Sofas, Kühlschränke, Matratzen, Küchenteile – an Berlins Straßen und besonders in dunklen Ecken türmt sich der Sperrmüll. Einfach abgeladen – zu Lasten aller Berliner. Denn Räumung und Entsorgung durch die Berliner Stadtreinigung (BSR) kosten die Stadt jährlich 4 Millionen Euro. Viele Berliner stören sich mächtig an den illegalen Müllkippen. Tausende Anzeigen beim Ordnungsamt gingen im vergangenen Jahr ein. Was aber bewirken sie, wenn es nicht gelingt, die Verursacher zu erwischen und zur Verantwortung zu ziehen?
Frühjahrsputz in der Hasenheide: Mit Harken, Greifern, Handschuhen und großen blauen Säcken gerüstet, durchkämmen Frauen und Männer das grüne Areal ums Jahn-Denkmal im Park. Mitarbeiter des Neuköllner Bezirksamtes, des JobCenters und auch des Amtsgerichts wollen mit ihrer Aktion ein Zeichen setzen: Dafür, wie es bei uns aussieht, sind wir alle verantwortlich. Aber ob der Appell auch gehört wird? Da unten in der Hermannstraße zum Beispiel?
„Da kann ich einmal die Woche entlanggehen und mit dem, was die Leute so einfach auf dem Gehweg abladen, eine Dreizimmerwohnung einrichten“, sagt Rainer Sodeikat, Sachbearbeiter beim Grünflächenamt, und fügt hinzu: „… mit allen Elektrogeräten, die man so im Haushalt braucht.“ Die ausrangierten Sofas und Matratzen, Fernseher und Stehlampen, Kühlschränke und Küchenteile sammeln sich, bis die BSR alles abtransportiert. Und Platz für neuen Sperrmüll schafft, illegal abgeladenen Sperrmüll. Eigentlich eine Ordnungswidrigkeit, die laut dem Berliner Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz schlimmstenfalls mit einem Bußgeld von 50.000 Euro geahndet werden kann. Wenn man die Verursacher denn erwischen würde.
Weil illegal abgelagerter Sperrmüll aber in ganz Berlin ein Problem ist, zahlt die Stadt gewaltig drauf: Für die Beseitigung und Entsorgung der Abfallberge durch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) fallen jährlich rund 4 Millionen Euro an.
Verursacher schwer zu ermitteln
Mit einer kleinen Anfrage wollte Joschka Langenbrinck von der SPD-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses Ende vergangenen Jahres wissen: „Wie viele Müllerverursacher sind denn seit 2011 überhaupt identifiziert und zur Verantwortung gezogen worden?“ Die Auskunft ist mehr als ernüchternd: In Neukölln beispielsweise, wo es 15 bezirksbekannte „Hotspots“ gibt – der Mittelbuschweg, die Buschkrugallee oder auch der Weichselplatz gehören dazu – konnten 2015 ganze acht Umweltsünder ertappt und mit 765 Euro Bußgeld belegt werden.
„Dabei fallen allein in Nord-Neukölln in einer Woche 7,5 Tonnen illegaler Sperrmüll an“, sagt Michaela Hecht. Die Mitarbeiterin beim Straßen- und Grünflächenamt macht sich mitunter die Mühe und sucht in den Müllbergen nach Anhaltspunkten auf die Verursacher. So ist sie einmal bis zu einem neu eröffneten Laden in der Hermannstraße gekommen. Der Besitzer war ehrlich erstaunt, denn seine Abfälle vom Einrichten – Pappen, Verpackung, Holzleisten – sollten eigentlich auf den nächsten Recyclinghof gefahren werden. Dafür hätte er einem Anbieter mit Transporter doch einen „Fuffi“ in die Hand gegeben. „Aber der hat das Geld genommen und die Fuhre einfach irgendwo abgekippt“, so Michaela Hecht.
Wie die einen skrupellos und ohne jegliches Verantwortungsgefühl ihren Krempel entsorgen, scheint doch einem immer größeren Teil der Berliner gegen den Strich zu gehen. „Es gibt mehr und mehr Beschwerden von Bürgern“, erklärt Henner Schmidt von der FDP-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses. Im März diesen Jahres wollte er wissen, wie viele illegale Müllkippen denn bei den Ordnungsämtern gemeldet würden. Hintergrund: Seit Ende 2015 kann jeder solche Meldungen ganz unbürokratisch online vornehmen. Die Zahlen sprechen für sich: Wurden 2015 noch 7252 illegale Abladungen beim Ordnungsamt angezeigt, waren dies durch die Online-Meldemöglichkeit im vergangenen Jahr schon 25.787 – ein klares Signal: Da muss endlich was passieren.
Stärker kontrollieren, schneller reagieren und vor allem ahnden, das steht für Neuköllns Bürgermeisterin Franziska Giffey an vorderster Stelle. „Und dazu muss auch das Ordnungsamt nachgerüstet werden“, ergänzt sie. Bisher ende dessen Dienstzeit um 22 Uhr, danach gebe es selbst an den stadtbekannten Abladeorten keine Kontrollgänge mehr.
„Es muss aber auch mehr Prävention und Aufklärung betrieben werden“, ergänzt Giffey, „das illegale Abladen von Sperrmüll ist kein Kavaliersdelikt.“ Die Bezirksbürgermeisterin weiß auch, dass viele Bürger sich wieder kostenfreie feste Sperrmüll-Termine wünschen, wie es sie im alten West-Berlin bis in die 1970er Jahre hinein gegeben hat.
Sind regelmäßige Abhol-Termine die Lösung?
Dass eine Wiedereinführung der Gratisabholung die illegale Entsorgung deutlich verringern könne, daran glaubt Sabine Thümler nicht: „Es würde zu noch unhaltbareren Zuständen führen“, ist sich die Pressesprecherin der BSR sicher. Und zu Problemen, die es schon vor über 40 Jahren mit dieser Dienstleistung gab. Diese wurde nämlich still und heimlich auch von vielen Gewerbetreibenden in Anspruch genommen, indem man einfach Bauabfälle und Sondermüll unter den privaten Sperrmüll mischte. Über die Wiedereinführung der Sperrmüllabholaktionen, so die BSR-Mitarbeiterin, ließen sich Achtlosigkeit, Faulheit, Schlamperei und fehlendes Unrechtsbewusstsein nicht in den Griff kriegen: „Wir sehen es Tag für Tag: Wenn wir den illegal abgeladenen Sperrmüll schnell abholen, heißt es: Na bitte! Geht doch! Und wenn wir mal eine Weile brauchen, ist das wie eine Aufforderung – der Berg wächst und wächst.“
Das Problem, da ist sich der Abgeordnete Henner Schmidt sicher, muss auch lokal, im jeweiligen Stadtgebiet, angegangen werden. Dort müsse es mehr soziale Kontrolle durch Anwohner und Nachbarn geben. „Wer sich mit seinem Kiez identifiziert, den interessiert eben auch, wie es da aussieht“, ergänzt er und liegt damit auf einer Wellenlänge mit Franziska Giffey und all denen, die an diesem Maitag mit ihr die Hasenheide aufräumen. Die Aktion „Schön wie wir“, die das Rathaus angestoßen hat, will den Neuköllnern genau das vermitteln: Achtet nicht nur auf Euch selber. Achtet doch auch auf Eure Stadt.
Rosemarie Mieder
Sperrmüll – Soviel kostet das Abholen
Noch bis 1996 konnte man mit der BSR individuell einen Gratis-Termin für die Abholung seines Sperrmülls vereinbaren. Seitdem gilt für die Abholung: Je schneller, umso teurer:
4 bis 6 Wochen: 50 Euro pro 5 Kubikmeter
2 bis 3 Wochen: 100 Euro pro 5 Kubikmeter
innerhalb 1 Woche: 96 Euro pro 2 Kubikmeter
Unkompliziert tauschen und verschenken kann man noch Brauchbares über die Internet-Plattform
Broken Windows, null Toleranz
Eine mit Graffiti beschmierte Hauswand, Müll auf der Straße, ein eingeschlagenes Fenster – das können erste Anzeichen für den Verfall eines Stadtviertels und der Nährboden für ansteigende Kriminalität sein. Das ist die Kernthese der sogenannten Broken-Windows-Theorie. Sie wurde 1982 von zwei US-Experten aufgestellt, einem Kriminologen und einem Politikwissenschaftler. In den 1990er Jahren diente die Theorie als Begründung für die Null-Toleranz-Politik der New Yorker Polizei, die kleinste Vergehen seitdem streng verfolgt. Der Erfolg – vor allem in der US-Metropole – scheint den Ordnungshütern Recht zu geben. Inzwischen jedoch nähren Studien und Untersuchungen auch Zweifel an der Wirksamkeit der Null-Toleranz-Politik.
rm
29.05.2017