Armut hat viele Gesichter und unterschiedliche Ursachen. Das zeigt der dritte Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz (nak), einem Bündnis von Organisationen, Verbänden und Initiativen, die sich für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung engagieren. Er gibt einen Überblick über den armutspolitischen Handlungsbedarf und lässt von Armut Betroffene direkt zu Wort kommen.
Über die Definition von Armut wird seit Jahren gestritten. Susanne Gonswa, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz: „Armutsgefährdet ist nach den Standards der EU jeder Bürger, der über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens einer repräsentativen Stichprobe verfügt.“ Zum Einkommen gehören auch Sozialleistungen wie das Wohngeld. Indikatoren für Armut sind unter anderem überhöhte Mieten, Überschuldung, schlechte Ernährung und keine Möglichkeit, sich im Krisenfall kurzfristig Geld zu leihen.
In Deutschland nimmt die Erwerbsarmut dramatische Ausmaße an. Lag der Anteil der arbeitenden Armen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen 2014 noch bei 9,6 Prozent, betrug er zwei Jahre später bereits 16,5 Prozent – obwohl Wirtschaft und Arbeitsmarkt boomen. Heute leben in Deutschland rund 16 Prozent der Bevölkerung an der Grenze zur Armut. In Berlin sind es 21,4 Prozent. 1995 arbeiteten 18,7 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnbereich – heute sind es über 25 Prozent. Armut trifft besonders Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinder, Jugendliche und Rentner.
Die nak fordert unter anderem den Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr, davon mindestens 150.000 preiswerte Wohnungen und Sozialwohnungen, und die Festlegung realistisch angemessener Wohnkosten in der Grundsicherung, denn die werden viel zu knapp berechnet – betroffene Haushalte zahlen durchschnittlich 80 Euro monatlich hinzu, da sie keine Wohnung zu „angemessenen Kosten“ finden.
Der Bericht der nak hat den Titel „Armut stört“. Natürlich: Sie „stört“ die Betroffenen, beeinträchtigt beziehungsweise verhindert deren Teilhabe an der Gesellschaft. Sie sollte jedoch vor allem die Politiker stören. Armut geht alle an. Eine Überarbeitung der Methoden des Armuts- und Reichtumsberichts, wie sie die SPD-Vorsitzende Nahles vorschlägt, reicht da nicht.
Rainer Bratfisch
www.nationale-armutskonferenz.de/veroeffentlichungen/schattenbericht
20.11.2018