Die berühmte „Berliner Mischung“ – da wohnt der Punk Tür an Tür mit der Senioren-WG, darunter die alleinerziehende Mutter neben dem Künstlerehepaar. Der Begriff steht nicht nur für ein Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen, sondern auch für ein Zusammenleben unterschiedlichster Kulturen, Altersgruppen, Ethnien und Lebensformen. Aber leben wir wirklich noch so bunt gemischt? Eine neue Studie hat dies erstmals für Berlin und viele weitere deutsche Großstädte untersucht – mit einem Schwerpunkt auf die sozialen Aspekten.
„Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte?“ Unter diesem Titel haben sich Marcel Helbig und Stefanie Jähnen vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) angesehen, ob Arm und Reich immer noch Tür an Tür wohnen. Ihre jüngst veröffentlichte Studie untersucht die Entwicklung der sogenannten residenziellen Segregation – der Ungleichverteilung der Wohnstandorte verschiedener Bevölkerungsgruppen – in 74 deutschen Großstädten zwischen 2005 und 2014.
Die Autoren haben einen „Segregationsindex“ berechnet, der zeigt, wie viele Prozent derjenigen Menschen, die Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) – im Volksmund auch Hartz IV genannt – beziehen, eigentlich in einem anderen Stadtteil leben müssten, um gleichmäßig verteilt in einer Stadt angesiedelt zu sein. Die Frage dahinter ist letztlich: Bestimmt unser Einkommen darüber, wo wir wohnen? Die Ergebnisse sind aufrüttelnd: In 80 Prozent der untersuchten Städte hat seit 2005 die räumliche Ballung armer Menschen in bestimmten Stadtteilen zugenommen. In mehreren untersuchten Städten sind zwischen 35 und 40 Prozent aller SGB-II-Leistungsbezieher betroffen.
Beunruhigende Entwicklung besonders im Osten
Berlin landet auf einem wenig rosigen 17. Platz. Besonders in ostdeutschen Städten hat sich die Situation verschärft. Den höchsten jährlichen Anstieg sozialräumlicher Ungleichverteilung erlebten Rostock, Schwerin, Potsdam, Erfurt und Halle. Interessant: Dresden und Magdeburg liegen zwar auch im Osten, sind aber weit weniger stark betroffen. Eine mögliche Erklärung: Die beiden Städte erlebten starke Kriegszerstörungen und wurden quasi komplett neu aufgebaut und dabei städtebaulich anders entwickelt als beispielsweise Rostock oder Potsdam, wo heute sozialistische Plattenbauten am Stadtrand durchsanierten Innenstädten gegenüberstehen.
Erschreckend ist ein weiteres Studienergebnis: Ganz besonders stark von sozialer Segregation betroffen sind Familien mit Kindern. Auch hier liegen ostdeutsche Städte ganz vorne, dicht gefolgt von Berlin.
Was also tun, um den bei uns als Kreuzberger Mischung bekannten Bevölkerungsmix doch noch zu retten? Laut Studie können ausgerechnet private Grundschulen helfen, die soziale Spaltung zu stoppen – besonders in Gegenden, wo viele Kinder und viele arme Menschen leben. Denn: Finanziell bessergestellte Eltern ziehen seltener aus benachteiligten Quartieren weg, wenn es eine private Grundschule im Kiez gibt.
Die Höhe der Mieten verstärkt übrigens die soziale Segregation nicht. Ein weiterer Effekt, den man so erst einmal nicht erwartet: Die Armutssegregation steigt mit dem Anteil der Sozialwohnungen. Laut Autorenmeinung bedeutet dies aber keinesfalls, dass Sozialwohnungen soziale Segregation nicht wirkungsvoll eindämmen könnten. Sie ballten sich eben nur dort, wo die Ärmeren wohnen.
Katharina Buri
Was Nationalität und Alter ausmachen
Die Studie zeichnet ein dramatisches Bild, was die Wohnverteilung nach Einkommen angeht. Wie aber sieht es mit der Verteilung nach Herkunft und Alter aus? Auch das haben die Autoren untersucht: Die räumlich ungleiche Verteilung von Menschen mit Migrationshintergrund hat im untersuchten Zeitraum abgenommen. Berlin landet zwar nur auf dem siebten Platz. Das ist allerdings auch auf die historische Teilung der Stadt zurückzuführen: Menschen ohne deutschen Pass leben weitaus häufiger im Westteil der Stadt. Immerhin: Diese Ungleichverteilung nimmt stetig ab.
Keine guten Nachrichten dagegen für ein Tür an Tür von Jung und Alt: Bestimmte Altersgruppen, vor allem die 15- bis 29-Jährigen und die Über-65-Jährigen, ballen sich in bestimmten Stadtteilen. Zwar sind die Effekte nicht so stark wie die der sozialen Trennung, dafür ist aus Autorensicht aber nicht absehbar, dass der Trend sich in den nächsten Jahren abschwächt.
kb
bibliothek.wzb.eu/pdf/2018/p18-001.pdf
21.08.2018