Seit Anfang 2020 gibt es eine Berliner Initiative zum Aufbau einer Gewerkschaft für Mieterinnen und Mieter. Vorbild ist Schweden, wo es eine solche Interessenvertretung seit 100 Jahren gibt. Das MieterMagazin sprach mit Maria Menini und Mio Decker über ihr Anliegen.
MieterMagazin: Ihre Idee klingt zunächst utopisch, schließlich gibt es weder Tarifverträge noch existiert ein Streikrecht. Wie soll das funktionieren?
Mio Decker: Dass sich Immobilienkonzerne und Gewerkschaften an einem Tisch setzen und Tarifmieten aushandeln wie in Schweden, muss bei uns erst im Mietrecht verankert werden. Das heutige Arbeitsrecht musste ja auch erst erkämpft werden. Wir sehen uns analog zu den Anfängen des Arbeiterkampfes. Das ist ein langer Weg.
Maria Menini: Wir wollen nicht darauf warten, dass diese Rechte vom Himmel fallen, sondern die Strukturen dafür schaffen. Viele fühlen sich in diesem Mietendesaster so machtlos, gerade nach dem Scheitern des Mietendeckels. Derzeit hängt es von den Ressourcen der Einzelnen ab, ob sie ihre Rechte einfordern, finanziellen wie mentalen. Deswegen sind kollektive Rechte so wichtig.
Mio Decker: Es gibt viele Initiativen, die sich wehren, aber oft bleiben sie temporär und nur auf ihr Haus beschränkt. Wir wollen kiez- und eigentümerübergreifende Vernetzungen unterstützen. Die Vermieter-Seite ist schließlich auch bestens vernetzt und organisiert. Langfristig brauchen wir schlagkräftige Mittel, um die Machtverhältnisse zwischen Mietern und Vermietern zu verändern.
MieterMagazin: Sie sprechen sich in diesem Zusammenhang unter anderem für Mietstreiks aus. Ist das nicht riskant? Man könnte seine Wohnung verlieren.
Mio Decker: Richtig, das Werkzeug Mietstreik ist derzeit zu riskant. Das muss gut durchdacht sein und wir müssen erst einmal die Basis dafür schaffen. Dafür braucht es einen gewissen Organisationsgrad und viele Menschen, die mitmachen. Und es braucht gewisse Strukturen, damit nicht Einzelne herausgepickt und gekündigt werden.
Maria Menini: Mietstreik ist nur ein Instrument. Es gibt andere Druckmittel. Beispielsweise Mietminderungsrechte penibel auslegen und wegen Kleinigkeiten massenhaft mindern. Oder die Miete zurückhalten, bis der kündigungsrelevante Rückstand erreicht ist. Über die geeigneten Mittel wird in unserer AG Recht diskutiert. Wir stehen auch in Austausch mit der Mietergewerkschaft in Frankfurt/Main.
MieterMagazin: Werden Mietervereine überflüssig, wenn es Gewerkschaften gibt?
Maria Menini: Nein, das ergänzt sich. Wir sehen uns in einem anderem Spektrum. Individuelle Rechtsberatung wollen wir nicht machen, wir wollen über den Dienstleistungsansatz hinausgehen.
MieterMagazin: Wie sind Sie organisiert?
Mio Decker: Wir sind ein nicht-eingetragener Verein mit derzeit circa 70 Mitgliedern. Wir sind strikt basisdemokratisch aufgebaut, einmal im Monat treffen wir uns zur Mitgliederversammlung. Wir haben uns in verschiedene AGs aufgeteilt, die recht selbstständig arbeiten. Im letzten Jahr waren wir viel mit der Vernetzung der Mieterinnen und Mieter aus den Blaczko-Häusern beschäftigt. Immerhin haben wir es geschafft, dass Blaczko die illegalen Videokameras in den Häusern entfernt hat. Auch die Heimstaden-Vernetzung haben wir unterstützt und unter anderem erreicht, dass Heimstaden alle möbliert und auf Zeit vermieteten Wohnungen wieder regulär vermietet hat.
Interview: Birgit Leiß
Skeptischer Blick auf das Schwedische Modell
Beim Berliner Mieterverein ist man schon seit Längerem mit der schwedischen Mietergewerkschaft im Gespräch, dennoch steht man der Idee einer Mietergewerkschaft eher skeptisch gegenüber. „Mehr echte Mitbestimmung fordern wir schon seit Langem, aber das schwedische Modell zeigt, dass Tarifverträge nicht die beste Methode sind, um Mieten abzusichern“, erklärt Reiner Wild. Der Geschäftsführer des BMV befürchtet eine Zersplitterung der Mieterschaft, denn es wird Vermietergruppen geben, für die die tarifrechtlichen Vereinbarungen nicht gelten – oder die sie mit allerlei Tricks umgehen. Zudem fehlt das schärfste Schwert, dass beispielsweise eine organisierte Arbeiterschaft hat: das Streikrecht. Das Mietrecht müsste also komplett geändert werden. Wilds Fazit: Für breite Schichten der Mieterschaft würden tarifliche Mietpreise keine Vorteile bringen.
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24.01.2023