Leitsatz:
Die Wirkungen der Enthaftungserklärung des Verwalters erstrecken sich regelmäßig auch auf ein vom Schuldner eingegangenes Untermietverhältnis, das den angemieteten Wohnraum betrifft.
BGH vom 2.12.2021 – IX ZR 206/20 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 16 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Wird über das Vermögen des Mieters die Insolvenz eröffnet, kann der Insolvenzverwalter den Wohnraummietvertrag nicht kündigen, aber erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf von drei Monaten zum Monatsende fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (sogenannte Enthaftungs- oder Freigabeerklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das dient dem Zweck, den Schuldner vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Auf diese Weise soll § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auch dem Ziel des Verbraucherinsolvenzverfahrens dienen, dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen.
Bislang nicht geklärt war die Frage, welche Auswirkungen das auf einen den angemieteten Wohnraum betreffenden Untermietvertrag hat.
Vorliegend war über das Vermögen des Wohnraumieters am 14.7.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Mieter hatte bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Teil der Wohnung untervermietet. Die Untervermietung erfolgte zur Verminderung der aus der Anmietung erwachsenden Kosten, nachdem sich der Mieter von seiner Ehefrau getrennt hatte. Die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Zeit von August 2017 bis Oktober 2018 gezahlten Untermieten wurden nicht an den Insolvenzverwalter abgeführt, sondern an die Hauptvermieterin weitergeleitet.
Der Insolvenzverwalter, der mit Wirkung vom 1.11.2017 die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgegeben hatte, nahm den Mieter auf Zahlung in Höhe der seit Verfahrenseröffnung geschuldeten Untermieten in Anspruch. Der BGH versagte dem Insolvenzverwalter diesen Anspruch.
Nach § 148 Abs. 1 InsO sei es die Pflicht des Insolvenzverwalters, nach Eröffnung des Verfahrens das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Deshalb gehe es hier um die Frage, ob der Mieter zur Erstattung der an die Hauptvermieterin geflossenen Gelder an die Insolvenzmasse verpflichtet sei. Das erfordere einen materiell-rechtlichen Anspruch. Der Sache nach gehe es um eine Rückgängigmachung einer infolge der Weiterleitung der Gelder an die Hauptvermieterin eingetretenen Masseverkürzung.
Der Mieter sei aber nicht zur Erstattung der nach Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung vereinnahmten Untermietzahlungen verpflichtet. Es fehle an der für einen Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB erforderlichen Leistung an einen Nichtberechtigten (§ 816 Absatz 2 BGB: Wird an einen Nichtberechtigten eine Leistung bewirkt, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist, so ist der Nichtberechtigte dem Berechtigten zur Herausgabe des Geleisteten verpflichtet.). Die Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO habe dazu geführt, dass nicht mehr die Insolvenzmasse, sondern der Mieter berechtigt im Sinne des § 816 Abs. 2 BGB gewesen sei.
Die Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters habe gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO dazu geführt, dass Ansprüche aus dem Hauptmietverhältnis nicht mehr im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters geltend gemacht werden konnten. Der Wirksamkeit der Erklärung stehe nicht entgegen, dass der Mieter die Wohnung teilweise untervermietet hatte. § 553 BGB zeige, dass die Untervermietung eines Teils der Wohnung der Annahme eines (einheitlichen) Wohnraummietverhältnisses nicht entgegenstehe. Die Untervermietung ändere auch nichts daran, dass Lebensmittelpunkt des Mieters weiterhin die von der Hauptvermieterin angemietete Wohnung war. Die von dem Insolvenzverwalter abgegebene Erklärung erfasse daher das gesamte, einheitlich zu behandelnde Hauptmietverhältnis.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung in vollem Umfang auf den Insolvenzschuldner, also den Mieter über. Dabei erfasse die Enthaftungserklärung regelmäßig auch das Untermietverhältnis. Dem entspreche es, dass die Wirkung einer Freigabe auch den Erlös aus der Verwertung eines freigegebenen Vermögensgegenstands erfasse. Im Übrigen könne der Insolvenzverwalter frei entscheiden, ob er die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgibt oder nicht. Sind die der Masse zustehenden Forderungen aus dem Untermietverhältnis ausnahmsweise höher als die Belastungen aus dem Hauptmietverhältnis, könne er von der Enthaftungserklärung absehen.
26.05.2022