Pressemitteilung Nr. 29/2019
ACHTUNG:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt – mit rechtlichen Folgen für Mieterinnen und Mieter.Was Mieterinnen und Mieter jetzt wissen müssen
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Die hier folgenden Hinweise zur Nutzung des Mietendeckels sind damit überwiegend hinfällig.
A. Anlass für einen Landesmietendeckel
Es gibt aus Sicht des Berliner Mietervereins mehrere Gründe für eine öffentlich‐rechtliche Regulierung von Mietpreisen auf Landesebene:
- Die Mietpreisentwicklung hat seit mehreren Jahren durch einen massiven Anstieg der Mieten bei Wiedervermietung aber auch in bestehenden Mietverhältnissen zu einer besorgniserregenden Wohnkostenbelastung geführt. Eine Kompensation durch Einkommenssteigerungen erfolgte nicht.
- Die wachsende Zahl an bezugsfertig gewordenen Neubauwohnungen hat bislang keinen Einfluss auf die Preisentwicklung entfaltet. Haushalte mit unterdurchschnittlichem Einkommen können vom Neubau fast gar nicht profitieren. Eine Entspannung auf den Immobilienmarkt ist nicht in Sicht, wie der aktuelle Immobilienmarktbericht des Gutachterausschusses des Landes Berlin erneut bestätigt. Die Ursache liegt auch in einer weiter steigenden Zahl von Haushalten.
- Die Struktur der Anbieter von Wohnraum hat sich geändert. Finanzmarkt getriebene und börsennotierte Unternehmen agieren zunehmend und beeinflussen das Preisniveau. Der gemeinwohlorientierte Sektor verharrt bei unter 30 %, Sozialbindungen laufen aus und können kaum kompensiert werden.
- Es ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung weder effektive Instrumente zur Unterstützung preiswerten Wohnungsneubaus noch wirksame Schutzregelungen für Mieter im Mietpreisrecht oder sonstigem Mietrecht schafft.
Es gibt zudem grundsätzliche Defizite des zivilrechtlichen Mieterschutzes, insbesondere im System der ortsüblichen Vergleichsmiete und bei Mieterhöhung nach Modernisierung. Viele Mieter verzichten auf die Umsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche, weil dies kosten‐ und zeitintensiv ist und Erfolge keineswegs sicher sind. Die meisten Mieter sind nicht rechtsschutzversichert. Eine öffentlich-rechtliche Gesetzgebung mit klaren Mietwerten, die nicht mehr verhandelt werden können, stärkt die Möglichkeit der Mieter zur rechtlichen Auseinandersetzung und wird die Vermieter stärker zur Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen bewegen.
Die ortsübliche Vergleichsmiete als unbestimmter Rechtsbegriff erzeugt regelmäßig Streitigkeiten, die Mieterhöhung mit prozentualen Investitionskosten für Modernisierung ist systemwidrig, ungerecht und preistreibend.
Öffentlich‐rechtliche Mietpreisregeln haben den Vorzug, dass sie den privatrechtlichen Vereinbarungen vorgehen. Eine zivilrechtliche Vereinbarung über eine Miethöhe ist insoweit unwirksam, als sie die öffentlich‐rechtlich festgelegte Miethöhe für diese Wohnung überschreitet.
B. Eine öffentlich‐rechtliche Preisregelung durch den Berliner Senat ist zulässig
Ein öffentlich‐rechtliches Mietpreisrecht trifft Regelungen zum Wohnungsmarkt als solchen. Privatrechtliche Vereinbarungen bleiben dabei unberücksichtigt. Der Mietendeckel ist gerade nicht das im BGB geregelte (soziale) Mietrecht. Die öffentlich‐rechtliche Mietpreisregelung setzt Höchstmietpreise bezogen auf einen ganzen Wohnungsmarkt fest, auf dem das Äquivalenzverhältnis zwischen Mieter und Vermieter gestört und eine ausreichende Versorgung mit Wohnraum nicht sichergestellt ist. Das Mietpreisrecht war im Übrigen zu Beginn ganz überwiegend öffentlich‐rechtlicher Natur. Erst um die Jahrtausendwende und weit nach Inkrafttreten des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber angefangen, das Mietpreisrecht im BGB zu verankern.
Die verfassungsrechtliche Kompetenzfrage wird sicher aufgeworfen. Aber Artikel 70 GG regelt grundsätzlich die Zuständigkeit der Länder, insoweit das Grundgesetz dem Bund nicht Zuständigkeiten zuweist. Unstrittig ist die Gesetzgebungskompetenz für das Wohnungswesen im Jahre 2006 mit der Föderalismusreform auf die Bundesländer übergegangen, da das Wohnungswesen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG gestrichen wurde. Es ist nicht zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht Anstoß daran nimmt, dass die öffentlich‐rechtlichen Regelungen sich auf die Miethöhe auswirken, denn dies geschieht bereits heute mit anderen öffentlich‐rechtlichen Bestimmungen wie zum Beispiel mit dem Zweckentfremdungsrecht oder dem besonderen Städtebaurecht.
Fazit: Dem Land steht daher die Gesetzgebungskompetenz für einen öffentlich‐rechtlichen Mietendeckel zu (siehe auch Mayer/Artz, Öffentlich‐rechtliche und privatrechtliche Aspekte eines Mietendeckels für das Land Berlin , Bielefeld 2019, im Auftrag der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses; Putzer, NVwZ 2019, S. 283; Weber, Mehrdimensionalität im Wohnungsrecht, ZMR 2019, S.389).
C. Aufbau und Wirkungsweise eines öffentlich-rechtlichen Landesmietendeckels
Das Konzept des Berliner Mietervereins sieht eine Höchstwerttabelle für Nettokaltmieten vor. Diese Tabelle (siehe Berliner Mietendeckel als Höchstwertabelle) differenziert nach Baualter und zwei Größenklassen. Auf eine Wohnlagedifferenzierung wurde wegen des segregationsfördernden Effekts verzichtet. Die Herleitung für eine angemessene Miete erfolgt aus der Wohnungsmarksituation 2010. In diesem Jahr lag laut Investitionsbank Berlin die für einen einigermaßen funktionierenden Wohnungsmarkt erforderliche Leerstandsreserve um die 3 %, mit leichten Abweichungen nach unten und oben im Hinblick auf die unterschiedlichen Wohnungsbestände. Die einzige Quelle für die damals im freifinanzierten Wohnungsbau gezahlten Mieten stellt der Berliner Mietspiegel 2011 dar. Als Basis wurden die Mittelwerte dieses Mietspiegels gewählt. Zusammenführungen der Wohnlage, von Baualters‐ und Größenklassen wurde jeweils mittels des Anteils an der Grundgesamtheit vorgenommen.
Für den Mietendeckel 2019/2020 wurden die Ausgangswerte aus dem Mietspiegel 2011 um die Erhöhung der Lebenshaltungskosten angepasst, in diesem Fall um 12,2 %. Denkbar sind auch andere Anpassungen zum Beispiel mittels Einkommenssteigerungen abzüglich Lebenshaltungskostenanstieg etc.
Für gravierende Minderausstattungen sind Abschläge vorgesehen, ansonsten wird bewusst auf eine weitere Differenzierung nach Ausstattung und Wohnwert verzichtet, weil dieser Einfluss gerade im Hinblick auf den angespannten Markt nicht preislich ermittelbar ist.
Nur für den Fall von Modernisierungen/energetischer Erneuerung erhöhen sich die in der Höchstwerttabelle 1 des beiliegenden Konzeptes dargelegten Mieten um die Pauschalwerte aus der Tabelle 2. Die Tabellenwerte könne jährlich angepasst werden, zum Beispiel um den Anstieg der Lebenshaltungskosten oder anderer Indikatoren.
Die Pauschalwerte für Modernisierung entstammen einer Untersuchung von Modernisierungsfällen, die der Berliner Mieterverein im Jahre 2017 vorgestellt hat. Basis sind Daten aus 2015, erhöht um den Baupreisindexanstieg. Als Verzinsung wurden 5 % zugrunde gelegt.
Als umlagefähige Baukosten wurden die Vollkosten um 30 % für notwendigen Instandsetzungsbedarf und weitere 20 % für Eigenleistung/Wertsteigerung des Eigentümers verringert. Die durchschnittliche Einsparung an Heizenergie nach energetischer Modernisierung/Heizanlagenaustausch liegt derzeit bei einem Energiepreis von 0,09 €/kWh zwischen 0,30 und 0,60 Euro pro Quadratmeter monatlich je nach Umfang der Maßnahmen. Auch bei den oben genannten Ansätzen für Miete trägt der Mieter daher einen nicht unwesentlichen Teil der Kosten für die Maßnahmen.
Die Berliner Tabellenmiete bedeutet, dass in den Fällen, in denen die aktuelle Miete über den Höchstwerten liegt, eine Mieterhöhung solange ausgeschlossen bleibt, bis diese Miete wieder aufgrund der jährlichen Anpassung unter den Höchstwerten der fortgeschriebenen Tabelle liegt. Befindet sich die tatsächlich gezahlte Miete unterhalb der Höchstwerte, besteht ein Anpassungsspielraum für Mieterhöhungen, der auf 1,5 % jährlich begrenzt wird.
Die Höchstwerte gelten auch bei Wiedervermietung. Für Modernisierungen zwischen zwei Mietverhältnissen gelten die Zuschläge aus Tabelle 2 (siehe Berliner Mietendeckel als Höchstwertabelle).
Wurde eine Wohnung in den letzten 8 Jahren modernisiert oder wird sie zukünftig modernisiert, dann werden den Höchstwerten aus Tabelle 1 (siehe Berliner Mietendeckel als Höchstwertabelle) die entsprechenden Beträge aus Tabelle 2 zugeschlagen.
Für Mietsenkungen auf Antrag eines Mieters und die Härtefallregelung für Vermieter bedarf es noch präzisierender Ausgestaltungen.
28.01.2021