MieterMagazin: Herr Wild, was veranlasste einen 27-jährigen Soziologen mit Hochschulabschluss seinerzeit, beim Berliner Mieterverein anzufangen?
Wild: Das Interesse, bei den gesellschaftlichen Konflikten um das Wohnen an einer durchaus wichtigen Stelle mitwirken zu können. Dahinter steckte natürlich auch die Hoffnung, für die wirtschaftlich Schwächeren etwas zu bewegen. Attraktiv war aber auch, doch recht frei von Konventionen, Zwängen und Einbindungen agieren zu können – anders als in der öffentlichen Verwaltung oder dem Wissenschaftsbetrieb. Der Mieterverein finanziert sich schließlich nur aus Mitgliedsbeiträgen.
Da ich aus der Stadtteilarbeit kam, versprach ich mir zudem vom gesamtstädtischen und bald auch gesamtdeutschen Blick des Mietervereins mehr Spannung.
MieterMagazin: Wissen Sie noch, welches Thema der BMV damals gerade auf seiner politischen Agenda hatte?
Wild: Ja, sehr genau. Ich bereitete gleich zu Beginn meines Arbeitsverhältnisses mit dem damaligen Geschäftsführer Hartmann Vetter und dem Vorstand eine Konferenz zur Mietermodernisierung vor. Das war im doppelten Sinne wichtig: Es ging um die Stärkung der Gebrauchsrechte für Mieter. Aber auch darum, der Vernachlässigung der Wohnungsbestände durch die Vermieter etwas entgegenzusetzen. Parallel dazu waren dem Mieterverein damals eine stärkere Zusammenarbeit mit Mieterinitiativen, die Legalisierung von besetzten Häusern und der Beginn einer behutsamen Stadterneuerung wichtig. Viele Themen von damals haben sich bis heute durchgezogen.
MieterMagazin: Wenn man 40 Jahre lang in der Geschäftsführung eines Interessenverbandes arbeitet, kann man Erfolge verbuchen, muss aber auch Niederlagen einstecken. Was war besonders erfreulich, welche Niederlage schmerzlich?
Wild: Manches war ein bisschen Erfolg und auch ein bisschen Niederlage. Zum Beispiel die selbst durchgeführte Mieterabstimmung zum Erhalt der Mietpreisbindung im alten West-Berlin. Fast 500.000 Mieter haben ihre Stimme abgegeben – ein gigantisches organisatorisches Unterfangen, was zweifelsfrei ein Erfolg an Mobilisierung darstellte. Dennoch endete 1987 die öffentlich-rechtliche Preisbindung, allerdings in Form eines Überleitungsgesetzes. Die größten aktuellen Erfolge sind sicher die Einführung des Mietendeckels und die Beschränkung der Mieterhöhungen nach Modernisierung im BGB. Schmerzliche Niederlagen waren die Privatisierung von Gehag, GSW und kommunaler Bestände nach der Wiedervereinigung, ganz zu schweigen von den Grundstücksverkäufen der öffentlichen Hand. Diese Fehler machen uns heute schwer zu schaffen. Insgesamt bin ich aber sehr zufrieden, dass es zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen, dem Vorstand und vielen, vielen Engagierten innerhalb und außerhalb des BMV gelungen ist, den Mieterinnen und Mietern in der Stadt eine gewichtige
Stimme zu verleihen, die bis in den Bundestag, die Bundesregierung und die EU vernommen wird.
Interview: Udo Hildenstab
Lesen Sie auch:
28.01.2021