Leitsatz:
Bei der in einem Kaufvertrag des Vermieters über ein Hausgrundstück enthaltenen Vereinbarung, wonach der Mieter einer Wohnung des Hauses ein lebenslanges Wohnrecht haben und eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses durch den in den Mietvertrag eintretenden Erwerber ausgeschlossen sein soll, handelt es sich um einen (echten) Vertrag zugunsten Dritter (hier: des Mieters) gemäß § 328 BGB. Der Mieter erwirbt hierdurch unmittelbar das Recht, auf Lebenszeit von dem Käufer die Unterlassung einer ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses zu verlangen.
BGH vom 14.11.2018 – VIII ZR 109/18 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 16 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Stadt Bochum verkaufte 2012 ein Haus aus einer ehemaligen Bergbausiedlung, in dem sich zwei Wohnungen befanden. Eine der Wohnungen war seit 1981 vermietet. Bezüglich dieser Wohnung enthielt der Kaufvertrag folgende Vereinbarungen:
„Dem Käufer ist ferner bekannt, dass im Hause „H.“ eine Wohnung im Erdgeschoss an die Eheleute L. und M. D. vermietet ist (Vertragsbeginn 16.6.1981). Die Mieter haben ein lebenslanges Wohnrecht. Der Käufer übernimmt das bestehende Mietverhältnis. Er darf insbesondere keine Kündigung wegen Eigenbedarfs oder wegen der Behinderung einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung aussprechen. Möglich ist lediglich eine Kündigung wegen der erheblichen Verletzung der dem Mieter obliegenden vertraglichen Verpflichtungen. Im Rahmen einer Wohnungsmodernisierung notwendige Vertragskündigung mit gleichzeitiger Versorgung/Umsetzung der Mieter in eine gleichwertige Wohnung im Bestand zu vergleichbaren Konditionen ist zulässig.
Für den Fall, dass der Käufer ohne Zustimmung des Verkäufers oder ohne Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes das Mietverhältnis kündigt, ist der Verkäufer berechtigt, das Kaufgrundstück lasten- und schuldenfrei wiederzukaufen. […]
Der sich aus dem Wiederkaufsrecht ergebende Anspruch wird grundbuchlich durch eine Rückauflassungsvormerkung zugunsten des Verkäufers gesichert.
Des Weiteren wird das geschützte Mietverhältnis durch ein Vorkaufsrecht gemäß § 1094 Abs. 1 BGB zugunsten des Verkäufers gesichert. […]
Der Käufer verpflichtet sich weiter, […]
sämtliche vorstehenden Verpflichtungen seinen etwaigen Rechtsnachfolgern im Grundeigentum mit der Verpflichtung zur jeweiligen Weitergabe vertraglich aufzuerlegen.“
Der Erwerber zog in die andere Wohnung ein und kündigte im Februar 2015 das Mietverhältnis nach § 573 a Abs. 1 Satz 1 BGB, der eine erleichterte Kündigung des Vermieters vorsieht, wenn dieser in einem Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen selbst wohnt (sogenannte „Einliegerkündigung“).
Der BGH entschied, dass es sich bei den im Kaufvertrag enthaltenen Bestimmungen zum lebenslangen Wohnrecht der Mieter um einen echten Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) handelt, der dem Mieter der betreffenden Wohnung eigene Rechte gegenüber dem Käufer als neuem Vermieter einräumt und vorliegend die von dem Vermieter ausgesprochene Kündigung ausschließt.
Schon der Wortlaut der Regelung, in der von einem bestehenden lebenslangen Wohnrecht der Mieter und einer Übernahme dieses Mietverhältnisses durch den Käufer die Rede sei, bringe hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass den Mietern hiermit eine (eigene) gesicherte Rechtsposition auch gegenüber dem Käufer als neuem Vermieter eingeräumt werde. Ihren bisherigen Wohnraum sollten sie lediglich bei selbst zu vertretender (erheblicher) Verletzung ihrer Mieterpflichten verlieren können. Für diese naheliegende Auslegung der vertraglichen Regelungen spreche zusätzlich auch die hohe Schutzbedürftigkeit der langjährigen Mieter und die Verantwortung der Stadt Bochum als kommunaler Eigentümer und Veräußerer. Darüber hinaus unterstreiche das für den Fall einer unberechtigten Vermieterkündigung vereinbarte Wiederkaufsrecht der Stadt, dass diese mit den vertraglichen Regelungen erkennbar einen möglichst umfassenden Schutz der Mieter herbeiführen wollte. Vom vereinbarten Kündigungsausschluss mit umfasst sei dabei ohne Weiteres auch die vorliegend vom Vermieter ausgesprochene erleichterte Vermieterkündigung nach § 573 a BGB, die (ebenso wie die ausdrücklich genannten Kündigungen wegen Eigenbedarfs oder wirtschaftlicher Verwertung) ebenfalls eine Pflichtverletzung oder ein Verschulden auf Mieterseite nicht voraussetze.
Auf die Frage, ob die Regelung im Kaufvertrag eine allgemeine Geschäftsbedingung sei, komme es nicht an. Die vorliegend verwendeten kaufvertraglichen Bestimmungen, mit denen das Recht der Erwerber zur ordentlichen Kündigung für die Lebensdauer der aktuellen Mieter eingeschränkt werde, benachteilige den Käufer einer entsprechenden Immobilie nicht unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 und 2 BGB, sondern stelle vielmehr eine inhaltlich ausgewogene Regelung für den Verkauf eines im kommunalen Eigentum stehenden, von langjährigen Mietern bewohnten Siedlungshauses dar.
Die Entscheidung stärkt die Mieterposition. Sie hat vor allem Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Mieter können sich, wie hier, auf Kündigungsschutzregelungen berufen, die zwischen dem kommunalen Verkäufer und dem Käufer einer vermieteten Immobilie im Kaufvertrag vereinbart wurden (Mieterschutzregelungen in einer sogenannten „Sozialcharta“).
23.01.2019