Berlin hat im vergangenen Jahr empfindliche Rückschläge im Mieterschutz hinnehmen müssen. Nun soll geprüft werden, wie sich die Spielräume der Stadt nutzen lassen, Mieterinteressen gegen politische Blockaden durchgesetzt und die Einwohner vor Verdrängung geschützt werden können. Staatssekretärin Ülker Radziwill – zuständig für Mieterschutz und Quartiersentwicklung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen – will Instrumente verbessern und Kontrollen verstärken.
MieterMagazin: Frau Radziwill, Sie sind Deutschlands einzige Staatssekretärin für Mieterschutz und Quartiersentwicklung. Was hat die Berliner Regierungskoalition dazu bewogen, diesen Bereichen eine eigene Staatssekretärin zuzuordnen?
Radziwill: In einer Stadt, wo über 80 Prozent der Menschen zur Miete wohnen, ist das nur folgerichtig. Die Entscheidung macht deutlich, was uns wichtig ist: Neubau und Bestandsschutz für Mieterinnen und Mieter. Deren Rechte werden mit meinem Ressort noch einmal deutlich hervorgehoben. Berlin hat in punkto Mieterschutz schon immer Ideen entwickelt, war ein Vorreiter …
MieterMagazin: … und hat im letzten Jahr herbe Rückschläge hinnehmen müssen: der gekippte Mietendeckel und die in Teilen beschnittene Praxis des Vorkaufsrechts.
Radziwill: Beides sind Härten für Berlin, da gibt es nichts schönzureden. Beim Vorkaufsrecht bleiben wir dran, und wir sind zuversichtlich, dass wir mit dem Bund trotz Blockaden etwas durchsetzen können. Der Mietendeckel ist im Übrigen nicht inhaltlich gekippt worden, sondern weil Berlin verfassungsrechtlich nicht den richtigen Weg gegangen ist. Der muss über die Bundesebene führen, etwa über eine Länderöffnungsklausel …
MieterMagazin: … einen Zusatz im Bundesgesetz, der den Ländern in bestimmten Fällen eigene Regelungen ermöglicht.
Radziwill: Wir prüfen auch in Zukunft alle Spielräume, die wir für den Mieterschutz nutzen können. Durch unsere Initiativen ist ja in den zurückliegenden Jahren durchaus einiges erreicht worden. Berlin hat zum Beispiel als eines der ersten Bundesländer die Mietpreisbremse, die ich bereits 2009 entscheidend mit angestoßen habe, zur Anwendung gebracht.
MieterMagazin: Auf Mieterinnen und Mieter kommt einiges zu: steigende Energiepreise zusätzlich zur CO2-Besteuerung, die sie derzeit voll aus ihrer Tasche bezahlen sollen. Zusammen mit Mieterhöhungen bringt das nicht wenige an ihre finanziellen Grenzen.
Radziwill: Die explodierenden Energiekosten erfordern auf vielen Ebenen besondere Anstrengungen. Mit den Heizkostenzuschüssen ist auf Bundesebene eine sinnvolle und gute Hilfestellung gegeben worden. Aber uns ist auch klar, dass es über die begünstigten Gruppen hinaus Menschen gibt, die ebenso finanzielle Unterstützung brauchen. Jene, die Grundsicherung im Alter erhalten beispielsweise. Ich denke auch, dass ein Fonds für Härtefälle notwendig ist. Und was die CO2-Preise angeht, so ist sowohl auf Bundesebene als auch im Berliner Koalitionsvertrag als Ziel formuliert, dass die Kosten auf Mieter- und Vermieterseite aufgeteilt werden sollen. Das ist nun schnellstens umzusetzen, denn darauf warten viele Berlinerinnen und Berliner.
MieterMagazin: Mitte dieses Jahres will auch das vom Senat geplante „Bündnis für Neubau und bezahlbares Wohnen“ erste Vorschläge präsentieren. Bezahlbares Wohnen soll über die gesetzlichen Regelungen hinaus durch Vereinbarungen gestärkt werden. Sprich: die privaten Vermieter sollen sich zu einem freiwilligen Verzicht von Mieterhöhungen bereit erklären. Da fragt sich, wie Sie die dazu bringen wollen, auf rechtlich mögliche Mietsteigerungen zu verzichten.
Radziwill: Das Bündnis hat drei Arbeitsgruppen: Es geht um das Bauen und Modernisieren, um die Art, wie wir bauen, und um den Mieterschutz. In meiner Arbeitsgruppe beschäftigen wir uns mit der Frage, was wir tun müssen, um Mietsteigerungen zu verhindern oder zu dämpfen – alles beeinflusst auch von Fragen des Klimaschutzes und der CO2-Reduzierung. Allen, die der Einladung in das Gremium gefolgt sind und die mit am Tisch sitzen, ist klar, dass es auch darum geht, einen freiwilligen Verzicht zu leisten.
MieterMagazin: Ist das vielleicht auch dem Druck geschuldet, der von dem erfolgreichen Volksbegehren zur Enteignung großer privater Wohnungskonzerne ausgeht?
Radziwill: Natürlich ist dadurch Druck entstanden, das wurde durchaus auch in der ersten Bündnissitzung so formuliert. Aber jetzt führen wir erst einmal vertrauliche Gespräche. Wir sind zuversichtlich, dass wir zu konstruktiven Ergebnissen kommen. Unsere Regierende Bürgermeisterin hat das auf den Punkt gebracht: Es gibt das Interesse, gemeinsam solch ein Bündnis zu schmieden und etwas zu erreichen.
MieterMagazin: Ein Blick in die Berliner Tageszeitungen zeigt, tagtäglich verschwindet preiswerter Mietwohnraum – durch Abriss, spekulativen Leerstand oder auch möblierte Kurzzeitvermietung. Wir haben dagegen das Zweckentfremdungsverbot. Warum wirkt es nicht so wie es sollte?
Radziwill: Damit das Gesetz des Zweckentfremdungsverbots greift, müsste es auch Kontrollen geben. Derzeit bin ich auf Tour durch alle zwölf Berliner Bezirke, dabei besuche ich die zuständigen Bezirksstadträte und die Wohnungsaufsichtsämter. In den Bezirksämtern sind rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, die die Einhaltung des Zweckentfremdungsverbots überwachen. Bei meinen Besuchen möchte ich wissen, wo es gut läuft und wo es hakt, denn die Bezirke sind durchaus unterschiedlich aufgestellt. Auch hier wird Berlin Instrumente nachschärfen, wo es notwendig ist. Wir wollen die Menschen in ihren Wohnungen schützen. Es soll niemand Sorge vor Verdrängung haben.
MieterMagazin: Sie selbst sind Kind türkischer Eltern. Kennen Sie das Problem, dass jemand eine Wohnung nicht bekommt, weil sie oder er einen nichtdeutschen Namen hat?
Radziwill: Zuerst einmal kenne ich das unbeschreibliche Gefühl, wenn man zum ersten Mal die eigene Tür hinter sich zu machen kann. Wir sind 1973 in einem sehr kalten Winter nach Berlin gekommen und wohnten erst einmal bei einer älteren Dame, die noch an eine andere Familie vermietet hatte. Zu viert in einem Zimmer – Küche und Toilette mit anderen geteilt – so sind wir gestartet. Ich kann, vor allem auch bei Menschen mit einer Fluchterfahrung, den dringenden Wunsch nachempfinden, dass sie eine eigene, sichere Wohnung haben möchten. Die zu bekommen, ist für Menschen mit türkisch oder arabisch klingenden Namen schwerer als mit einem Namen, der beispielsweise dänisch klingt. Wir müssen Vorurteile abbauen und allen die gleichen Rechte am Wohnungsmarkt einräumen. In einer internationalen Stadt wie Berlin muss sich ein diskriminierungsfreies Vermieten durchsetzen lassen.
MieterMagazin: Wir bedanken uns für das Gespräch.
Ein sozialdemokratischer Werdegang
Ülker Radziwill kam 1973, mit sieben Jahren, als Kind türkischer Gastarbeiter nach Berlin. Ihre Eltern waren in der Türkei Grundschullehrer gewesen, in Berlin standen sie erst einmal am Fließband einer Fabrik. Die Tochter studierte Betriebswirtschaft und machte sich danach mit einem Reisebüro selbstständig. Ihr politisches Interesse wurde durch die Eltern geweckt, die schon in der Türkei aktive Sozialdemokraten gewesen waren. 1994 trat Ülker Radziwill selbst der SPD bei, engagierte sich in ihrem Kiez und auch im Landesverband für soziale Themen, Integration, Gleichstellung und immer wieder für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Viermal konnte sie ihren Wahlkreis in Charlottenburg-Wilmersdorf bei Abgeordnetenhauswahlen als Direktkandidatin gewinnen. Durch ihre langjährige politische Arbeit ist sie gut vernetzt. Ihrem Kiez und ihren langjährigen politischen Freunden ist sie treu geblieben: Zum Beispiel im Verein TSD – Türkische Sozialdemokraten in Berlin, in dessen Räumen im Klausenerplatz-Kiez sie gewissermaßen aufgewachsen ist und politisch sozialisiert wurde.
rm
28.03.2022