Der Entwurf für die neuen Wohnungsbauförderungsbestimmungen 2022 (WFB 2022) macht die veränderte politische Ausrichtung des Berliner Senats deutlich. Die geplanten Anreize für private Wohnungsbauunternehmen bergen große Risiken für die Berliner Stadtgesellschaft und die Mieter:innen der geförderten Wohnungen.
Wir erinnern uns: 20.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 5.000 geförderte Sozialwohnungen im unteren und mittleren Preissegment – mit diesem ambitionierten Ziel hat die neue rot-grün-rote Berliner Landesregierung Ende 2021 die Arbeit aufgenommen. Vor diesem Hintergrund steht jetzt die Aktualisierung der Wohnungsbauförderungsbestimmungen (WFB 2022) an. Der Entwurf sieht eine Ausweitung der Fördermittel bei den Baudarlehen vor, die wir begrüßen. Zugleich setzt er fragwürdige Anreize für private Investor:innen, die den Staat teuer zu stehen kommen könnten: großzügige Teilverzichte bei der Rückzahlung der Darlehen, eine riskante Flexibilisierung der unterschiedlichen Fördermodelle und die Gefahr, durch vorzeitige Rückzahlung der Darlehen die Mietpreis- und Belegungsbindungen vorschnell zu verlieren. Der BMV hat zu dem Entwurf des Dokuments von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Stellung genommen. Das sind die zentralen Eckpunkte der Förderbestimmungen und ihre Auswirkungen:
Aufstockung der Fördermittel – mehr Geld, mehr Wohnungen?
Das Gute vorweg: Der politische Wille zur Schaffung von mehr Wohnungen im sozialen Wohnungsbau ist erkennbar. Von 500 Millionen Euro auf 750 Millionen Euro jährlich sollen die Fördermittel aufgestockt werden – eine generell begrüßenswerte Entwicklung. Fraglich ist allerdings, ob die Summe ausreicht und ob die Fördermittel den gewünschten Effekt haben können. Angesichts gestiegener Boden- und Baukosten ist zu befürchten, dass unter dem Strich nicht mehr Sozialwohnungen förderbar sind als zuvor. Hinzu kommt, dass die Gleichung „Mehr Fördermittel = mehr Sozialwohnungen“ nicht zwangsläufig aufgeht, wie ein Blick auf die Jahre 2018 bis 2021 zeigt: 9.746 Wohnungen wurden über die drei Jahre hinweg mit insgesamt 859 Millionen Euro gefördert. Das heißt, schon die vormals 500 Millionen Euro Fördermittel pro Jahr wurden nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft. Möglicherweise wird jedoch der aktuelle und im Laufe des Jahres zu erwartende Zinsanstieg das Interesse der privaten Investor:innen an den staatlichen Baudarlehen und somit am sozialen Wohnungsbau erhöhen.
Flexibilisierung und Tilgungsverzicht
Anreize für Private zu schaffen, ist denn auch der rote Faden, der sich durch die gesamten WFB 2022 zieht. In der geplanten Flexibilität der Fördermodelle sehen wir erhebliche Risiken. Bisher konnten antragstellende Investor:innen das Fördermodell II mit einer Quadratmetermiete von zuvor 8,20 Euro nur in Kombination mit dem Fördermodell I bei einer Einstiegsmiete von 6,50 Euro in Anspruch nehmen. Beim kooperativen Baulandmodell war das Fördermodell II ganz ausgeschlossen. Diese Regelung war mit dem bewussten politischen Ziel gesetzt worden, einen Einfluss auf Segregationstendenzen nehmen zu können. Nach dem aktuellen Entwurf der WFB 2022 sollen die Fördermodelle künftig flexibel in Anspruch genommen werden können.
Daraus ergibt sich ein Problem: Die Förderstruktur passt nicht mit der Einkommensstruktur der WBS-Berechtigten zusammen, denn 75 Prozent der WBS-Inhaber:innen verfügen über ein Haushaltseinkommen von bis zu 100 Prozent der Bundeseinkommensgrenze (Fördermodell I), aber nur 4 Prozent der Haushalte über ein Einkommen zwischen 140 und 180 Prozent der Bundeseinkommensgrenze (Fördermodell II). Für wen also werden die Privaten bauen wollen? Vielleicht für die rund 300.000 anspruchsberechtigten Haushalte mit den höchsten Einkommen in der Sozialwohnungsberechtigung – sofern die denn überhaupt einen WBS beantragen. Oder sorgt der üppige Tilgungsverzicht von 35 Prozent der Darlehenssumme beim Fördermodell I dafür, dass doch auch für die 36,1 Prozent der Berliner Haushalte mit weniger als 140 Prozent Nettohaushaltseinkommen der Bundeseinkommensgrenze Wohnungen errichtet werden?
Kommunale Wohnungsunternehmen benötigen diese Teilverzichte bei den Rückzahlungen der Förderdarlehen wohl kaum, zumal sie in der Berliner Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen Wohnungsbauunternehmen an die soziale Ausrichtung auch nach Auslaufen der Bindungen gebunden sind. Hierzu schaffen die neuen Wohnraumförderbedingungen keine Neuheiten. Das Auslaufen der Mietpreis- und Belegungsbindungen nach 30 Jahren – also der Wegfall aller sozialen Leitplanken für diese Wohnungen – sowie die Möglichkeit, Förderdarlehen vorzeitig zu tilgen und damit das vorzeitige Auslaufen der sozialen Bindungen zu ermöglichen, war und bleibt ein zentrales Problem. Diese „Attraktivität“ für eine soziale Zwischennutzung kommt den Staat teuer, ohne dass durch die öffentliche Förderung Wohnraum dauerhaft preisgebunden wäre. Im Gegenteil: Bei vorzeitiger Rückzahlung der Darlehen verliert Berlin schneller als gewünscht die Mietpreis- und Belegungsbindungen. Der Senat sollte stattdessen auf planungsrechtliche Verpflichtung zum Sozialen Wohnungsbau setzen.
Exkurs:
Was sind die Stufen bei den Wohnberechtigungsscheinen (WBS)
in Berlin?
Das WBS-System orientiert sich an den Bundeseinkommensgrenzen unterschiedlich großer Haushalte, festgeschrieben im Wohnraumförderungsgesetz (WoFG). So liegt die Bundeseinkommensgrenze für einen Single-Haushalt derzeit bei einem Jahresnettogehalt in Höhe von 12.000 Euro, für einen Zweipersonenhaushalt bei 18.000 Euro. Ein solcher Haushalt hält also 100 Prozent der bundesgesetzlich festgelegten Bundeseinkommensgrenzen ein und könnte in Berlin den WBS 100 beantragen. In der nächsten Stufe sind 40 Prozent Überschreitung dieser Einkommensgrenzen erlaubt. Im Land Berlin sind damit Single-Haushalte sowie Zweipersonenhaushalte mit einem Jahresnettoeinkommen (Haushalt!) von 16.800 Euro beziehungsweise 25.200 Euro zur Beantragung des WBS 140 berechtigt. Jedes Kind und jede:r weitere Angehörige:r im Haushalt erlaubt weitere Einkommensüberschreitungen. Die WBS 100 und 140 sind berechtigt, eine vom Staat geförderte Wohnung zum Preis von 6,80 Euro pro Quadratmeter anzumieten. Dabei geht es um das sogenannte Fördermodell I. Weitere Einkommensstufen für die WBS-Berechtigung liegen bei 60 und 80 Prozent Überschreitung der Einkommensgrenzen. Mieter:innen dieser WBS-Kategorien sind berechtigt, Wohnungen zum Preis von 8,50 Euro pro Quadratmeter anzumieten. Es handelt sich dabei um das Fördermodell II. Die folgende Grafik fasst die Details zu allen vier Stufen übersichtlich zusammen.
Und: Die Mieten sind zu hoch!
Die geplante neue Einstiegsmiete in Höhe von 6,80 Euro pro Quadratmeter beim Fördermodell I ist zu hoch (bisher lag sie bei 6,50 Euro). Infolge der drastisch gestiegenen Energiepreise könnten die Betriebskosten einschließlich Heizung und Warmwasser zukünftig einen zusätzlichen Quadratmeterpreis von 3,50 bis 3,80 Euro ausmachen. Für die WBS-berechtigten Mieter:innen mit den niedrigsten Einkommen wird dies zu einer monatlichen Warmmietenbelastung von 40 Prozent – oder anders ausgedrückt: zu Warmmieten in Höhe von über 10 Euro pro Quadratmeter – führen. Damit würde vermutlich ein nicht unerheblicher Anteil der Haushalte unter die Armutsgrenze geraten. Bei der vorgesehenen Gewährung großzügiger Tilgungsverzichte ist es nicht nachvollziehbar, warum die Einstiegsmieten der alten Wohnraumförderbestimmungen nun angehoben werden sollen.
Unser Fazit
Ob diese Art der Anreizpolitik Erfolg haben kann, steht in den Sternen. Was der Entwurf der WFB 2022 jedoch klar zeigt: Die Politik hat noch immer keine Lösung dafür, auch private Investor:innen zum Gemeinwohl zu verpflichten. Da hilft auch die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarte Neue Wohngemeinnützigkeit nichts, denn der Pool ist leider nicht über Nacht gefüllt mit Akteuren, die gemeinnützig bauen und wirtschaften wollen.
Nach unserer Auffassung befinden wir uns bei der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus in einer fundamentalen Krise, die nicht über neue Förderbestimmungen gelöst werden kann. Förderangebote allein werden den sozialen Wohnungsbau seinem eigentlichen Ziel nicht näher bringen können, denn es gibt Grenzen der verantwortbaren Umverteilung von Vermögen. Tilgungsverzichte für private Investor:innen sind daher nicht zu rechtfertigen. Hier werden einer kleinen Gruppe von Immobilieninvestor:innen mit massiven staatlichen Mitteln Geldgeschenke ausgereicht und mit attraktiven Darlehen nach Ablauf von 30 Jahren privatwirtschaftliche Renditeerwartungen in Aussicht gestellt.
19.05.2022