Leitsätze:
a) Ein Mietvertrag, den eine Gemeinde abgeschlossen hat, um in dem Mietobjekt ihr zugewiesene Flüchtlinge unterbringen zu können, ist unbeschadet seiner Bezeichnung kein Wohnraummietvertrag im Sinne von § 549 Abs. 1 BGB.
b) Eine in diesem Vertrag enthaltene formularmäßige Klausel, mit der für beide Mietvertragsparteien das Recht zur ordentlichen Kündigung für die Dauer von 60 Monaten ausgeschlossen wird, ist nicht wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters unwirksam.
BGH vom 23.10.2019 – XII ZR 125/18 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 19 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Eine Gemeinde hatte zur Flüchtlingsunterbringung ein Wohnhaus angemietet. In dem als „Mietvertrag über Wohnräume“ überschriebenen Formularvertrag war das Recht beider Mietvertragsparteien zur ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses für die Dauer von 60 Monaten ab Abschluss des Vertrages ausgeschlossen.
Als sich abzeichnete, dass der Gemeinde keine Flüchtlinge mehr zugewiesen wurden und das Haus nicht mehr belegt werden konnte, kündigte die Gemeinde das Mietverhältnis schon nach einem Jahr. Der Vermieter verklagte daraufhin die Gemeinde auf weitere Zahlung der vereinbarten Miete, weil nach seiner Ansicht das Mietverhältnis noch weiter bestehe. Für die Entscheidung des BGH war maßgeblich, ob der vereinbarte Kündigungsausschluss wirksam war oder nicht.
Der BGH gab dem Vermieter Recht. Das Mietverhältnis sei durch die Kündigung der Gemeinde nicht beendet worden, weshalb dem klagenden Vermieter der Anspruch auf Mietzahlung in der von ihm geltend gemachten Höhe zustehe.
Denn der von den Mietvertragsparteien im Mietvertrag vereinbarte Kündigungsausschluss sei wirksam. Dabei könne dahinstehen, ob diese Regelung zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt worden sei oder ob es sich um eine formularmäßige Vertragsklausel handele.
Zwar habe der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass ein formularvertraglich vereinbarter Kündigungsausschluss, der die Dauer von vier Jahren übersteige, den Mieter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige und daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sei. Diese Entscheidungen bezögen sich jedoch auf den Bereich der Wohnungsmiete.
Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch auf den vorliegenden Fall nicht übertragen, weil hier ein Wohnraummietverhältnis nicht vorliege.
Das hier zur Beurteilung stehende Vertragsformular sei zwar als „Mietvertrag über Wohnräume“ überschrieben. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Mietverhältnis über Wohnraum vorliege, sei jedoch auf den Zweck abzustellen, den der Mieter mit der Anmietung des Mietobjekts vertragsgemäß verfolge.
Die Gemeinde habe die Immobilie angemietet, um dort den Wohnbedarf der ihr zugewiesenen Flüchtlinge decken zu können. Der Zweck der Anmietung sei deshalb nicht darauf gerichtet gewesen, selbst die Räume zu Wohnzwecken zu nutzen, zumal eine juristische Person keinen eigenen Wohnbedarf haben könne. Der vertragsgemäße Gebrauch der Gemeinde bezog sich vielmehr darauf, die angemieteten Räumlichkeiten zugewiesenen Flüchtlingen zu Wohnzwecken überlassen zu dürfen.
Zudem sei im vorliegenden Fall die Annahme eines Wohnraummietverhältnisses auch nicht im Hinblick auf die Anwendbarkeit der für den Wohnraummieter geltenden Schutzvorschriften geboten. § 578 Abs. 3 BGB sei der Grundsatz zu entnehmen, dass Mietverhältnisse über Wohnraum, der von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem Träger der Wohlfahrtspflege angemietet wurde, um ihn Personen mit dringendem Wohnbedarf zu überlassen, im Verhältnis zwischen Vermieter und Hauptmieter nicht als Wohnraummietverhältnisse anzusehen seien. Denn wäre in diesen Fällen der Hauptmietvertrag bereits als Wohnraummietverhältnis zu qualifizieren, kämen die in der Norm aufgeführten Mieterschutzvorschriften unmittelbar zur Anwendung und bedürfte es der Regelungen in 578 Abs. 3 BGB nicht.
Durch den vereinbarten Kündigungsausschluss auf die Dauer von fünf Jahren werde die Gemeinde nicht unangemessen benachteiligt. Anders als beim Mieter von Wohnraum bestehe bei der Stadt kein Mobilitätsinteresse, das eine Beschränkung der Dauer des Kündigungsausschlusses auf vier Jahre rechtfertigen könnte. Die Gemeinde als Träger der öffentlichen Verwaltung konnte vielmehr im Rahmen der Planung der ihr obliegenden Aufgabe, die ihr zugewiesenen Flüchtlinge mit Wohnraum zu versorgen, bereits bei Vertragsabschluss entscheiden, für welche Dauer sie die Räume anmieten wolle.
Da der Kündigungsausschluss im Mietvertrag demnach sowohl als Formularklausel als auch als Individualvereinbarung keinen rechtlichen Bedenken unterliege, wurde das Mietverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Gemeinde beendet.
04.02.2020