Die Abrisswelle in Charlottenburg-Wilmersdorf rollt weiter. Wieder einmal soll ein 60er-Jahre-Bau mit preisgünstigen Wohnungen einer profitableren Nutzung weichen. Mehrere alte und schwer kranke Mieter wissen nun nicht wohin. Beim Berliner Mieterverein (BMV) sorgt der Fall für Empörung.
Über die auffällig vielen Abrisse in Charlottenburg-Wilmersdorf hat das MieterMagazin bereits berichtet (Ausgabe 1+2/2021, Seite 19: „Ideale Bedingungen für Abriss-Spekulanten“). Der grüne Baustadtrat Oliver Schruoffeneger hatte damals sein Bedauern über die „wohnungspolitische Katastrophe“ geäußert. Zum Fall Schlüterstraße 44 schweigt er. Anfragen, sowohl vom MieterMagazin als auch vom Berliner Mieterverein, werden ausschließlich von dem für Zweckentfremdung zuständigen Stadtrat Arne Herz (CDU) beantwortet.
Zur Vorgeschichte: Bereits vor fünf Jahren hat der Eigentümer, der bekannte ehemalige Rennfahrer Thomas Bscher, den Mietern mitgeteilt, dass er das Haus abreißen und stattdessen auf dem gesamten Grundstück ein Geschäftshaus errichten will. Inzwischen hat er dem Bezirksamt eine negative Renditeberechnung vorgelegt, wonach die Wiederherstellungskosten eines „einfachen Wohnstandards“ die Mieteinnahmen in den nächsten zehn Jahren übersteigen würden. Dass Bezirksstadtrat Herz daraufhin ein sogenanntes Negativattest ausgestellt hat, hält Sebastian Bartels von der BMV-Geschäftsführung für „rechtlich haltlos, geradezu skandalös“.
Das Negativattest bedeutet, dass die Abrissgenehmigung nur noch eine Formalie ist und dass der Eigentümer nicht einmal Ersatzwohnungen nach dem Zweckentfremdungsverbotgesetz schaffen muss. Warum es sich hier, wie Stadtrat Herz anführt, „nachweislich“ nicht um schützenswerten Wohnraum im Sinne des Gesetzes handelt, ist nicht nachvollziehbar. Bevor Bscher den Mietern Abfindungen für den Auszug zahlte, waren die 30 Wohnungen mit Mietpreisen von 400 bis 500 Euro voll vermietet. Mittlerweile sind die meisten Mieter ausgezogen. Das Haus, das 1965 mit öffentlichen Fördermitteln gebaut wurde, ist keinesfalls eine Bruchbude. 2012 hat der Vorbesitzer sogar noch eine Strangsanierung durchgeführt und nagelneue Bäder eingebaut. All das scheint das Bezirksamt nicht zu interessieren.
Birgit Leiß
27.11.2021