Zwar erschienen nur 90 von 169 Delegierten. Dennoch war die Debatte angeregt wie immer – nur diesmal in einem eigentlich viel zu großen, aber Corona-gerechten Saal des Neuköllner Estrel-Hotels. Da die Delegiertenversammlung des Berliner Mietervereins 2020 wegen der Pandemie nicht stattfinden konnte, standen zwei Geschäftsjahre zur Debatte. Und die waren so bewegt wie lange nicht mehr.
Verzeichnete der Berliner Mieterverein (BMV) im Jahre 2019 noch 60.000 Rechtsberatungen, schmolzen diese im Geschäftsjahr 2020 pandemiebedingt auf 40.000 zusammen. „Das war uns etwas unheimlich. Waren wir ausreichend für unsere Mitglieder da?“, beschreibt Geschäftsführer Reiner Wild rückblickend die dramatischen Monate, in denen der zuvor noch nie eingetretene Rückgang stattgefunden hat.
Dennoch blieb der BMV auf Wachstumskurs: Während er 2019 im Saldo einen Mitgliederzuwachs von 3,5 Prozent verzeichnete, lag dieser auch 2020 bei fast 3 Prozent – ein Rekordwert verglichen mit den anderen im Deutschen Mieterbund organisierten Vereinen, wie BMV-Schatzmeisterin Jutta Hartmann zufrieden feststellte. Dazu beigetragen haben auch der hohe Beratungsbedarf im Zuge der Mieterhöhungswelle 2019 und der im Februar 2020 eingeführte Mietendeckel. Diesem und auch dem Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit sei der Verein in vollem Umfang gerecht geworden, wie Vorstand und Geschäftsführung bilanzierten.
Die Delegierten dankten es dem Vorstand mit einer einstimmigen Entlastung und einer ebensolchen Wiederwahl: Dr. Rainer Tietzsch wurde erneut zum Vorsitzenden gewählt und tritt zusammen mit Dr. Jutta Hartmann und Gundel Riebe eine weitere Amtszeit an. Für das Dreierteam bleibt viel zu tun – erst recht, wenn sich bei den Wahlen am 26. September in Bund und Land erneut Mehrheiten auf einem eigentümerorientierten Kurs abzeichnen sollten. „Da werden wir gegenhalten“, versprach Tietzsch.
Kämpferisch gab sich auch Senator Sebastian Scheel (Linke), der als Gastredner das Wohn- und Stadtentwicklungsressort vertrat. Der Mietendeckel sei, so Scheel, „ein wichtiges Signal in die bundesrepublikanische Öffentlichkeit gewesen.“ Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Mietendeckel zu Fall brachte, gelte erst recht: „Die Regulierung des Wohnungsmarkts bleibt Aufgabe der Politik.“ Scheel wies darauf hin, dass es rund 40 Milieuschutzgebiete mehr gebe als zu Beginn der Legislaturperiode; 10.000 Wohnungen seien entweder durch Ankäufe oder Abwendungsvereinbarungen vor Spekulation gerettet und allein in den letzten vier Jahren 92.000 neue genehmigt worden. Zudem habe Berlin seit 2016 von privaten Wohnungsunternehmen allein 27.000 Wohnungen angekauft und in städtisches Eigentum überführt.
BMV-Geschäftsführer Reiner Wild kritisierte die „enorme Aggressivität“, die von Teilen der Wohnungswirtschaft wegen des Mietendeckels auch dem Mieterverein seit 2019 entgegen geschlagen sei. Er schloss trotz dessen zuversichtlich: „Unsere Hoffnung setzen wir in die bevorstehenden Wahlen.“
Sebastian Bartels
Forderungen an die Politik
Die Delegiertenversammlung besteht aus gewählten Vertretern der einzelnen Bezirksgruppen. Diese bringen vor jeder Mitgliederversammlung jeweils Anträge ein, über die mit einfacher Mehrheit abgestimmt wird. Wichtige Beschlüsse der diesjährigen Versammlung, die sich an die Politik richten: Mieter vermieteter Eigentumswohnungen müssen auch bei Weiterverkäufen vor Kündigungen geschützt werden. Zudem ist ihnen in jedem Verkaufs- und Versteigerungsfall ein gesetzliches Vorkaufsrecht einzuräumen. Des Weiteren sollen energetische Maßnahmen durch Reduzierung der Kostenumlage auf 4 Prozent und Kappung bei 1,50 Euro pro Quadratmeter monatlich sozialverträglicher werden.
sb
www.berliner-mieterverein.de/politik/bmv-forderungen.htm
21.09.2021