Mit der Aufbruchstimmung der 1980er Jahre hat Reiner Wild den Berliner Mieterverein zu einem schlagkräftigen Akteur in der bundesweiten Wohnungspolitik geformt. Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, erinnert sich.
Vor mehreren Dekaden, gefühlt in grauer Vorzeit, übernahm eine vom Aufbruch bestimmte Generation die Macht beim Berliner Mieterverein. Ein demokratischer Putsch der Jungen hatte den alten Vorstand weggefegt.
Reiner Wild war dabei, wie historische Fotos belegen.
Mit ihren Bärten und langen Haaren sahen sie schon ein wenig aus wie eine revolutionäre Garde, die den – wie es damals hieß – bürgerlichen Verein ordentlich aufzumischen gedachte.
Und sie gingen gründlich und erfolgreich zu Werke, was man schon an der enormen Steigerung der Mitgliederzahl von deutlich unter 100.000 auf inzwischen 180.000 ablesen kann.
Der Berliner Mieterverein mit seiner hervorragenden Rechtsberatung und -vertretung als Hauptstandbein hat seit Jahrzehnten einen festen Platz in der Berliner Stadtpolitik. Er ist bei wohnungs- und mietenpolitischen Fragen nicht mehr wegzudenken – und ein Störfaktor im besten Sinn. Handeln die Regierenden gegen das Interesse der Mieter:innen prangert der Berliner Mieterverein Ungerechtigkeiten unmittelbar an.
Diese Entwicklung hat in erheblichem Maße mit dem Namen Reiner Wild zu tun.
Er war von Anfang an mittenmang dabei. Der junge Sozialwissenschaftler gehörte zwar nicht mehr zur Generation der 68er, dafür war er zu spät geboren, er erlebte Berlin und seine Wohnungssituation aber in den Jahren nach Rudi Dutschke und Benno Ohnesorg.
Als er 1981 zum Berliner Mieterverein stieß, war Reiner von Beginn an getrieben, Gutes für Mieter:innen bewirken zu können. Dem Verein und seiner Mission ist er bis heute treu geblieben. Reiner ist – wenn man so will – eine Art Uwe Seeler der Mieter:innenbewegung.
Als Spielführer hat er dem Berliner Mieterverein mit Wucht, Charme und ungeheurem Fleiß seinen Stempel aufgedrückt. Die Berliner Stadtpolitik der vergangenen zehn Jahre ist wohnungspolitisch die aktivste unter Deutschlands großen Städten. Mietendeckel, Mietenvolksentscheid, die beabsichtigte Bebauung eines Teils des Tempelhofer Feldes, viele sozialpolitische Weichenstellungen, überall hatte Reiner Wild seine Hände im Spiel. Wenn nicht als Initiator, d ann stets als der realistische Kommunikator.
Er musste dabei aber auch lernen, dass ein Senat, an dem Rote, ganz Rote oder Grüne beteiligt sind, keineswegs automatisch die Interessen von Mieterinnen und Mietern beziehungsweise der Menschen mit geringem Einkommen im Blick hat, sondern dazu erst manches zusätzlichen Anstoßes bedarf. Und wenn die Wählerinnen und Wähler bei hoher Wahlbeteiligung in einem Volksentscheid beschließen „Deutsche Wohnen und Co. zu enteignen“, heißt das noch lange nicht, dass der rot-rot-grüne Senat das auch umsetzt.
Reiner Wild ist ein überall geachteter, wenn auch nicht immer bequemer Gesprächspartner. Er kann Politik, weiß Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, behält die große Linie, widmet sich aber trotzdem mit viel Hingabe dem Detail. Die Anzahl der Termine, die er wahrnimmt mit Politiker:innen, Sozialverbänden, Klimaschutzorganisationen, Regierungen, wohnungswirtschaftlichen Verbänden und anderen Akteur:innen ist kaum zählbar.
Immer ist er voll und ganz dabei, ordnet die Themen ein, geht in die Tiefe und kämpft auf allen Ebenen für die Mieter:innen.
2018 haben der Berliner Mieterverein, der Deutsche Mieterbund und eine Reihe weiterer Organisationen erfolgreich einen alternativen Wohngipfel als Gegenstück zum unmittelbar bevorstehenden „Wohlfühlwohngipfel“ der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel veranstaltet. Die Hauptlast der Organisation lag beim Berliner Mieterverein und davon wiederum ein sehr großer Anteil bei ihm.
Seit 2011 ist Reiner, der die Anliegen der Mieter:innenbewegung nie als nur lokal begrenzt, sondern stets als nationale, im Rahmen der International Union of Tenants auch als internationale Aufgabe betrachtet, folgerichtig im Präsidium des Deutschen Mieterbundes, seit 2019 auch als dessen Vizepräsident.
Seinem Einfluss ist es zu verdanken, dass sich der aus Berliner Sicht als eher vorsichtig evolutionär empfundene Dachverband und der Berliner Mieterverein aufeinander zubewegt haben.
Heute ist der Bart ab und der Berliner Mieterverein, ohne sich verbiegen zu müssen, längst integraler Bestandteil des Deutschen Mieterbundes. Er stellt mehr als 10 Prozent der Mitglieder und leistet darüber hinaus wichtige programmatische und pragmatische Arbeit für den Gesamtverband.
Reiner hat seine Mission erfüllt.
26.08.2022