ACHTUNG:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt – mit rechtlichen Folgen für Mieterinnen und Mieter.Was Mieterinnen und Mieter jetzt wissen müssen
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Die hier folgenden Hinweise zur Nutzung des Mietendeckels sind damit überwiegend hinfällig.
Folgende Fragen behandelt dieser Artikel:
Die fünfjährige Mietenbegrenzung in Berlin ist juristisches Neuland
Als erstes Bundesland führt Berlin eine allgemeine Mietpreisbegrenzung ein. Der Senat reagiert damit auf die völlig unzureichenden Mietrechtsänderungen der Bundesregierung, die den Mietern keinen Schutz vor den seit Jahren rasant steigenden Mieten bieten. Berlin nutzt erstmals die Zuständigkeit für das Wohnungswesen, die der Bund mit der Grundgesetzänderung von 2006 an die Länder abgegeben hat. Weil man mit diesem Schritt rechtliches Neuland betritt, wird der Mietendeckel von Vermieterseite hart attackiert. Die juristischen Auseinandersetzungen werden auch außerhalb Berlins interessiert verfolgt – schließlich könnte das Berliner Gesetz ein Vorbild für Mietenregulierungen in anderen Bundesländern sein.
Wenn das „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin“ – so der offizielle Name – wie erwartet im Dezember oder Januar vom Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet wird, kann der Mietendeckel in den ersten Monaten des Jahres 2020 in Kraft treten. Es ist aber nicht ganz ausgeschlossen, dass das Abgeordnetenhaus den kürzlich vom Senat beschlossenen Gesetzentwurf noch leicht abändert.
ACHTUNG:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt – mit rechtlichen Folgen für Mieterinnen und Mieter.Was Mieterinnen und Mieter jetzt wissen müssen
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Die hier folgenden Hinweise zur Nutzung des Mietendeckels sind damit überwiegend hinfällig.
In rund 1,5 Millionen Berliner Mietwohnungen werden die Mieten weitgehend eingefroren, Modernisierungsmietsteigerungen stark eingeschränkt und überhöhte Mieten abgesenkt. „In den nächsten fünf Jahren muss kein Mieter mehr fürchten, wegen exorbitanter Mietsteigerungen oder hoher Modernisierungsumlagen das Dach über dem Kopf zu verlieren“, verspricht Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke).
Der Mietendeckel ist ein Teil der vom Senat formulierten Strategie „Bauen, kaufen, deckeln“. Gleichzeitig wird der Wohnungsneubau angekurbelt und der Ankauf von Wohnungen durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften weiterverfolgt. Dies bringe allerdings erst nach und nach eine spürbare Entspannung des Wohnungsmarktes. Deshalb solle der Mietendeckel als Sofortmaßnahme den Mietern eine „Atempause“ bescheren. Sollte nach fünf Jahren immer noch hoher Druck auf dem Wohnungsmarkt herrschen, könne der Mietendeckel auch verlängert werden.
Mit dem Mietendeckel betritt der Senat juristisches Neuland. Die Idee, dass Berlin als Bundesland eine öffentlich-rechtliche Mietenbegrenzung einführen kann, ist gerade mal ein Jahr alt. Peter Weber, Jurist im Pankower Wohnungsamt, hatte im November 2018 in der „JuristenZeitung“ dargelegt, dass mit der Grundgesetzänderung von 2006 der Bund die Zuständigkeit für das Wohnungswesen an die Länder abgegeben hat und somit Berlin eine eigene Mietpreisbeschränkung aufstellen könnte. „Mein Anlass war wissenschaftliche Neugierde“, sagte Peter Weber im Juni im Forum Mietenpolitik des Berliner Mietervereins. Auf die eigentlich naheliegende Idee ist vorher noch niemand gekommen. „Ich war sehr überrascht über den Aufschlag, das Landesrecht hier zu nutzen“, bekannte Dr. Rainer Tietzsch, Vorsitzender des Berliner Mietervereins (BMV) und selbst ein mit der Materie sehr vertrauter Rechtsanwalt.
Breite Beachtung fand der Fachartikel erst, als ihn eine Gruppe um die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl aufgriff und im Januar 2019 vom Senat forderte, einen solchen Mietendeckel noch in dieser Legislaturperiode zu beschließen. Nach anfänglicher Skepsis einigten sich SPD, Linke und Grüne, eine Mietpreisbeschränkung einzuführen. Am 18. Juni 2019 beschloss der Berliner Senat ein von Senatorin Lompscher vorgelegtes Eckpunktepapier für einen „atmenden Mietendeckel“, der einerseits Mietobergrenzen setzt und andererseits bei den bestehenden Mieten nur Steigerungen in Höhe der Inflationsrate zulässt. Nach hitzigen Diskussionen wurde daraus der Gesetzentwurf, den der Senat am 22. Oktober beschlossen hat und der Anfang nächsten Jahres in Kraft treten soll. 14 Monate von der ersten Idee bis zum Gesetz sind für eine so schwierige und neuartige Regelung „atemberaubend schnell“, so der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD).
Der BMV begrüßt die Mietendeckel-Einigung als „wichtigen Schritt für eine soziale Mietenpolitik“. Der Gesetzentwurf ähnelt stark dem Modell, das der Mieterverein im Juli vorgeschlagen hat. Für falsch hält der BMV die unterschiedliche Behandlung der Wohnlagen bei der Absenkung von überhöhte Mieten, denn hier hätte man der Spaltung der Stadt in arme und reiche Viertel entgegenwirken können. Im Ganzen sei die Regelung aber ein „akzeptabler Kompromiss“.
Wohnungswirtschaft leistet Widerstand
Der BMV warnt aber auch vor Enttäuschungen. Das neue Gesetz werde Geduld erfordern und viel Streit hervorrufen. Die Wohnungswirtschaft leistet mit beispiellosen Kampagnen und teilweise befremdlichen Argumenten hartnäckigen Widerstand gegen den Mietendeckel. Nach den Erfahrungen mit der Mietpreisbremse ist zu erwarten, dass viele Vermieter auch den Mietendeckel zunächst einmal missachten werden und es auf Gerichtsverfahren ankommen lassen. Zudem wollen nicht nur die Berliner Oppositionsparteien gegen den Mietendeckel klagen, auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat schon vorab eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Zur Durchsetzung des Mietendeckels dürfte also ein langer Atem nötig sein.
Jens Sethmann
Und so werden die Mieten begrenzt
Der Mietendeckel gilt für über 90 Prozent aller vermieteten Wohnungen. Auch möbliert vermietete Wohnungen sind vom Mietendeckel erfasst. Vereinbarte Zuschläge für Möbel oder Ausstattungen sind Bestandteil der zu deckelnden Nettokaltmiete.
Ausgenommen vom Mietendeckel sind nur Sozialwohnungen, für die es eigene Miethöheregelungen gibt, Wohnungen, die mit öffentlichen Mitteln modernisiert wurden, Trägerwohnungen der Wohlfahrtspflege und Wohnheime sowie Neubauten, die ab 2014 bezugsfertig wurden.
Und das sollten Sie wissen über:
Mietenstopp
Mietobergrenzen
Als Berechnungsgrundlage für die Kappung der Miethöhe bei Wiedervermietung und der Senkungsanträge werden Mietobergrenzen eingeführt, sie sind nach Baualter und Ausstattung gestaffelt (siehe Tabelle unten). Die Preise errechnen sich aus dem Berliner Mietspiegel 2013. Die damaligen Werte sind um die seither eingetretene Reallohnentwicklung erhöht worden. Auf diese Weise werden die außerordentlichen Mietsteigerungen der letzten Jahre herausgerechnet. Das Ausnutzen der Wohnungsnot durch die Vermieter soll nicht noch damit belohnt werden, dass die spekulativen Mieten Grundlage für den Mietendeckel werden. Der Berliner Mieterverein hätte allerdings lieber den Mietspiegel von 2011 als Basis gesehen, denn das Jahr 2010 war das letzte Jahr, in dem man angesichts der Leerstandszahlen noch von einem halbwegs ausgeglichenen Wohnungsmarkt sprechen konnte.
Von der strikten Mietobergrenze gibt es zwei Ausnahmen: In Ein- und Zweifamilienhäusern werden die Tabellenwerte um zehn Prozent erhöht. Und in besonders gut ausgestatteten Wohnungen gilt ein Zuschlag von 1 Euro (siehe: Zulässige Zuschläge im Kasten unten).
Tabelle: Mietobergrenzen bei Neuverträgen,
Kappung überhöhter Mieten bei Bestandsmieten
Liegt der Wohnraum in Gebäuden mit nicht mehr als zwei Wohnungen, erhöht sich die Mietobergrenze um einen Zuschlag von zehn Prozent.
Für Wohnraum mit moderner Ausstattung erhöht sich die Mietobergrenze um 1 Euro. Eine moderne Ausstattung liegt vor, wenn der Wohnraum wenigstens drei der folgenden fünf Merkmale aufweist:
1. schwellenlos von der Wohnung und vom Hauseingang erreichbarer Personenaufzug
2. Einbauküche
3. hochwertige Sanitärausstattung
4. hochwertiger Bodenbelag in der überwiegenden Zahl der Wohnräume
5. Energieverbrauchskennwert von weniger als 120 kWh/(m²a)
Keine Neuvermietungszuschläge
Maßvolle Modernisierungen
Härtefälle für Vermieter, Zuschüsse für Mieter
In wirtschaftlichen Härtefällen können Vermieter eine Überschreitung der Mietobergrenzen bei der Investitionsbank Berlin (IBB) beantragen. Sie müssen dann aber nachweisen, dass sie mit dem Mietendeckel Verluste machen oder die Substanz des Hauses gefährdet ist.
Wenn in einem solchen Fall eine Überschreitung des Mietlimits genehmigt wird, bekommen die betroffenen Mieter einen Mietzuschuss, der die Differenz zur Obergrenze ausgleicht, allerdings nur, wenn ihr Einkommen so niedrig ist, dass sie einen Wohnberechtigungsschein (WBS) bekommen, und nur für den Anteil der Wohnfläche, der nach den WBS-Regularien als angemessen gilt, wenn die Wohnung tatsächlich größer sein sollte.
Absenkung von überhöhten Mieten
Neun Monate nach Inkrafttreten des Mietendeckelgesetzes können überhöhte Mieten in bestehenden Mietverträgen abgesenkt werden. Die ursprünglich geplante Regelung, nach der Mieter ihre Miete senken können, wenn sie mehr als 30 Prozent ihres Haushaltseinkommens für die Miete ausgeben müssen, wurde gekippt. Die SPD war von der Rechtmäßigkeit nicht überzeugt. Außerdem fürchtete sie eine Überforderung der Verwaltung.
Die Absenkungsmöglichkeit wird erst nach neun Monaten möglich, um bis dahin die notwendigen Verwaltungsstrukturen aufzubauen. Deshalb tritt die Absenkungsmöglichkeit nun erst neun Monate nach dem Gesetz in Kraft.
Wenn eine Bestandsmiete mehr als 20 Prozent über der zulässigen Obergrenze liegt, kann der Mieter beantragen, die Miete auf dieser Höhe zu kappen. In diesem Fall gelten aber Mietobergrenzen, die sich nach Wohnlage unterscheiden: In der einfachen Wohnlage werden vom Tabellenwert 0,28 Euro pro Quadratmeter abgezogen, in der mittleren Wohnlage beträgt der Abzug 0,09 Euro und in der guten Wohnlage werden 0,74 Euro aufgeschlagen. Die Einteilung der Wohnlagen wird vom Senat durch Rechtsverordnung noch festgelegt.
Mietsenkungsanträge können erst neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt werden.
Inflationsausgleich
Ab 2022 werden Mieterhöhungen in Höhe der Inflationsrate möglich sein, höchstens aber um 1,3 Prozent im Jahr. Dies ist ein Entgegenkommen für sozial verantwortliche Vermieter, die bisher nur moderate Mieten verlangt haben. Wenn die Miete aber schon den festgelegten Höchstwert erreicht hat, ist keine Mieterhöhung zulässig.
Vermieter müssen zwei Monate nach Inkrafttreten des Mietendeckels und vor Abschluss eines neuen Mietvertrages den Mietern unaufgefordert alle relevanten Informationen mitteilen, also vor allem das Baujahr, den Energiekennwert und die Wohnlage. Verstöße gegen den Mietendeckel werden als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern bis zu 500.000 Euro geahndet.
Mit der Umsetzung des Mietendeckels werden die Bezirksämter betraut. Modernisierungsanzeigen und Härtefallanträge von Vermietern nimmt die IBB entgegen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen wird die Anträge auf Kappung überhöhter Mieten bearbeiten. In der Senatsverwaltung werden deshalb 200 neue Mitarbeiter eingestellt, in den Bezirksämtern weitere 50.
www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnraum/mietendeckel/
Die Mieter können leichter zu ihrem Recht kommen
„Dies ist eine historisch einmalige Chance für ein besseres Mietensystem, das die Defizite der ortsüblichen Vergleichsmiete vermeidet und Mietern am Ende auch leichter zu ihrem Recht verhelfen wird“, lobt Reiner Wild den Mietendeckel. Wie das geht, erläutert er im Interview mit MieterMagazin-Autor Jens Sethmann.
MieterMagazin: Was sollten Mieter tun, wenn trotz des Mietendeckels eine Mieterhöhung im Briefkasten liegt?
Wild: Da muss man unterscheiden.
Bei Mieterhöhungen, die zwischen dem 18. Juni und dem Inkrafttreten des Mietendeckels geltend gemacht werden, muss man nach bisheriger Rechtslage vorgehen. Soweit nach dieser die Mieterhöhung gerechtfertigt ist, erklärt man seine Zustimmung und zahlt die Miete ohne Vorbehalt. Nach Inkrafttreten des Mietendeckels kann dann geprüft werden, ob Rückforderungsansprüche bestehen. Das ist noch fraglich.
Bei Mieterhöhungen nach Inkrafttreten des Mietendeckels ist es eindeutig: Man stimmt dem Mieterhöhungsverlangen mit Hinweis auf den Mietendeckel nicht zu. Wenn der Vermieter die Erhöhung durchsetzen will, muss er den Mieter verklagen. Damit wird er aber scheitern.
MieterMagazin: Wie kann man Rückforderungen für ungerechtfertigte Mieterhöhungen geltend machen?
Wild: Man muss unterscheiden. Für Mieten, die schon vor dem 18. Juni 2019 die Mietwerte aus der Mietendeckeltabelle unter Berücksichtigung der Lage und Standardpauschalen um mehr als 20 Prozent überstiegen, soll neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes ein Senkungsanspruch auf Antrag des Mieters bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen bestehen. Für welchen Zeitraum Mieten, die ab 18. Juni erhöht wurden, zurückgefordert werden können, muss sich noch klären, insbesondere auch, wie das Bezirksamt dabei helfen kann.
MieterMagazin: Wie sollte man sich verhalten, wenn bei einer Neuanmietung der Vermieter die Vormiete nicht nennt?
Wild: Man hat einen Auskunftsanspruch. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann sich an das Bezirksamt wenden. Das muss dann beim Vermieter die Auskunft über die Vormiete einfordern. Oder man geht den gerichtlichen Weg und klagt die Auskunft vom Vermieter ein. Man kann also ähnlich wie bei der Mietpreisbremse den Mietvertrag auch ohne Kenntnis der Vormiete unterschreiben und die Rechtmäßigkeit anschließend überprüfen.
MieterMagazin: Was tun, wenn Vermieter, wie vereinzelt angedroht, Wohnungen leerstehen lassen, statt sie unter den Mietendeckel-Bedingungen zu vermieten?
Wild: Es wäre ja wirtschaftlicher Unsinn, wenn jemand statt gedeckelter Mieten lieber gar keine Einnahmen haben will. Wenn jemand das aus Trotz macht, droht ihm ein Bußgeld, denn Leerstand über mehr als drei Monate ist ein Verstoß gegen das Zweckentfremdungsverbot.
MieterMagazin: Was passiert, wenn die Gerichte den Mietendeckel kippen sollten?
Wild: Dann gilt der Berliner Mietspiegel 2019 weiter wie bisher. Mieterhöhungen sind dann wie gehabt bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete möglich und dürfen höchstens 15 Prozent in drei Jahren betragen.
MieterMagazin: Wenn der Mietendeckel nach fünf Jahren oder später ausläuft, wird der Mietspiegel 2019 schon mehrere Jahre alt sein. Stehen wir dann ohne Regulierung von Mieterhöhungen da?
Wild: Nein. Der Mietspiegel 2019 kann auch dann noch als einfacher Mietspiegel fortgelten. Da werden dann Stichtagszuschläge hinzugerechnet. Das ist kein Problem.
Interview: Jens Sethmann
28.09.2022