Leitsätze:
Durch § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB hat der Gesetzgeber die gesetzliche Fiktion geschaffen, dass im Falle einer rechtzeitigen Schonfristzahlung oder Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle die zuvor durch eine wirksam erklärte fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB) bewirkte Beendigung des Mietverhältnisses rückwirkend als nicht eingetreten gilt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB entfallen damit nicht nur für die Zukunft die durch die fristlose Kündigung ausgelösten Räumungs- und Herausgabeansprüche, sondern das Mietverhältnis ist als ununterbrochen fortbestehend zu behandeln.
Ein Vermieter, der eine fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB) hilfsweise oder vorsorglich mit einer ordentlichen Kündigung (§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB) verknüpft, bringt bei der gebotenen Auslegung seiner Erklärungen zum Ausdruck, dass die ordentliche Kündigung in allen Fällen Wirkung entfalten soll, in denen die zunächst angestrebte sofortige Beendigung des Mietverhältnisses aufgrund einer – entweder schon bei Zugang des Kündigungsschreibens gegebenen oder nachträglich gemäß § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB (unverzügliche Aufrechnung durch den Mieter) oder gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (Schonfristzahlung oder behördliche Verpflichtung) rückwirkend eingetretenen – Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung fehlgeschlagen ist.
BGH vom 19.9.2018 – VIII ZR 231/17 –
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Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Mieter hatten die von ihnen geschuldete Miete in zwei aufeinander folgenden Monaten nicht entrichtet. Hierauf hatte der Vermieter die fristlose und zugleich hilfsweise die fristgerechte Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs erklärt. Die Mieter beglichen nach Zugang der Kündigung die aufgelaufenen Zahlungsrückstände.
In der Vorinstanz hatte die 66. Zivilkammer des Landgerichts Berlin (vom 13.10.2017 – 66 S 90/17) die Auffassung vertreten, eine hilfsweise ordentliche Kündigung könne von vornherein keine Wirkung entfalten, wenn die fristlose Kündigung zu Recht ausgesprochen wurde. Da die fristlose Kündigung das Mietverhältnis sofort beende und deren Wirkungen durch eine Schonfristzahlung erst später entfielen, fehle es beim Zugang der hilfsweisen ordentlichen Kündigung an einem Mietverhältnis. Mangels Mietverhältnis könne die ordentliche Kündigung keinerlei Wirkung entfalten. Die ordentliche Kündigung könne auch nicht „aufleben“, wenn die Schonfristzahlung zu einem Fortbestand des Mietverhältnisses führe.
Der BGH folgte der im Ergebnis mieterfreundlichen Ansicht des LG Berlin nicht.
Ein vom Mieter herbeigeführter Ausgleich der Rückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB lasse die durch eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a BGB) mit ihrem Zugang herbeigeführte sofortige Beendigung des Mietverhältnisses nachträglich rückwirkend entfallen. Die Regelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB beschränke sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht darauf, lediglich Ansprüche auf Räumung und Herausgabe der Mietsache nachträglich zum Erlöschen zu bringen. Vielmehr habe der Gesetzgeber gewährleisten wollen, dass die wirksam ausgeübte fristlose Kündigung unter den dort genannten Voraussetzungen trotz ihrer Gestaltungswirkung rückwirkend als unwirksam gelte und der Mietvertrag fortgesetzt werde. In einer solchen Situation komme eine gleichzeitig mit einer fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zur Geltung. Denn ein Vermieter, der neben einer fristlosen Kündigung hilfsweise oder vorsorglich eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen eines aufgelaufenen Zahlungsrückstands ausspreche, erklärt diese nicht nur für den Fall einer bereits bei Zugang des Kündigungsschreibens gegebenen Unwirksamkeit der vorrangig erfolgten fristlosen Kündigung. Vielmehr bringe er damit aus objektiver Mietersicht regelmäßig weiterhin zum Ausdruck, dass die ordentliche Kündigung auch dann zum Zuge kommen solle, wenn die zunächst wirksam erklärte fristlose Kündigung aufgrund eines gesetzlich vorgesehenen Umstands wie einer unverzüglichen Aufrechnung durch den Mieter (§ 543 Abs. 2 Satz 3 BGB), einer sogenannten Schonfristzahlung oder einer Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB) nachträglich unwirksam werde.
Eine Schonfristzahlung oder Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle habe also nicht zur Folge, dass eine mit der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs gleichzeitig hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung „ins Leere“ ginge. Indem das Berufungsgericht allein darauf abgestellt habe, dass eine in materieller und formeller Hinsicht wirksam erklärte fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs das Mietverhältnis (zunächst) auflöst, habe es die bei der Auslegung einer Kündigungserklärung zu beachtenden rechtlichen Zusammenhänge (insbesondere Wirkung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) außer Acht gelassen und einen einheitlichen natürlichen Lebenssachverhalt (Zahlungsverzug, Kündigung, nachträgliche Befriedigung des Vermieters), auf den sich die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung bei vernünftiger lebensnaher und objektiver Betrachtung stütze, künstlich in einzelne Bestandteile aufgespalten.
Fazit: Der Mieter, der innerhalb der gesetzlichen Schonfrist all seine Schulden bezahlt, verliert trotzdem die Wohnung. Mit seiner Zahlung ist zwar die fristlose Kündigung vom Tisch, die ordentliche Kündigung aber nicht. Hier bestehe offensichtlich eine Gesetzeslücke. Der Gesetzgeber muss handeln – wer seine Mietschulden bezahlt, muss wohnen bleiben dürfen.
19.11.2018