Leitsätze:
Der Kondiktionsausschluss des § 814 Alt. 1 BGB greift nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erst ein, wenn der Leistende nicht nur die Tatumstände kennt, aus denen sich ergibt, dass er nicht verpflichtet ist, sondern auch weiß, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. Der Leistende muss also aus diesen Tatsachen nach der maßgeblichen Parallelwertung der Laiensphäre auch eine im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung gezogen haben.
War dem Mieter ein wesentlicher rechtlicher Aspekt nicht bewusst, nämlich der Umstand, dass eine Mietminderung kraft Gesetzes eintritt, wenn ein Mangel vorliegt, der die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache mindert oder aufhebt (§ 536 BGB) und der dem Vermieter angezeigt worden ist (§ 536 c Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB), fehlt die positive Kenntnis im Sinne von § 814 Alt. 1 BGB.
BGH vom 4.9.2018 – VIII ZR 100/18 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 10 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Vermieter verlangte Zahlung ausstehender Mieten für die Monate November 2015, Januar 2016 und März 2016 in Höhe von insgesamt 2460 Euro nebst Zinsen.
Im März 2013 hatten die Mieter dem Vermieter einen regelmäßig wiederkehrenden fauligen Geruch in der Wohnung angezeigt. Der Mangel wurde erst im Dezember 2015 behoben. Im Oktober/November 2015 sprach der Mieter in mehreren E-Mails die Frage einer Mietminderung an. In seiner E-Mail vom 15.10.2015 findet sich folgender Passus: „Wegen obiger Mängel möchte ich ebenso anfragen, ob es für Sie in Ordnung ist, wenn wir eine Mietminderung von 15 % ab dem Termin der Meldung der Geruchsbelästigung vereinbaren können. Das würde dann meinen Rückstand entsprechend mindern.“
In einer weiteren an die Hausverwaltung gerichteten E-Mail vom 5.11.2015 teilte der Mieter dieser auf deren Antwort vom 23.10.2015, wonach einer Mietminderung nicht zugestimmt werden könne, da „wir stets darum bemüht sind, zeitnah entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung der Mängel zu treffen und diese insbesondere in Bezug auf das Geruchsproblem bereits durchgeführt worden sind“, unter anderem Folgendes mit: „Leider ist die Beseitigung der Mängel seit 2013 fruchtlos. Ich tendiere also dazu, eine Mietminderung zu fordern. Bisher wurde mir keine Angabe gemacht, wie aufwändig die Beseitigung der Mängel nun sein wird. Da ich kein Bauleiter beziehungsweise Architekt bin, sollten Sie mir hier vielleicht entgegenkommen und einen Vorschlag beziehungsweise eine Planung vorbereiten. […]
P.S. Die restlichen Mietrückstände wurden heute alle ausgeglichen.“
Am selben Tag glich der Mieter, der in der Zwischenzeit die Miete zunächst unregelmäßig entrichtet hatte, die bis dahin aufgelaufenen Mietrückstände vollständig aus. Gegen die mit der Klage geltend gemachten Mietforderungen hat der Mieter mit Ansprüchen wegen Minderung der Wohnungsmiete um monatlich 15 % seit Januar 2011 in Höhe von insgesamt 7380 Euro aufgerechnet.
Der Rechtsstreit landete schließlich beim BGH. Es ging hier um die Rechtsfrage, ob der Mieter mit Minderungsbeträgen aufrechnen durfte, obwohl er ohne Vorbehalt die vollständige Miete seinerzeit gezahlt hatte. Mit anderen Worten: Es ging darum, ob hier § 814 BGB den Rückforderungsanspruch (sogenannte Kondiktion) ausschloss.
Vorliegend sei – so der BGH – aus den Umständen zu schließen, dass der Mieter keine Kenntnis davon hatte, dass er die Bruttomiete für die in Rede stehenden Monate nicht in voller Höhe schuldete. Zwar stehe einem Kondiktionsausschluss nach § 814 Alt. 1 BGB noch nicht entgegen, dass sich der Mieter nur zu einer ungefähren Bestimmung einer Minderungsquote in der Lage sehe.
Hier sei dem Mieter jedoch ein wesentlicher rechtlicher Aspekt nicht bewusst gewesen, nämlich der Umstand, dass eine Mietminderung kraft Gesetzes eintritt, wenn ein Mangel vorliegt, der die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache mindert oder aufhebt (§ 536 BGB) und der dem Vermieter angezeigt worden ist (§ 536 c Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB). Beiden E-Mails des Mieters liege die fehlerhafte Vorstellung zugrunde, eine Minderung könne nur dann vorgenommen werden, wenn der Vermieter sein Einverständnis hierzu erkläre. Der Mieter habe damit hinsichtlich der Minderung der Bruttomiete in den Monaten Januar 2015 bis Oktober 2015 und Dezember 2015 nicht die für eine positive Kenntnis im Sinne von § 814 Alt. 1 BGB erforderlichen zutreffenden rechtlichen Schlüsse gezogen.
Fazit: Wer vorbehaltlos den vollen Mietzins trotz eines angezeigten Mangels weiterhin zahlt, verliert in der Regel den Anspruch auf Rückzahlung des geminderten Betrages. Die Entscheidung des BGH betraf einen von der Regel abweichenden Ausnahmefall, weil hier eine umfassende Kenntnis des Mieters von sämtlichen Elementen des Minderungsrechts verneint und deshalb ein Bereicherungsanspruch angenommen werden konnte.
18.03.2019