstauskunft. Einen Termin für diese erste freiwillige Beratung bekommt man sehr kurzfristig, manchmal schon am Tag der Anfrage.
MieterMagazin: Eine zweite Beratung ist dann verpflichtend. Worum geht es dabei?
Brinck: Die Voraussetzung für die zweite Beratung ist ein unterschriebener Mietvertrag. Das ist schon mal ein gewaltiger Schritt, weil das Landesamt für Flüchtlinge dann ja bereits die Kosten geprüft und anerkannt hat. Trotzdem müssen die Wohnungsbewerber noch viele Dinge wissen, die für ein Mietverhältnis und eine gute Nachbarschaft wichtig sind: Was verlangt die Hausordnung? Wie funktioniert die Mülltrennung? Wie kann ich Energie sparen?
Viele sind sprachlich auch noch nicht so fit, dass sie Nachbarn oder den Vermieter fragen könnten. Weiterhin bekommen sie eine Checkliste mit Adressen: Wo müssen sie sich jetzt überall anmelden? Was können wichtige Anlaufpunkte in ihrem Kiez sein?
MieterMagazin: Das heißt, dass dem Weg zur Wohnung nichts mehr im Wege steht, wenn die Kostenübernahme erst einmal geklärt ist?
Brinck: Leider hakt es immer noch an einer Stelle: Nach unserer Beratung erhalten die Flüchtlinge ein Protokoll, dass sie dann noch einmal beim Landesamt vorlegen müssen. Dieser letzte Termin ist die Voraussetzung, dass Kaution und die Monatsmieten an den Vermieter überwiesen werden, aber auch Geld für die erste Wohnungseinrichtung fließt. Leider sieht es im Moment noch so aus, dass viele wochenlang auf einen solchen Termin beim Landesamt warten – und somit auch der Vermieter. Wir bekommen viele Anrufe von aufgeregten Neumietern und wütenden Vermietern, weil die manchmal drei und mehr Monate auf ihr Geld warten. Da muss sich dringend etwas ändern.
Das Gespräch führte Rosemarie Mieder.
Sophia Brinck ist stellvertretende Leiterin der Mieterberatung des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EJF)
Weitere Informationen und Kontakt für private Wohnungs- und Zimmerangebote unter Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk EJF
Tel. 030 30 87 36 52
Der lange Weg durch die Institutionen
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) ist zuständig für alle Flüchtlinge, die nach Berlin kommen. Derzeit sind das zwischen 25 und 50 Personen pro Tag. Etwa 120 Sprachmittler stehen in dieser zentralen Aufnahmestelle bereit, um Dokumente und Angaben der Ankommenden zu prüfen. Fingerabdrücke werden genommen, biometrische Fotos angefertigt, Dokumente gescannt und mit nationalen und internationalen Datenbanken abgeglichen. Soweit wie möglich soll damit Sozialbetrug ausgeschlossen werden.
Danach sind die Flüchtlinge verpflichtet, für drei bis sechs Monate in einer Sammelunterkunft zu wohnen. Wer Anrecht auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hat, bekommt aber in der Regel drei Monate nach seiner Registrierung die Genehmigung, sich eine Wohnung zu suchen.
Diese Genehmigung wird unabhängig vom Asylverfahren erteilt, das parallel beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) läuft. Ist dort das Verfahren abgeschlossen und eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt – für viele in 2015 Angekommenen ist das noch immer nicht der Fall –, wechseln die oder der Betreffende aus dem Zuständigkeitsbereich des LAF ins Jobcenter. Ab dann erhalten sie Leistungen nach Sozialgesetzbuch (SGB) II, was auch die Kostenzusage für eine Wohnung einschließt.
rm
27.11.2017