Leitsätze:
Die Regelungen in § 556 Abs. 3, 4 BGB hindern die Mietvertragsparteien nicht, nach Zugang einer Betriebskostenabrechnung an den Mieter eine Vereinbarung darüber zu treffen, dass der Mieter den ausgewiesenen Saldo als verbindlich anerkennt. Weder formelle Mängel der Abrechnung noch die mit einer solchen Vereinbarung etwa verbundene Verkürzung der dem Mieter zustehenden Einwendungsfrist (§ 556 Abs. 3 Satz 5 BGB) stehen der Wirksamkeit einer derartigen Vereinbarung entgegen.
BGH vom 28.10.2020 – VIII ZR 230/19 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 18 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
In einem Vorprozess schlossen die Mietvertragsparteien einen Vergleich, in dem sich der Mieter zur Räumung und Herausgabe eines „Studentenzimmers“ bis zum 30.4.2017 verpflichtete. Kurz vor dem vereinbarten Räumungstermin bat der Mieter mit einem an den Vermieter gerichteten Schreiben vom 27.4.2017 um Fortsetzung des Mietverhältnisses. Daraufhin bot dieser dem Mieter mit Schreiben vom 28.4.2017 an, mit der Beauftragung des Gerichtsvollziehers zur Zwangsräumung bis längstens zum 1.7.2017 zuzuwarten, sofern der Mieter für Mai und Juni jeweils bis zum 3. Werktag 190 Euro Nutzungsentschädigung zahlen und ferner ausstehende Strom- und Wasserrechnungen von insgesamt 1588,46 Euro bis 31.5.2017 begleichen würde. Der Mieter nahm dieses Angebot schriftlich an. Anfang Juli 2017 zog er aus der Wohnung aus. Die im Schreiben des Vermieters vom 28.4.2017 genannten Strom- und Wasserrechnungen in Höhe von insgesamt 1588,46 Euro beglich er nicht.
Im anschließenden Streit über die Rückzahlung der Kaution brachte der Mieter vor, die Betriebskostenabrechnungen, aus denen sich die offenen Strom- und Wasserkosten ergäben, seien formell unwirksam und beruhten auf unzutreffenden Messergebnissen wegen fehlender Eichung der Zähler. Zudem hätte der Vermieter seinem Ansinnen nach Einsicht in die Abrechnungsbelege bislang nicht entsprochen.
Das Berufungsgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass eine wirksame Einigung der Parteien über die Verpflichtung des Mieters, die offenen Rechnungsbeträge in Höhe von insgesamt 1588,46 Euro an den Vermieter zu entrichten, nicht voraussetze, dass die genannten Abrechnungen den formellen Anforderungen nach § 556 Abs. 3 BGB genügten. Dies ergebe sich insbesondere nicht aus den Bestimmungen des § 556 Abs. 3, 4 BGB. Der BGH folgte dieser Ansicht.
Denn die Regelungen in § 556 Abs. 3, 4 BGB hinderten die Mietvertragsparteien jedenfalls nicht daran, nach Zugang einer Betriebskostenabrechnung an den Mieter eine Vereinbarung darüber zu treffen, dass der Mieter den ausgewiesenen Saldo als verbindlich anerkenne. Weder formelle Mängel der Abrechnung noch die mit einer solchen Vereinbarung etwa verbundene Verkürzung der dem Mieter zustehenden Einwendungsfrist (§ 556 Abs. 3 Satz 5 BGB) stünden der Wirksamkeit einer derartigen Vereinbarung entgegen. Es handele sich hierbei nämlich nicht um eine Abrede, die Einwendungen des Mieters gegen die Abrechnung von vornherein generell ausschließe oder einschränke, sondern um die Anerkennung einer konkreten Schuld, sei es in Form eines (deklaratorischen) Anerkenntnisses oder – wie hier – in Form einer vergleichsweisen Einigung. Dieser Fall werde von § 556 Abs. 4 BGB seinem Sinn und Zweck nach nicht erfasst.
Die in § 556 Abs. 3 BGB normierte Abrechnungspflicht des Vermieters nebst den damit im Zusammenhang stehenden ausschlussbewehrten Abrechnungs- und Einwendungsfristen dienten im Interesse beider Mietvertragsparteien der Abrechnungssicherheit, der Streitvermeidung und der Schaffung von Rechtsklarheit in überschaubarer Zeit. Dieser gesetzgeberischen Zielsetzung werde eine Auslegung des § 556 Abs. 4 BGB nicht gerecht, die den Vertragsparteien – selbst wenn sachliche Gründe hierfür vorlägen – die Möglichkeit versage, sich einvernehmlich auf schnellerem Weg Klarheit über die wechselseitigen Pflichten aus einem abgeschlossenen Abrechnungszeitraum zu verschaffen.
Der mit § 556 Abs. 4 bezweckte Mieterschutz werde in solchen Fällen schon deshalb nicht unterlaufen, weil die Annahme sowohl einer vergleichsweisen Einigung – nach der gesetzlichen Regelung des § 779 BGB – als auch eines deklaratorischen Anerkenntnisses – nach ständiger Rechtsprechung – voraussetze, dass zwischen den Parteien Streit oder Ungewissheit über ein bestehendes Rechts- beziehungsweise Schuldverhältnis herrsche und die Parteien dieses durch die Vereinbarung insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit entziehen wollten, mithin – auch für den Mieter – ein konkreter Anlass für die Anerkennung des Abrechnungssaldos vorliegen müsse. Die Bejahung einer solchen Einigung komme also nur in Betracht, wenn sich ein materielles Interesse (auch) des Mieters an deren Zustandekommen feststellen lasse, was in der Regel damit einhergehen werde, dass etwaige Nachteile für den Mieter hinreichend kompensiert werden, wie hier durch die Einräumung einer längeren Räumungsfrist.
Diese Auslegung von § 556 Abs. 4 BGB stehe auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des achten für das Wohnraummietrecht zuständigen Zivilsenats des BGH. Der Senat habe bereits entschieden, dass § 556 Abs. 4 BGB der Wirksamkeit einer einzelfallbezogenen Verständigung der Mietvertragsparteien über die einmalige Verlängerung der jährlichen Abrechnungsperiode (§ 556 Abs. 3 Satz 1 BGB) zwecks Umstellung auf eine kalenderjährliche Abrechnung nicht entgegenstehe und dabei entscheidend darauf abgestellt, dass eine solche Vereinbarung im beiderseitigen Interesse liege und die dem Mieter möglicherweise entstehenden Nachteile durch entsprechende Vorteile hinreichend kompensiert würden (vgl. BGH vom 27.7.2011 – VIII ZR 316/10).
Soweit der BGH eine vorbehaltlose Zahlung oder Gutschrift innerhalb der dem Mieter gewährten Einwendungsfrist für sich genommen nicht als ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis ansehe (BGH vom 12.1.2011 – VIII ZR 296/09), werde damit nicht etwa generell die Möglichkeit verneint, dass die Mietvertragsparteien sich vor Ablauf der Einwendungsfrist gemäß § 556 Abs. 3 Satz 5 BGB über das Bestehen eines sich aus einer Betriebskostenabrechnung ergebenden Saldos verbindlich verständigten. Diese Rechtsprechung lasse lediglich den Schluss zu, dass an eine solche Einigung hohe Anforderungen zu stellen seien und sie nur bei eindeutigen Erklärungen der Mietvertragsparteien in Betracht kämen.
25.01.2021