Exzellenzuniversität darf sich der Berliner Hochschulverbund aus Freier, Technischer und Humboldt-Universität seit dem vergangenen Jahr nennen. Damit bietet die Hauptstadt herausragende Bedingungen für Lehre und Forschung. Aber die akademischen Leuchttürme, die immer mehr Studenten aus aller Welt anziehen, stehen in einer Metropole mit stark angespanntem Wohnungsmarkt und galoppierenden Mietpreisen. Freie Zimmer in Wohngemeinschaften sind rar, kleine Wohnungen überteuert und auf einen Platz im Studentenwohnheim muss man bis zu anderthalb Jahre warten. Was bleibt, sind Hostels oder Couchsurfen – wer etwas Bezahlbares finden will, braucht Zeit und muss sich erstmal durchhangeln.
Es ist Januar 2020, als Anna Tomi ungeduldig wird und wieder nachfragt: Kann sie nicht doch bald ins Studentenwohnheim ziehen? Die Mitarbeiterin am Infopoint des Studierendenwerkes Berlin schüttelt bedauernd den Kopf und verweist auf die aktuelle Wartezeit von zwei bis drei Semestern. Keine Chance vor Anfang September für die junge Studentin aus Bukarest.
„Als ich im August letzten Jahres nach Berlin kam, bin ich erstmal bei einer Verwandten meiner Mutter untergekommen“, erklärt sie. Sie war der festen Überzeugung, dass dies eine Notlösung für wenige Wochen sei, denn die Großtante bewohnt selbst bloß eine winzige Wohnung. Deshalb hatte sich Anna Tomi ja auch sofort nach Zulassung zu ihrem Wunschstudium Medieninformatik um ein Zimmer in einem der Berliner Studentenwohnheime beworben. Jetzt beginnen bald die Semesterferien, und sie steht noch immer mit etwa 2800 anderen auf der Warteliste.
„Die Liste wird zu Beginn des neuen Frühjahrssemesters noch einmal deutlich länger“, erklärt Ellen Krüger, Leiterin des InfoCenters „studi@home“, der zentralen Anlaufstelle für wohnungssuchende Studierende im Mensa-Foyer in der Hardenbergstraße 34. Hier werden seit Herbst 2018 alle Bewerbungen um einen der rund 9200 Plätze in den 32 Wohnheimen des Studierendenwerkes Berlin angenommen und verwaltet.
Die 1973 gegründete Anstalt öffentlichen Rechts kümmert sich um Studierende aus zwölf staatlichen, zwei konfessionellen und sechs privaten Hochschulen dieser Stadt.
Hinter dem Tresen beantworten drei Mitarbeiterinnen Anfragen, registrieren die vielen hundert Neuanmeldungen, die jeden Monat dazukommen und verwalten die Daten der Wohnungssuchenden. Sie geben Tipps, verweisen immer wieder auf die Wohnraumbörse des Studierendenwerkes und reichen alternative Angebote weiter, etwa von städtischen Wohnungsbaugesellschaften.
Mehr Studierende – weniger Wohnheimplätze
Welche Aussicht gäbe es denn, in einem Studentenwohnheim eine Zweizimmerwohnung zu bekommen, wollen Adrienn Bognar und Áron Mikus wissen. Das Paar aus Ungarn studiert an der Humboldt-Universität (HU) Sozial- beziehungsweise Kulturwissenschaften und überbrückt die Wartezeit auf Wohnheimplätze gerade in einer Wohnung in Spandau. „Im April kommt die dortige Hauptmieterin zurück, dann müssen wir raus“, so Adrienn Bognar. Hoffnung auf ein Apartment mit zwei Zimmern kann Ellen Krüger den beiden nicht machen. Die wenigen, die es gibt, sind außerordentlich nachgefragt.
Traian Ciochina aus Moldawien, Student an der TU, ist seit Oktober in Berlin und erstmal in einer Marzahner Wohnung untergekommen. „In jedem Zimmer wohnen zwei Männer“, beschreibt er die Situation, „ich zahle für ein Bett 450 Euro.“ Auch er wird es noch eine Weile aushalten müssen.
„Früher haben wir durchaus auch Anfragen von Praktikanten oder Azubis angenommen, die auf eine Unterbringung in einem der Wohnheime hofften“, erinnert sich die Leiterin des InfoCenters. Heute würden diese ausnahmslos abgelehnt.
Vor allem in den zurückliegenden zehn bis 15 Jahren hat sich die Situation zugespitzt, weiß Diana Kersten, Leiterin der Wohnheimverwaltung (WHV) Sewanstraße. Das liegt auch an der gestiegenen Zahl der Studierenden: Sie ist von rund 133.000 im Jahr 2006 auf etwa 195.000 zum aktuellen Zeitpunkt hochgegangen. Die Zahl der Wohnheimplätze des Studierendenwerkes dagegen ging zurück. So wurde im vergangenen Jahr ein ganzes Haus mit mehr als 400 Plätzen zur Sanierung an den Eigentümer zurückgegeben. Neu geschaffene Wohnheimplätze konnten das nicht ausgleichen.
Auch der 10-geschossige Plattenbau in der Lichtenberger Sewanstraße, in dem Diana Kersten ihren Arbeitsplatz hat, kennt keinen Leerstand. Die 700 Bewohner sind zumeist als Wohngemeinschaften in Zwei- und Dreizimmerwohnungen untergebracht, bei denen Küche und Bad gemeinsam genutzt werden. Hinzu kommen einige Einzimmerwohnungen, die mit eigener Küche und eigenem Bad mehr Privatheit bieten. Der Preis der Zimmer hier richtet sich nach ihrer Größe und liegt zwischen 225 und 280 Euro, komplett. Solch günstiger möblierter Wohnraum wird besonders von ausländischen Studentinnen und Studenten genutzt: ihr Anteil in allen Berliner Wohnheimen des Studierendenwerkes liegt bei 75 Prozent. Auf dem privaten Wohnungsmarkt haben sie es besonders schwer. Dort werden beispielsweise Unterlagen gefordert, die sie kaum vorlegen können: Bürgschaften, Gehaltsnachweise, Mietschuldenfreiheitsbescheinigungen oder Schufa-Auskünfte. Fürs Wohnheim genügen dagegen die Studienzulassung und der Nachweis über die gezahlten Semestergebühren.
Mayuri Mitkari aus Indien hatte sich die erste Zeit ihres Aufenthalts in einem Hotel einquartiert. An der TU absolviert sie den internationalen Studiengang Global Production Engineering. Von den Möglichkeiten der Uni ist sie begeistert. Dass es in Berlin nicht einfach sein würde, Wohnraum zu finden, war ihr klar. Freunde haben ihr den Tipp gegeben, es mit einem Wohnheimplatz im Osten der Stadt zu versuchen: „Ist ein bisschen weiter – aber vielleicht nicht so nachgefragt …“ Sie folgte dem Rat und hatte Glück. Sie kann jetzt ihren Mietvertrag für einen Platz im Wohnheim Sewanstraße unterschreiben.
Auf der Warteliste stehen aber zu diesem Zeitpunkt noch immer 590 Namen. Wohnheimleiterin Kersten: „Es kommen Anfragen, ob ein Freund oder eine Freundin für eine Übergangszeit mit ins Zimmer einziehen kann.“ Im Prinzip ist das – gegen einen kleinen Aufpreis – auch möglich. Ein Bett oder eine Matratze muss selbst mitgebracht werden, und länger als ein halbes Jahr sollte der Zustand nicht dauern.
Wo wohnen Studenten in Berlin?
Julia Gleich bezieht gerade in der Sewanstraße ihre allererste „Studi-Bude“ und ist überrascht. „Es ist groß, hell – im Grunde hab ich hier alles, was ich brauche“, freut sie sich und inspiziert die Kochnische und das Bad. Welches Glück sie mit der schnellen Zuteilung des Wohnheimplatzes hatte, ist ihr völlig bewusst. Als sich die junge Leipzigerin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) bewarb, wollte sie eigentlich in eine WG ziehen, um nicht alleine zu wohnen und rasch Anschluss zu finden. „Aber dann habe ich gehört, wie viele das wollen und begriffen: Das wird wohl nichts werden.“ Also bewarb sie sich mit ihrer Zulassung auch sofort für einen Wohnheimplatz und erhielt den noch mitten im ersten Semester. So waren dann die paar Wochen auf dem Sofa der Berliner Tante kein großes Problem. Julia Gleich fühlt sich bestens versorgt, auch weil ihre Hochschule direkt um die Ecke liegt.
„Die Stadt boomt“, bekräftigt Luisa Böhmer. In der Landes-Asten-Konferenz Berlin gehörte sie zu jenen Aktiven, die beschlossen haben, die Wohnsituation der Studierenden genauer unter die Lupe zu nehmen. „Das Problem kannten wir, aber uns fehlten konkrete Daten“, so Luisa Böhmer. Die Arbeitsgemeinschaft Wohnen der Studierendenvertretung entwarf einen umfangreichen Fragebogen und verteilte ihn zu Beginn vorigen Jahres an unterschiedlichen Berliner Hochschulen. Fast 9000 Rückmeldungen bestätigten, dass es höchste Zeit war für diesen studentischen Blick auf die Misere: Lediglich 6,6 Prozent der Befragten war in einem Wohnheim des Studierendenwerkes untergekommen – deutschlandweit liegt Berlin damit fast auf dem letzten Platz. 3,7 Prozent haben ein Zimmer oder Apartment in Wohnheimen privater Träger. Die überwältigende Mehrheit (77,6 Prozent) der Studenten lebt in privat vermieteten Unterkünften: in WGs, zur Untermiete oder in einer eigenen kleinen Wohnung. Fast jeder Fünfte war sechs Monate und länger nach einer Unterkunft auf der Suche. 14,2 Prozent gaben an, eine Zeit der Wohnungslosigkeit erlebt zu haben: Übernachten in Hostels oder anderen touristischen Kurzzeitunterkünften, Couchsurfing bei Freunden, zeitweises Unterschlüpfen in einer WG – ohne da gemeldet zu sein.
Ernüchternde Erfahrungen bei einem WG-Vorhaben
Amelie S. ist – zumindest auf dem Papier – noch immer nicht in der Mitte Berlins angekommen. Vergangenen Herbst begann die junge Frau ihr Studium der Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität (FU) in Dahlem. Lange vor Studienbeginn machte sie sich zusammen mit drei Freunden auf die Suche nach einer WG-tauglichen Wohnung. Vier Zimmer mit Küche und Bad sollten es sein – bezahlbar. „Ich habe mitunter täglich bis zu fünf Anfragen losgeschickt“, erinnert sich Amelie S. Waren sie zu Besichtigungen eingeladen, drängten sich nicht selten 30 oder 40 Wohnungssuchende. Was sie zu sehen bekamen, war oft ernüchternd: eine Wohnung in einem heruntergekommenen elfgeschossigen Plattenbau mit klapprigem Fahrstuhl. Eine Altbauwohnung, in der auch eine Abstellkammer als Zimmer gewertet wurde. Eine Dachgeschoss-Maisonette-Wohnung mit Schimmelflecken in Bad und Küche und einer schadhaften Treppe ins zweite Geschoss.
Amelie S.: „Für 1000 Euro warm könnten wir nicht mehr verlangen, hat uns der Vermieter erklärt.“ Mitunter waren sie – ausgestattet mit perfekten Bewerbungsmappen – im ganz engen Bewerberkreis. So auch bei einer Ladenwohnung am Kreuzberger Maybachufer: 140 Quadratmeter, fünf Zimmer mit Wohnküche und ebenerdiger Terrasse. 2000 Euro kalt sollten die schon Jahre leerstehenden Räume kosten. Kaputte Elektrik, bröckelnder Putz, durchgefaulte Fußböden waren in Kauf zu nehmen. Zwei Monatsmieten Nachlass bot die Vermieterin, wenn sie selbst renovierten. „Das hätten wir niemals geschafft“, sagt die Studentin. Auch diese Wohnung mussten sich die Studentin und ihre Freunde aus dem Kopf schlagen.
Hatte Saschan Z., der Umwelttechnik an der Beuth-Hochschule im Wedding studiert, dagegen einfach nur Glück? Er suchte mit zwei Freunden, und sie fanden eine Familie in Karlshorst, die eine Wohnung ihrer dreigeschossigen Stadtvilla an eine Studenten-WG vermieten wollte. 100 Quadratmeter, vier Zimmer, großzügig geschnitten, unmöbliert, nette Vermieter, 930 Euro Warmmiete. Saschan Z.: „Ich brauche 40 Minuten zur Uni, aber das ist okay, die Verkehrsverbindungen in Berlin sind ja gut.“
Amelie S. fand schließlich nach monatelangem Suchen mit zwei Freunden ihre WG-taugliche Wohnung in einem sanierten 60er-Jahre-Haus in Friedrichshain: Frisch renoviert, gemütlich, für jeden ein eigenes Zimmer und mit rund 900 Euro warm auch für alle zusammen bezahlbar. Allerdings: Amelies Name steht bisher noch immer nicht im Mietvertrag. Die Freundin, die irgendwann aus der gemeinsamen Suche ausgestiegen ist, lebt mittlerweile im WG-Zimmer eines Bekannten. Unangemeldet. Immer auf dem Sprung.
Für die Datenerhebung der Landes-Asten-Konferenz gaben 10 Prozent der Befragten an, irgendwo illegal zu wohnen – ein zusätzlicher Grund, dass Berlin endlich sein Versprechen an die Studierenden erfülle, wie deren Vertreter fordern: Zwischen 2015 und 2020 sollten 5000 günstige Wohnplätze gebaut werden – 50 Prozent von den sechs städtischen Wohnungsunternehmen, die andere Hälfte von der landeseigenen Berlinovo. Auf Anfrage nach dem Realisierungsstand gab die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Auskunft, dass die Gesamtzahl der von den kommunalen Wohnungsunternehmen geplanten Studenten-Wohnungen auf 2200 reduziert worden sei – und man davon ausgehe, dass sie bis 2025 fertiggestellt würden. Die Berlinovo – so deren Pressesprecher – habe bisher rund 600 Wohnplätze erstellt, bis 2022 sollten insgesamt 3700 realisiert werden.
Wo die Stadt nicht weiterkommt, füllen andere die Lücke. Private Investoren haben längst den lukrativen studentischen Wohnungsmarkt entdeckt und bieten Mikroapartments und Wohngemeinschaften de luxe, in denen kleine Unterkünfte durchaus 700 Euro und mehr kosten können.
Studentisches Wohnungsproblem nicht neu
Für Alena Ermolina aus Russland, Masterstudiengang BWL, war das Wohnheim eines privaten Trägers allerdings die Lösung ihres Problems: Sie ist vor etwa anderthalb Jahren ins David-Friedländer-Haus in Moabit gezogen. „Ich hab mal im Hotel gewohnt, in Airbnb-Apartments und bei so vielen Wohngemeinschaften angefragt, mich immer und immer wieder vorgestellt – meist als eine von 20 bis 30 Anwärterinnen.“ Nervende Coachings, frustrierende Befragungen – letztendlich hat sie nie einen Platz bekommen. Für ihr „SMARTment“ – ein 24-Quadratmeter großes vollständig ausgestattetes Apartment mit Küche und Bad – zahlt sie 490 Euro. In dem neu gebauten Komplex lebt sie mit 295 anderen Studentinnen und Studenten aus Deutschland und aus Spanien, Griechenland, China, den USA. Das Wohnheim ist eines von 18 ähnlichen Häusern in Deutschland und Österreich und wird durch eine nicht gewinnorientierte Stiftung betrieben. Der Förderkreis Deutscher Studenten (FDS), aus dem diese hervorgegangen ist, wurde gegründet, um etwas gegen studentische Wohnungsnot zu unternehmen. Das war vor fast einem halben Jahrhundert.
Rosemarie Mieder
Bafög: Wohnungssatz ist zu knapp bemessen
In mehr als zwei Dritteln der deutschen Unistädte reicht der Bafögsatz fürs Wohnen – monatlich 325 Euro – nicht aus, um eine Mietwohnung zu finanzieren. Das hatten im vergangenen Jahr der private Finanzdienstleister MLP und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) untersucht. Sie waren in ihrer Analyse von einer 30 Quadratmeter großen Musterwohnung mit normaler Ausstattung (Baujahr 1995) ausgegangen und hatten die Nebenkosten in ihre Rechnung einbezogen. In München müssen danach im Schnitt 717 Euro gezahlt werden, in Stuttgart 542 Euro und in Frankfurt/Main 505 Euro. Berlin liegt bei durchschnittlichen 400 Euro für ein solches Apartment – und immer noch deutlich über dem Bafög-Satz.
rm
Tipps für Studierende
Alljährlich findet in Berlin ein „Tag des Wohnens“ statt. Neben dem Studierendenwerk sind dort beispielsweise auch der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die Studentendörfer Adlershof und Schlachtensee, das Portal @wg-suche.de und auch der Berliner Mieterverein vertreten. Neben wichtigen Tipps für die Suche nach einer Unterkunft gibt es Vorträge zum Berliner Wohnungsmarkt und Ratschläge rund ums Mietrecht. In diesem Jahr wird der Tag des Wohnens voraussichtlich am 23. September stattfinden.
rm
Infos über: www.stw.berlin
Weitere Adressen für die Wohnungssuche:
www.stw.berlin/wohnen.html
www.inberlinwohnen.de
BMV-Info 3: „Wohnungssuche in Berlin – 20 wichtige Tipps zu Wohnungssuche und Mietvertragsabschluss“:
www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter
29.03.2020