beschlossen am 13.9.2021
Der Krise trotzen:
Strikte Mietenregulierung einführen, Gemeinwohl-Neubau stärken
Präambel:
Die wohnungs- und mietenpolitische Auseinandersetzung in Berlin wurde 2019 und Anfang 2020 weitgehend von der Einführung des „Mietendeckels“ bestimmt, mit dem Senat und Abgeordnetenhaus den Mietern und Mieterinnen eine 5-jährige Verschnaufpause durch landesgesetzliche Preisbeschränkungen bei den Mieten verschaffen wollten. Der Berliner Mieterverein hat – trotz etwas abweichender Vorschläge im Einzelnen – den bundesweit einmaligen Vorstoß der Berliner Landesregierung begrüßt, sich aktiv für den „Deckel“ eingesetzt und ihn gegenüber den massiven Angriffen der Immobilien- und Bauwirtschaft sowie den Oppositionsfraktionen im Abgeordnetenhaus verteidigt, weil damit erstmals seit langem wieder eine wirksame Mietpreisdämpfung erzielt hätte werden können. Bedauerlicherweise hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts das Mietendeckel-Gesetz als von Beginn an für nichtig erklärt, weil das Land Berlin keine Gesetzgebungskompetenz für öffentlich-rechtliche Mietregulierungen habe. Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde eine Nachzahlungspflicht für große Teile der Berliner Mieterschaft ausgelöst, die für zahlreiche Mieter und Mieterinnen, die während der Corona-Pandemie erhebliche Einkommensverluste haben, das Risiko eines Wohnungsverlustes bedeuten. Mit dem Ende des Berliner Mietendeckels wurde allerdings eine bundesweite Debatte über weitergehende Eingriffe zur Regulierung angespannter Märkte angestoßen. Eine spontane Demonstration mit mehr als 15.000 Teilnehmer:innen am Tag der Urteilsverkündung hat dem nun weitergehenden Protest der Mieter und Mieterinnen einen starken Ausdruck verliehen.
Soziale Wohnraumversorgung muss überwiegend im vorhandenen Wohngebäudebestand gelöst werden. Eine wirksame Mietenregulierung reicht aber nicht aus. Es muss daher noch eine Antwort für das fehlende Angebot an leistbaren Mietwohnungen gefunden werden. Der Gemeinwohl-Wohnungsbestand muss deutlich erhöht werden. Das hat das letzte Jahrzehnt gezeigt, in dem sich die Wohnungspolitik weitgehend an privatwirtschaftlichen Renditeerwartungen orientiert hat. Staatliche Eingriffe und das finanzielle Engagement der öffentlichen Körperschaften müssen stattdessen eine stärkere Bedeutung erlangen. Denn der Handel mit Wohnraum durch private Immobilienunternehmen ist für Mieter und Mieterinnen weiter beängstigend. Nur zum Teil kann durch die Ausübung von Vorkaufsrechten in Milieuschutzgebieten die Stärkung des Gemeinwohlsektors unterstützt werden. Die Stärkung des Gemeinwohlsektors und das Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen waren und sind weiter zentrale Themen.
Die seit März 2020 grassierende COVID 19-Pandemie bewirkte eine seit dem zweiten Weltkrieg in Deutschland beispiellose gesundheitliche sowie finanzielle Belastung und Verunsicherung für weite Teile der Bevölkerung. Besonders betroffen waren und sind dabei Haushalte in prekären Lebenssituationen. Die Pandemie hat dabei die Chancenungleichheit weiter verschärft. Durch das hohe Infektionsrisiko wurde die Bedeutung der Wohnung als Rückzugsort und Schutzraum besonders deutlich. Berliner Mieterverein und Deutscher Mieterbund sowie viele andere Organisationen und Persönlichkeiten setzten sich daher für rasche Hilfen an Obdachlose und den Ausschluss von Kündigungen wegen Corona-bedingter Zahlungsunfähigkeiten ein. Nur teilweise mit Erfolg, denn insbesondere die CDU/CSU im Bund wollte nicht mehr zugestehen als einen Aufschub der Kündigungsmöglichkeit bis Juni 2022 für Zahlungsrückstände der Monate April-Juni 2020. Die Bundesregierung setzt für Gewerbe und Selbstständige auf Direkthilfen und Darlehen, für Mieter und Mieterinnen nur auf die üblichen Transfers wie SGB II und SGB XII sowie Wohngeld, deren Auszahlungen befristet erleichtert wurden. Immerhin, der Berliner Senat hat für seine eigenen Wohnungsunternehmen einen besonderen Corona-Mieterschutz beschlossen, der weiterhin Gültigkeit hat. Er hat zudem Kernelemente des Mietendeckels – allerdings erst nach breitem Protest – in das Mietenkonzept für die städtischen Wohnungsunternehmen integriert.
Der „lock down“ im Frühjahr 2020 hat zudem die Rahmenbedingungen für die gesamte Fiskalpolitik und die Wohnungspolitik einschneidend verändert. Es gab massive Umsatzrückgänge in Schlüsselbereichen von Industrie und Dienstleistung, Massenentlassungen wurden angekündigt oder bereits umgesetzt; vielen Betrieben drohte und droht die Insolvenz. Um einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern, wurde die Kurzarbeiterregelung in erheblichem Maße ausgeweitet. Die privaten Haushalte, die von Verdienstverlusten betroffen waren, haben pandemiebedingt ihre disponiblen Konsumausgaben zu Lasten des Gast- und Tourismusgewerbes und dem Erwerb von Gütern des allgemeinen Bedarfs eingeschränkt Die vertraglich fixierten Ausgaben für das Wohnen sind auch über Juni 2020 hinaus offenbar nur im unabwendbaren Notfall eingeschränkt worden, sodass es bisher nicht zu einer größeren Zahl von Wohnraumverlusten kam.
Die Pandemie hat wirtschaftliche und soziale Probleme erheblichen Ausmaßes in Deutschland, innerhalb Europas und weltweit hervorgerufen, die die Dimension der großen Depression in den frühen 1930er Jahren erreicht hat. Für eine stark exportabhängige Nation wie die Bundesrepublik Deutschland bedeutet das, dass die Krisenfolgen nur durch Kooperation der Staatengemeinschaft zu bewältigen sind.
Mit der Pandemie sind die erheblichen Defizite bei der Verbesserung und Stärkung der sozialen und technischen Infrastruktur einschließlich der notwendigen Investitionen in eine soziale Wohnungsbau-, Stadtentwicklungs- und Klimaschutzpolitik nicht entfallen. Daher muss dem Bund, den Ländern und Kommunen auch über die konkrete Pandemie-Krisenintervention hinaus ein finanzieller Gestaltungsraum geschaffen bzw. erhalten werden. Der Wiedereinsetzung der Schuldenbremse – von Finanzminister Scholz (SPD) bereits angekündigt – ist daher eine Absage zu erteilen. In diesem Szenario können und müssen der staatlich geförderte Wohnungsneubau und die staatlich geförderte energetische Sanierung eine Schlüsselrolle übernehmen, die zusammen mit dem enormen Nachholbedarf in der digitalen Infrastruktur, dem öffentlichen Verkehr und dem Ausstieg aus der fossilen Energie für ein sozial- und umweltverträgliches Wachstum sorgen können.
Eine starke soziale Wohnungspolitik als Baustein der Krisenbewältigung
Die Wohnkaufkraft ist in Berlin schon im statistischen Durchschnitt deutlich niedriger als in vergleichbaren Großstädten wie Hamburg, München oder Stuttgart. Bedingt durch die Corona-Krise ist sie in 2020 gesunken. Dass die Immobilienpreise in Berlin trotz Corona-Krise und allgemeinen Umsatzrückgängen stark angestiegen sind, wird verschiedentlich als Beitrag des Immobiliensektors zu einer sektoralen wirtschaftlichen Stabilisierung gefeiert. Demgegenüber warnen Sachverständige auf nationaler und internationaler Ebene immer deutlicher vor einer Immobilienblase, die durch Flucht in Sachwerte, niedrige Hypothekenzinsen und Talfahrt einiger Aktienkurse genährt wird. Ein Immobilienboom, der parallel zu einer krisenbedingt sinkenden Kaufkraft und einem Anstieg der Zahl der Haushalte in prekären Lebenslagen erfolgt, ist das Gegenteil von Stabilisierung. Denn die vor der Corona-Krise bereits überzogene Rendite der Immobilienwirtschaft wird gegenwärtig durch Gewinnerwartungen genährt, die völlig irreal sind. Kreditfinanzierte Investitionen im Immobiliensektor müssen mittelfristig über steigende Mieteinnahmen oder den Verkauf von Wohnungen nach Umwandlung refinanziert werden. Ein funktionierender Mietendeckel und ein Umwandlungsverbot sind deshalb auch Instrumente, um gesamtwirtschaftlich gefährliche Instabilitäten abzuwehren.
Strikte Mietenregulierung
Mit einem öffentlich-rechtlichen Landesgesetz, dem „Mietendeckel“, hatten Berliner Senat und Abgeordnetenhaus versucht, einen mieten- und wohnungspolitischen Systemwechsel herbeizuführen, der eine kontrollierte Entwicklung der Mieten ermöglicht und den Mietenanstieg deutlich hätte begrenzen können. Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat auf eine Normenkontrollklage von CDU/CSU und FDP-Abgeordneten hin das Mietendeckelgesetz als von Beginn an für nichtig erklärt, weil das Land keine Kompetenz habe, Mietpreise im Rahmen des Wohnungswesens zu regeln. Vielmehr habe der Gesetzgeber Mietpreisregeln konsequent im bürgerlichen Recht verankert. Damit gebe es im Wohnungswesen keine Kompetenz mehr für Mietpreisregeln freifinanzierter Wohnungen. Dieser Betrachtung wird vielfach widersprochen. Durch eine Staatspraxis könne keine verfassungsrechtlich normierte Kompetenz verschoben werden. Im Übrigen ist auch die Staatspraxis keineswegs so stringent auf das bürgerliche Recht konzentriert. Der BMV ist der Auffassung, dass das Bundesverfassungsgericht Alternativen zu dieser Entscheidung gehabt hätte. Eine intensive Auseinandersetzung mit den Befürwortern der Landeskompetenz hat nicht stattgefunden. Auch auf eine mündliche Verhandlung wurde verzichtet. Der Landesregierung und dem BMV wird vorgeworfen, diese juristische Niederlage sei vorhersehbar gewesen. Das ist falsch. Denn in einem Beschluss zu einem Eilantrag hatte der 1. Senat des BVerfG (Beschluss vom 10.3.2020, 1 BvQ 15/20) noch ausdrücklich erklärt, dass die Kompetenzfrage offen sei. Zudem hatten zwei Kammern des Berliner Landgerichts, zahlreiche Amtsrichter und Amtsrichterinnen wie auch das Berliner Verwaltungsgericht den „Mietendeckel“ als verfassungsgemäß betrachtet. Trotz des BVerfG-Beschlusses war es richtig, notwendig und angemessen, dass das Land Berlin den Vorstoß für eine landesrechtliche Mietenbegrenzung unternommen hat, denn alle anderen Regelungen, Wohnraum in Berlin für Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen zugänglich zu machen bzw. zugänglich zu halten, haben sich zuvor als wirkungslos erwiesen.
Der BMV wird nun die ganze Kraft in die Verbesserung der bundesgesetzlichen Regelungen setzen. Der bereits angelaufenen bundesweiten Kampagne für einen Mietenstopp, die vom BMV mitgetragen wird, hat der Beschluss des BVerfG neuen Auftrieb gegeben. Auch die Bestrebungen, die großen gewinnorientierten Wohnungsunternehmen zu vergesellschaften, werden an Stoßkraft gewinnen. Wie genau ein Mietpreisrecht aussehen soll, dass auf angespannten Märkten Mieter und Mieterinnen nicht übervorteilt, andererseits aber eine zu definierende Wirtschaftlichkeit des Immobilieneigentums absichert, wird im Hinblick auf das BVerfG noch zu ermitteln sein. Es spricht viel dafür, dass das System der ortsüblichen Vergleichsmiete keine adäquate Lösung mehr darstellt, weil es keine Regelung für das Preisniveau selbst bieten kann. Eine öffentliche-rechtliche Mietpreisregulierung bietet deshalb in vielfacher Hinsicht Vorteile. Wie sie umgesetzt werden kann, ist derzeit nicht klar. Solange wird der BMV sich für Verbesserungen im BGB einsetzen, für eine stärkere Kappung der Mieterhöhungen – auch bei Modernisierung – und eine tatsächlich wirksame Mietpreisbremse
Die anhaltend hohe Nachfrage nach Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung erfordert einen weiteren Aufbau der am Gemeinwohl orientierten Wohnungsversorgung. Nicht nur rechnerisch besteht ein immenses Defizit an preisgünstigem Wohnraum. Damit deutlich mehr preiswerte Wohnungen neu gebaut werden können, müssen jedoch diverse Rahmenbedingungen geändert werden. Es steht zu befürchten, dass die dafür notwendigen Eingriffe ebenfalls verfassungsrechtlicher Prüfung unterzogen werden, wie die aktuelle Kritik der Immobilienwirtschaft am Baulandmobilisierungsgesetz vermuten lässt. Gleichwohl muss das Land Berlin sich für die dazu notwendige Planung, die Liegenschaftspolitik und die Bereitstellung preiswerter Grundstücke politisch und fiskalisch stärker engagieren. Damit die öffentliche Hand die soziale Wohnraumversorgung stärken kann, sind eine Reihe von Maßnahmen und neuer Instrumente erforderlich. Nicht alles wird das Land Berlin im Alleingang erreichen können. Die Bundespolitik muss an vor allem mit einer neuen Bodenpolitik diesen Prozess unterstützen.
Gleichzeitig stehen wir vor einer riesigen ökologischen Herausforderung. Das hat der aktuelle Beschluss des BVerfG zum unzureichenden Klimaschutzgesetz des Bundes eindringlich klar gemacht. Unabhängig von der Preisfrage ist unklar, wie viele Neubauten wir uns noch leisten können. Der weltweite Neubaubedarf würde mit den aktuell zur Verfügung stehenden Bautechnologien und Materialien fast das gesamte weltweit verbliebene Restbudget an CO2-Emissionen aufbrauchen. Dies wird nicht gehen. Für Deutschland hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen schon 2016 festgestellt, dass unter den heutigen Bedingungen bis 2050 allein durch Neubau 350 Gigatonnen CO2 freigesetzt würden. Mit dem 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens dürften es aber insgesamt nur 400 Gt sein. Die aktuelle Bundesregierung ist ratlos. Klar ist, mit der Devise „Bauen, bauen, bauen“ werden wir nicht weit kommen. Der vorhandene Bestand muss besser genutzt und die räumliche Verteilung von Arbeitsplätzen stärker gesteuert werden.
Forderungen des Berliner Mietervereins:
Strikte Mietenregulierung mittelfristig als öffentlich-rechtliche Gesetzgebung absichern
Der Berliner Senat aber auch der DMB, seine Landesverbände und Mietervereine, Mieterinitiativen und auch Bündnispartner in Wissenschaft und Politik sind aufgefordert, sich an der Erarbeitung von Konzepten zukunftsgewandter Mietpreisregulierung zu beteiligen. Im Hinblick auf die aus diversen Gründen beschränkte Möglichkeit, durch Neubau zu einer Marktentspannung zu kommen, muss dauerhaft bei einer das Angebot übersteigenden Nachfrage auf den Wohnungsbestand von der Notwendigkeit preisregulierender Vorschriften ausgegangen werden. Mit einer öffentlich-rechtlichen Mietenbindung sind gegenüber dem an den Marktverhältnissen orientierten Vergleichsmietensystem zahlreiche Vorteile verbunden. Es besteht die Möglichkeit, unabhängig von der Marktsituation in Abhängigkeit von der Einkommensentwicklung das Mietpreisniveau festzulegen, bei Wiedervermietung Ausschläge aufgrund von Knappheitssituationen zu vermeiden, gesellschaftlich gewünschte und notwendige Investitionen zu fördern und den Mietern und Mieterinnen eine einfache Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche zu ermöglichen. Ob ein solcher Systemwechsel nach dem „Mietendeckel-Aus“ durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Landeskompetenz über die Wohnraumbewirtschaftung oder über bundesgesetzliche Regeln umsetzbar wird, ist heute noch nicht abzusehen.
Bis zu einem Systemwechsel muss über die Reform des BGB ein weiterer Anstieg der Wohnkostenbelastung vermieden werden und über eine Reform des Wirtschaftsstrafgesetzes bei Mietpreisüberhöhungen auch eine Senkung von Mieten ermöglicht werden. Für die Vermeidung weiterer Mietbelastung ist die Kappungsgrenze auf 1,5% pro Jahr zu senken, die Mieterhöhung nach Modernisierung auf gesellschaftlich notwendige Baumaßnahmen zu beschränken und die daraus resultierende Mieterhöhung bei maximal 1,50 €/qm monatlich zu kappen. Die Mietpreisbremse ist zu schärfen, indem die Ausnahmen beseitigt werden.
Sicher-Wohnen-Fonds des Bundes
In der ersten Welle der Pandemie hatten Bundestag und Bundesrat beschlossen, Kündigungen wegen nachweislich Corona-bedingter Mietschulden aus den Monaten April bis Juni 2020 bis zum 30. Juni 2022 auszuschließen. Die aufgelaufenen Mietschulden sind allerdings samt Verzinsung bis spätestens zum 30. Juni 2022 zu tilgen. Der Zeitraum für den Ausschluss von Kündigungen wegen Zahlungsunfähigkeit kann durch Rechtsverordnung der Bundesregierung verlängert werden. Hiervon hat die Bundesregierung aber keinen Gebrauch gemacht. Der Berliner Senat hat im März 2020 ein Paket mit weiteren Maßnahmen beschlossen und finanzielle Hilfen für Mieterinnen und Mieter und Vermieterinnen und Vermieter in Aussicht gestellt und bis heute verlängert.
Es hat sich bewahrheitet, dass der Bedarf für die Inanspruchnahme staatlicher Notfallhilfen erst dann zum Tragen kommt, wenn Mieterhaushalte durch eine lange Zeit Corona-bedingter Einkommensrückgänge ihre Rücklagen aufgezehrt haben. Die Miete ist zwangsläufig der letzte Posten, der für Einsparungen in Frage kommt, da den Mietern und Mieterinnen bei Einstellung der Mietzahlung der Wohnungsverlust droht. Der „Sicher-Wohnen-Fonds“ des Bundes ist deshalb nach der zweiten Welle der Pandemie dringender geworden als zu Beginn. Nach wie vor sind direkte und unbürokratische finanzielle Hilfen jenseits der üblichen Hilfesysteme von SGB II, SGB XII und Wohngeld notwendig. Der Bedarf und der Abruf von Mitteln aus einem „Sicher-Wohnen-Fonds“, aus dem Mietzahlungen teilweise oder ganz – nach Bedarfslage und Angemessenheit – in Form von Zuschüssen gedeckt werden können, wird vermutlich erst noch entstehen. Dabei soll aber sichergestellt werden, dass mit staatlichen Hilfen nur die für eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung erforderlichen Miethöhen subventioniert werden. Ein solcher Fonds ist durch den Bund einzurichten. Im Zweifel muss das Land einspringen.
Preisgünstiger Neubau und andere Angebotsausweitung
Seit 2014 stieg in Berlin die Zahl der Fertigstellungen von Wohnungen in Neubauten auf fast 17.000 in 2019 an, doch gleichzeitig wurden im Melderegister positive Bevölkerungssalden von jährlich 23.000 – 33.000 Bewohnern von 2017- 2019 registriert. In 2020 gab es erstmalig seit vielen Jahren wieder einen Bevölkerungsverlust von allerdings nur 2.000 Personen, bei rund 14.700 fertig gestellten neuen Wohnungen. Die Schere zwischen einer gewachsenen Nachfrage und einem mäßig wachsenden Angebot ist dennoch weit auseinandergegangen. Für die begrenzte Angebotsausweitung von preiswertem Wohnraum sind viele Faktoren verantwortlich, vor allem aber die enorm angestiegenen Bodenpreise, die mittlerweile in zentralen Lagen über die Hälfte der Erstellungskosten im Neubau ausmachen. Der Mangel an verfügbaren und für den Bau bezahlbarer Wohnungen geeigneten Grundstücken ist ein wesentlicher Grund für den unzureichenden Neubau für breite Schichten der Bevölkerung. Die Tatsache, dass die am einfachsten zu bebauenden Grundstücke zuerst beplant wurden und jetzt die komplizierteren Bebauungen folgen, ist ein weiterer Faktor. Kapazitätsgrenzen bei Planern und in der Bauwirtschaft sowie langsame Verwaltungsprozesse sind ebenfalls Hindernisse. Zudem ist die Nachfrage nach Neubau von teuren Eigentumswohnungen oder hochpreisigen Mietwohnungen beschränkt.
Der BMV bekennt sich zu dem stadtpolitischen Ziel, den Neubau für breite Schichten der Bevölkerung zu verstärken. Dieser zusätzliche Neubau kann zu einer leichten Entspannung der Versorgungslage beitragen, wird das aber nicht in kurzer Frist erreichen. Vor allem dann nicht, wenn hauptsächlich das Luxussegment teurer Neubauwohnungen ausgeweitet wird. Bei starker Zuwanderung funktionieren Sickereffekte über Umzugsketten aus Wohnungen im unteren Preis- und Qualitätssegment nicht, weil besser verdienende Zuwanderer dann die „Umzugskette“ durchbrechen.
Notwendig ist vor allem der deutlich verstärkte Bau dauerhaft gebundener preisgünstiger Wohnungen durch gemeinwohlorientierte Unternehmen und Investoren. Diese Wohnungsbauträger müssen dazu bereit und in der Lage sein, sich auf eine dauerhaft gewinnlimitierte oder kostendeckende Bewirtschaftung einzustellen. Dafür kommen städtische bzw. landeseigene Wohnungsunternehmen, andere kommunale Träger, Genossenschaften, gemeinwohlorientierte Stiftungen, Baugruppen sowie Private in Frage. Die dafür notwendigen Fördermaßnahmen dürfen nicht mehr in dieser Tradition des Sozialen Wohnungsbaus von früher erfolgen. Die alte Anreizfinanzierung und der Tausch von Fördermitteln gegen zeitlich befristete Bindungen funktionieren schon aufgrund der niedrigen Kreditzinsen und der anders orientierten Bauträger nicht. Das Anknüpfen an dieser Tradition wäre auch deswegen falsch, weil dieses Systems dazu geführt hat, dass in Berlin jährlich sehr viel mehr Wohnungen aus der Bindung fallen als neue Sozialwohnungen gebaut werden. Für die rechtlichen und fiskalischen Rahmenbedingungen zu dieser neuen Gemeinwirtschaft gibt es Vorbilder im In- und Ausland. Vor allem aber ist dazu eine andere Bodenpolitik nötig.
Ein sehr großer Teil des bisher nach Berlin fließenden ausländischen und deutschen Kapitals fließt in Vermögensanlagen, die durch den Kauf bestehender Wohnungen abgesichert werden, ohne dass neu gebaut wird. Dahinter stehen unrealistische Erwartungen auf Immobilienwertsteigerungen, die sich von der örtlich vorhandenen Kaufkraft abgekoppelt haben. Dieser Trend wird durch einen dauerhaften historischen Tiefstand der Kreditzinsen zusätzlich angeheizt. Mit dem Umwandlungsstopp im neuen Baulandmobilisierungsgesetz und weiteren Mietpreisbegrenzungen kann dagegen ein deutliches Signal gesetzt werden.
Die Klimaschutzanforderungen an den Wohnungssektor werden nicht nur weitere Maßnahmen zur CO2-Reduktion im Gebäudebestand notwendig machen, sondern auch den Neubau – und damit auch den Bau von Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung – beschränken. Bei anhaltend hohem Bedarf muss der vorhandene Wohnungsbestand daher besser genutzt werden. Dies wird eine extrem schwierige Aufgabe. Denn über Preise soll der Wohnflächenkonsum aus sozialen Gründen nicht beschränkt werden. Bund, Länder und Kommunen sind aufgefordert, hierzu gemeinsam mit Anbietern und Vertretungen der Mieter und Mieterinnen Vorschläge zu entwickeln.
Eine neue Bodenpolitik
Die ersten Schritte zu einer anderen Bodenpolitik sind mit den Senatsvorgaben für die Arbeit der BIM (Berliner Immobilienmanagement) bereits eingeleitet worden. Zur Wohnbebauung geeignete Grundstücke, die in landeseigenem Besitz sind oder durch Zukauf, Rückkauf, Vergesellschaftung und die Wahrnehmung von Vorkaufsrechten in den Besitz des Landes kommen, sollen vorrangig an kommunale Wohnungsunternehmen oder in Erbpacht vergeben bzw. im Rahmen der Konzeptvergabe veräußert werden. Dabei muss der Erbpachtzins sozialverträglich gestaltet werden. Sollte es doch wieder zu Grundstücksverkäufen der öffentlichen Hand kommen – was der BMV ablehnt – soll dies mit der grundbuchlichen Absicherung eines Rückkaufsrechtes des Landes zu den alten Konditionen (Beispiel Ulm) erfolgen.
Die Konzeptvergabe soll mit einem verpflichtenden 50-Prozent-Anteil an preisgebundenen Wohnungen und der Vergabe an entsprechende Einkommensbezieher verknüpft werden.
Für die dringend notwendige aktive Liegenschaftspolitik muss in Berlin jährlich mindestens eine Milliarde in den Haushalt eingestellt werden. Diese Mittel sind Vorfinanzierungen für den Aufbau eines Bodenfonds, der haushaltsrechtlich einen Status als Vermögenserweiterung genießt und somit auch schuldenfinanziert möglich ist.
Die Möglichkeiten zur Wahrnehmung eines preislimitierten Vorkaufsrechts müssen gesetzlich erweitert, vereinfacht und umgesetzt werden.
Der jetzt vorliegende Kompromiss zur Grundsteuerreform ist unzulänglich. Er enthält jedoch eine Öffnungsklausel, die es dem Land Berlin grundsätzlich ermöglicht, eine reine Bodenwertsteuer einzuführen. Diese Chance muss genutzt werden. Mit einer solchen reformierten Grundsteuer können in Berlin Steuerungsmöglichkeiten verbunden werden, die Ausnahmen oder deutlich geringere Steuern für gemeinwohlorientierte Investoren festlegen. Die höchstrichterlich geforderte Schließung der Gerechtigkeitslücke bei der Besteuerung von Grund und Boden kann aber nach der jetzigen Rechtslage zu erheblichen Mehrbelastungen für Mieter führen. Daher fordert der BMV von der Bundesregierung nachdrücklich die Herausnahme der Umlagefähigkeit der Grundsteuer im Rahmen der Betriebskostenabwälzung auf die Mieter.
Klimaschutz und Energieeinsparung in Wohngebäuden jetzt sozialverträglich umsetzen, CO2-Steuer beim Eigentümer belassen
Die von Deutschland national wie international unterstützten Klimaschutzziele drohen auch deshalb zu scheitern, weil im Gebäudebestand der Ausstoß von CO2 nicht hinreichend gesenkt wird. Bundesregierung und Bundestag aber auch die Länder haben es versäumt, den Zielkonflikt zwischen notwendigen Klimaschutz- und Energieeinsparmaßnahmen im Wohngebäudebestand und der Zahlungsfähigkeit der Mieterinnen und Mieter aufzulösen. Selbst bei einer für Vermieter lukrativen und für Mieterinnen und Mieter erheblich belastenden Modernisierungsumlage von 11% lag die Modernisierungsrate nur zwischen 0,8 und 1% pro Jahr. Die aus diesen Mieterhöhungen erwachsenen sozialen Spannungen im Einzelfall haben zusammen mit Mieterprotesten beim Bundestag zum Einlenken geführt, der mit einer Mietrechtsnovelle zum 1.1.2019 eine Senkung der Umlage auf 8% und – von weit größerer Bedeutung – zusätzlich eine Kappungsgrenze für Mieterhöhungen von 2,- €/qm bzw. 3,- €/qm je nach Ausgangsmiete eingeführt hat. Auch wenn aus Sicht der Mieter und Mieterinnen diese Kappungsgrenzen zum Teil noch zu hoch sind, so hat doch diese Gesetzesnovelle zu einer Verringerung der Modernisierungstätigkeit geführt, wodurch die Modernisierungsrate weiter sank.
Doch mit der Absicherung dieser Sozialverträglichkeit ist der Klimaschutz in Wohngebäuden noch keinen Schritt vorangekommen und zukünftig zu erwartende Energiepreissteigerungen könnten zumindest in den energetisch schlechten Gebäuden wiederum zu einer sozialen Schieflage führen, auch im Hinblick auf die beschlossene CO2-Bepreisung fossiler Energieträger. Aus Sicht des Mietervereins ist daher jetzt die Zeit reif, Gebäudeeigentümer ordnungsrechtlich zu Maßnahmen im Klimaschutz und der Energieeinsparung zu zwingen und dies mit steuerlichen Erleichterungen zu unterstützen. Das bereits vor 10 Jahren vom Berliner Mieterverein vorgelegte Stufenmodell für ein Landesklimaschutzgesetz ist dafür ein guter Grundstein. Die Berliner Landesregierung ist daher aufgefordert, neben einer verbesserten öffentlichen Förderung auch ein wirksames Landesklimaschutzgesetz zu beschließen, mit dem das wirkungslose Energiewendegesetz ersetzt werden kann. Die Verringerung des Energieverbrauchs ist auch deshalb geboten, weil die aktuelle Bundesregierung an einer Abwälzung der neuen CO2-Bepreisung für fossile Brennstoffe im vermieteten Wohnungsbestand zu 100% auf die Mieter festhält, obwohl die Mieter ihrerseits die nachhaltig energiesparenden Maßnahmen wie Heizungsumstellung und Senkung der Wärmeverlustes durch Gebäudehülle, Decken und Böden gar nicht beeinflussen können. Das Energieeinsparpotenzial durch verändertes Heizverhalten von Mietern wird hingegen unter den aktuellen Rahmenbedingungen (Wohnraumtemperatur 20 – 22 Grad Celsius, Heizkostenabrechnung zu 50 – 70% nach Verbrauch) lediglich mit 5-6% veranschlagt. Der Berliner Mieterverein fordert daher von der Bundesregierung, diesen Unfug aufzugeben und durch eine Änderung der Heizkostenverordnung dafür zu sorgen, dass die Lasten aus der CO2-Steuer gänzlich bei den Vermietern verbleiben, damit dies für sie einen Anreiz zur energetischen Verbesserung der Wohngebäude darstellen kann.
19.09.2022