Mieter in der Wilhelmstraße sollen ihre Wohnung räumen. Angeblich haben sie als „neu Zugereiste“ nur einen Zeitmietvertrag unterschrieben. Aber das Paar lebt seit 25 Jahren in Berlin und hat nach einer sicheren Wohnung gesucht. Dass hier geltendes Recht gebrochen wird, scheint die Vermieter nicht zu interessieren.
Als Erwin und Ludmilla K. im November 2016 nach langer Suche endlich einen neuen Mietvertrag für eine Wohnung in der Wilhelmstraße 94 unterzeichneten, waren sie heilfroh. Sie konnten im vertrauten Kiez in Mitte bleiben, wo viele Freunde wohnten. Dass über dem Dokument „Mietvertrag für Wohnräume zur temporären Nutzung“ stand, machte dem Paar keine Sorgen. „Vor allem weil ja auch die Mitarbeiterin in der Wohnungsverwaltung sagte, wir sollten zum Sommer wiederkommen, dann würde der Vertrag verlängert“, so erinnert sich Ludmilla K. noch genau an das Gespräch. Aber statt einer Verlängerung erhielten die Beiden eine E-Mail mit einem lapidaren Satz: „Ihr Mietvertrag endet zum 15. Dezember 2017.“ Ein Schock – Erwin und Ludmilla K. wandten sich an den Berliner Mieterverein (BMV).
„Der Vertrag enthält keinerlei Grund, der eine Befristung rechtfertigen würde“, erklärt Sebastian Bartels, stellvertretender Geschäftsführer des BMV. Solche Befristungsgründe, festgelegt im § 575 des BGB, können ein künftiger Eigenbedarf oder eine bereits geplante Baumaßnahme sein.
„Dafür steht da sehr versteckt im Vertrag, die temporäre Nutzung ergäbe sich aus einem Wunsch der Mieter, sich als neu Zugereiste erst einmal in Berlin zu orientieren und weiter nach einer endgültigen Wohnung zu suchen“, sagt Sebastian Bartels. Er vermutet, dass solch eine Formulierung der Versuch sein könnte, die Mietpreisbremse zu umgehen. Denn die gilt nicht für Wohnungen, die auf Zeit vermietet sind (§ 549, Abs. 2, Nr. 1 BGB). Erwin und Ludmilla K. leben seit 25 Jahren in Berlin, und sie haben keine Wohnung auf Zeit gesucht. Selbst wenn sie vor der Mitarbeiterin der Wohnungsverwaltung unentschlossen aufgetreten wären, ein gültiger Befristungsgrund ist das nicht.
Obwohl die Rechtslage eigentlich klar ist – seit der Mietrechtsreform 2001 ist eine sachgrundlose Befristung unwirksam – gehen Briefe zwischen Mieterverein und Vermieter hin und her. Denn auch eine neue Hausverwaltung, die die Wilhelmstraße 94 zu Beginn des Jahres übernommen hat, besteht auf der Befristung und lässt das über ein Anwaltsbüro entschieden vertreten. Die von Erwin und Ludmilla K. eingezahlte Miete, so heißt es in einem Schreiben, würde einstweilen nur als Nutzungsentschädigung betrachtet.
Rosemarie Mieder
04.06.2022